Glanzvolle Kultur in Moskau: das Bolschoi Theater Foto: dpa/Timo Jaakonaho

Der Preis für Kritik am Ukraine-Krieg kann sehr hoch sein. Doch russische Autoren, Musiker und TV-Stars sind bereit, ihn zu zahlen. Derweil sieht sich die Opernsängerin Anna Netrebko zu einer Auszeit gezwungen.

Stuttgart - Künstler aus aller Welt protestieren scharf gegen den russischen Kriegszug in der Ukraine – aber auch in Russland selbst wächst von Tag zu Tag der Protest der Kulturschaffenden gegen die Politik des Staatspräsidenten Wladimir Putin. „Scham“ empfindet beispielsweise die Moskauer Schriftstellerin Ljudmilla Ulitzkaja, „weil offensichtlich ist, dass die Regierung unseres Landes Verantwortung trägt für diese Situation, die großes Unglück über die gesamte Menschheit bringen könnte.“ Und sie benennt die Verantwortlichen klar: „Der Wahnsinn eines Mannes und seiner ihm ergebenen Handlanger bestimmt das Schicksal des Landes“. Ulitzkaja, Jahrgang 1943, hat ihre Gedanken bereits wenige Stunden nach dem Überfall russischer Truppen auf die Ukraine formuliert. Inzwischen sind ihr im Land Tausende Künstler, Musiker, Professoren, Architekten mit einer Petition zum sofortige Ende des Krieges gefolgt. Mehr als 250 russische Comedians erklären sich mit ihrem Nachbarland solidarisch.

„Putin und Russland sind nicht dasselbe“

Manche der Protestierenden sind seit Jahr und Tag als Putin-Kritiker bekannt, beispielsweise der Rockmusiker Juri Schewtschuk und der Krimiautor Boris Akunin („Die Russen werden von einem Wahnsinnigen regiert. Putin und Russland sind nicht dasselbe. Aber die Welt wird zwischen den beiden nicht mehr unterscheiden.“). Andere gehörten bisher zum Kultur-Establishment der Hauptstadt: zwei Intendanten staatlicher Theater sind zurückgetreten; das Tschechow-Theater und sogar der mit Orden hochdekorierte Generaldirektor des Bolschoi-Theaters, Wladimir Urin, haben gegen den Krieg protestiert.

All diese Wortmeldungen sind deshalb mutig, weil die Folgen für die Protestierenden drastisch sein können. Die Freiheit der Rede und der Kunst ist in Russland schon seit Jahren nicht gewährleistet; je nach Rang und Popularität müssen Kulturschaffende bei Kritik am Regime mit beruflichen Einschränkungen bis hin zu behördlicher Repression oder gar persönlicher Gefährdung rechnen. Bereits am Donnerstag schrieb der in Russland sehr populäre TV-Moderator Iwan Urgant auf einer Netzplattform: „Angst und Schmerz. Nein zum Krieg“. Seine Show im Staatsfernsehen wurde sofort abgesetzt.

Haben sie nur Angst um ihre Jacht im Ausland?

Wie stets wehrt sich die russische Führung gegen derlei Künstlerkritik, indem sie die Protestierenden auch persönlich diffamiert – am liebsten aus dem Munde von Künstlerkollegen, die weiterhin treu zu Putin halten. In diesem Fall war es der Filmregisseur Nikita Michalkow, der in Moskau zu den Anti-Kriegs-Petitionen meinte, den Unterzeichnern gehe es gar nicht um die Ukraine; sie „heulten“ vielmehr aus Angst vor Sanktionen und Sorge um„Haus und Jacht“ im Ausland.

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Starke Beachtung findet in diesen Tagen die Haltung der Opernsängerin Anna Netrebko, die ebenso wie der Dirigent Waleri Gergijew seit Jahr und Tag zum engeren Umfeld Wladimir Putins gezählt wird. Ihren 50. Geburtstag feierte sie im September im Kreml und ließ sich von Putin in einer Botschaft feiern. 2014 unterstützte sie ebenso wie Gergiew die Trennung der russischen Rebellengebiete vom Süden der Ukraine.

Anna Netrebko verschiebt Konzert in Hamburg

Am Dienstag nun hat Netrebko mitgeteilt, sie werde sich „bis auf Weiteres aus dem Konzertleben zurückziehen“. Zur Begründung: „Es ist nicht die richtige Zeit für mich aufzutreten und zu musizieren“. Ein für Mittwoch geplantes Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie wurde abgesagt und auf den 7. September verschoben. Die Auszeit Netrebkos soll dann also offenbar vorüber sein, weswegen auch das Konzert am 3. September auf dem Stuttgarter Schlossplatz weiter auf dem Programm steht. Der Stuttgarter Veranstalter Christian Doll (c2 Concerts) teilte unserer Zeitung mit: „Bisher wurde keine Forderung an uns herangetragen, das Open Air abzusagen.“ Unter dem Druck der Ereignisse hatte sich Netrebko am Sonntag in den sozialen Netzwerken zu Wort gemeldet: „Ich bin gegen diesen Krieg. Ich bin Russin und ich liebe meine Land, aber ich habe viele Freunde in der Ukraine“. Der Schmerz und das Leiden brächen ihr das Herz. „Ich möchte, dass dieser Krieg endet“.

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Andererseits vermied Netrebko in ihrer Stellungnahme jeden Hinweise auf den Verursacher des Krieges und wehrte sich dagegen, Künstler „quasi unter Zwang zu setzen, öffentlich politisch Stellung zu nehmen oder ihre Heimat anzuprangern.“ Wie viele ihrer Kollegen sei sie „kein politischer Mensch“: „Ich bin keine Expertin für Politik. Ich bin Künstlerin“. Diese Haltung rief scharfe Kritik hervor. Der Pianist Igor Levit etwa schrieb auf Instagram: „Eine unpolitische Haltung in so einem Fall mit dem eigenen Künstler-Dasein zu entschuldigen, beleidigt die Kunst an sich“.