Ein Bild aus der ungarischen Grenzstadt Zahony, wo viele Flüchtlinge aus der Ukraine ankommen. Viele Kommunen im Kreis Ludwigsburg haben enge Verbindungen nach Ungarn – und sind deshalb besonders besorgt. Foto: dpa/Anna Szilagyi

Viele Kommunen im Landkreis Ludwigsburg macht der der Russland-Ukraine-Krieg besonders betroffen. Das hat viel mit ihrer eigenen Geschichte zu tun.

Kreis Ludwigsburg - Joschi Ament sagt, er habe Angst. Wenn er die Bilder aus der Ukraine sieht, dann beschleicht ihn ein Gefühl großer Unsicherheit. „Die Menschen auf der Flucht wissen nicht nicht, was auf sie zukommt. Aber auch wir hier wissen nicht, was auf uns zukommt.“ Zugleich wird dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn mit den aktuellen Bildern auch die eigene ungarndeutsche Familiengeschichte präsent, die von Flucht und Vertreibung geprägt ist. Eine seiner Großmütter wurde mit ihrer Familie 1946 vertrieben, die andere ist anderthalb Jahre zuvor, 1945, deportiert worden. Sie musste Zwangsarbeit leisten in Krivoj Rog – jenem Ort, in dem 33 Jahre später Wolodymyr Selenskyj geboren werden sollte – heute Präsident der Ukraine.

Ament, im nördlichen Kraichgau zuhause, pflegt intensive Beziehungen nach Gerlingen, jener Stadt, die 1969 die Patenschaft für die Landsmannschaft der Deutschen aus Ungarn übernommen hat. Der Alt-Stadtrat Horst Arzt aus Gerlingen und er kennen sich gut. Arzt steht dieser Tage auch in engem Austausch mit Schwester Agnes vom Kloster der Prämonstratenser in Zsámbék im Komitat Pest, 40 Kilometer von Budapest entfernt.

Erfahrung hilft, mit der Situation umzugehen

Dort wurden Mitte der Woche die ersten Familien aus der Ukraine erwartet. „Sie wissen, dass viele auf dem Weg sind“, erzählt Arzt aus dem Gespräch mit der Äbtissin, Schwester Agnes. Aber im Kloster seien sie vorbereitet. „Die Bereitschaft zu helfen, ist groß.“ Und sie hätten viel Erfahrung. Schon vor dem Ausbruch des Russland-Ukraine-Kriegs hätten die Schwestern jeden Samstag 250 Tüten mit Lebensmitteln an die Ärmsten der Armen verteilt, berichtet Horst Arzt.

Wie Gerlingen pflegen einige Kommunen im Landkreis seit Jahrzehnten Partnerschaften mit ungarischen Städten – was sich aus der Geschichte ergibt. Flucht und Vertreibung waren für die Städte und Gemeinden jene großen Themen, mit denen die Bürger unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert waren. Ihre Aufgabe war es, die Neubürger zu integrieren, die wiederum zur Wirtschaftskraft beitrugen.

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Aus dieser Historie heraus entstanden über die Jahrzehnte Beziehungen nach Ungarn – oftmals in die Heimatregionen der Vertriebenen, die im Landkreis eine neue Heimat gefunden hatten. Die Beziehungen tragen auch dieser Tage und führen kreisweit zu Anteilnahme einerseits, angespannter Nervosität andererseits.

In Téglás, der ungarischen Partnergemeinde von Affalterbach sind im Laufe der Woche einige Flüchtlinge aus der Ukraine angekommen. „Sie richten Unterkünfte her und sind sehr zuversichtlich, dass sie die Situation in Griff bekommen. Es trifft Téglás nicht unvorbereitet“, sagt der Affalterbacher Bürgermeister Steffen Döttinger.

Er hatte in den vergangenen Tagen einigen Kontakt mit der Partnergemeinde in Ungarn, die rund hundert Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt liegt. „Wir haben auch selbst Hilfe angeboten“, so Döttinger. Und wenn es „nur“ Geld sei. Sobald Téglás das Signal sende, werde man etwas an die Partnergemeinde überweisen. „5000 Euro als erste Hilfe sind auf jeden Fall drin.“

Banges Warten auf Studenten

Aus Szekszárd wiederum, der ungarischen Partnerstadt von Bietigheim Bissingen, ist zu hören, dass Geflüchtete zwar noch nicht in der Stadt seien– Szekszárd liegt im Süden des Landes. Aber „leider ist die Situation sehr besorgniserregend, wenn es innerhalb weniger Tage nicht zu einer Waffenruhe kommt, müssen Millionen Menschen fliehen“, sagt für die Stadtverwaltung Berlinger Attila. Mit Sorge warte man auf Studenten der Fachhochschule in Szekszárd, die zuletzt zum Studium in der Ukraine waren. Zudem sammelt man in Szekszárd. Die Gemeinde, Kirchen und Hilfsorganisationen tragen Lebensmittel, Kleidung, Hygieneartikel und Medikamente zusammen, um sie direkt in die Ukraine oder an die Grenze zu schicken.

Ähnliches ist aus Kőszeg zu vernehmen, der ungarischen Partnerstadt von Vaihingen/Enz. Auch dort sind noch keine Geflüchteten angekommen, aber auch dort sammelt man, wie Uwe Scheer berichtet, der für die Städtepartnerschaften Kőszegs und die Kommunikation nach Deutschland verantwortlich ist. „Erste Hilfslieferungen sind schon an den Camps an der Grenze angekommen“, sagt er.

Der Landkreis und das Komitat Pest

Nicht nur Kommunen, auch der Landkreis ist Ungarn verbunden, pflegt seit 20 Jahren partnerschaftliche Beziehungen in einen Verwaltungsbezirk, das Komitat Pest. „Die Verbindungen bestehen weiterhin. Leider hat die Corona-Pandemie die persönlichen Kontakte in den vergangenen beiden Jahren erschwert“, teilt der Kreishaus-Sprecher Andreas Fritz mit. Verwaltung und Landrat hätten telefonisch und schriftlich Kontakt mit den Partnern gehalten. Seinen Antrittsbesuch hat der Landrat Dietmar Allgaier noch nicht machen können. Aber auch er ist der Partnerschaft verpflichtet. „Wir wollen diese Partnerschaft auf kommunaler Ebene in guten sowie schwierigeren politischen Zeiten pflegen, Gemeinsamkeiten hervorheben sowie den Austausch vertiefen“, heißt es aus der Kreis-Verwaltung.

In die Region Stuttgart waren vor allem Sudeten- und Ungarndeutsche gekommen. Dies war laut der Landeszentrale für politsche Bildung „vor allem den vergleichsweise kurzen Transportwegen geschuldet“. Der Anteil der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung betrug im Schnitt 18 Prozent, in den Kreisen nördlich der Region rund 23 Prozent.