Viktor Kireyev und die russischen Handballer spielen bei der WM mit dem Logo ihres Verbandes auf der Brust Foto: imago//Jozo Cabraja

Russland ist wegen Doping-Betrugs gesperrt, weshalb bei der Weltmeisterschaft die Mannschaft der „Russischen Handball-Föderation“ auf Torejagd geht – eine echte Mogelpackung.

Kairo/Stuttgart - Es gibt gute Gründe, die Handball-WM in Ägypten als bizarr zu bezeichnen. Das aufgeblähte Teilnehmerfeld, die Corona-Irrungen und -Wirrungen, die dadurch beeinflusste sportliche Wertigkeit, die erst spät geklärte Zuschauerfrage – wer am Sinn eines derartigen Megaturniers mitten in der Pandemie zweifelt, findet genügend Argumente. Dabei geht es stets ums große Ganze, doch Seltsames ist in Kairo auch im Detail zu beobachten. Zum Beispiel beim Blick auf die russischen Handballer.

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Es ist der erste Auftritt eines Teams der Sportgroßmacht bei einer Weltmeisterschaft, seit der Internationale Sportgerichtshof (Cas) in Lausanne am 17. Dezember ein umstrittenes Urteil gesprochen hat. Die von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) verhängte vierjährige Sperre wurde zwar um zwei Jahre reduziert, zugleich aber legten die Richter Wert auf die Feststellung, dass Russland bis zum 16. Dezember 2022 weitgehend vom Weltsport ausgeschlossen bleibe. Damit werde sichergestellt, dass „die Integrität des Sports gegen die Geißel des Dopings gewahrt bleibt“. Was die angeblich so schmerzhafte Sperre „regulärer russischer Mannschaften“ für Weltmeisterschaften und Olympische Spiele in der Realität bedeutet, zeigt sich nun in Ägypten: Es ist alles eine ziemlich große Trickserei.

In fast allen Tabellen steht schlicht „Russland“

Bei den bisher vier Spielen der russischen Handballer in Vor- und Hauptrunde (nach dem 23:28 am Mittwoch gegen Ägypten ist die Chance aufs Erreichen des Viertelfinales rapide gesunken) gab es zwar keine Hymne zu hören und keine Landesflagge zu sehen. Das war es aber schon – abgesehen vom Namen. Statt unter „Russland“ firmiert das Team offiziell unter der Bezeichnung „Russische Handball-Föderation“, was aber kaum jemanden interessiert: In fast allen veröffentlichten Spielplänen, Ergebnissen und Tabellen steht, natürlich, schlicht „Russland“.

Zum seltsamen Spiel der Sportpolitik passt, dass die Mannschaft von Trainer Velimir Petkovic (64), von 2004 an fast zehn Jahre Coach bei Frisch Auf Göppingen, ihre ganz eigene Art hat, mit den Sanktionen umzugehen. „Auf jeden Fall werden wir alle, auch ich, obwohl ich kein Russe bin, das Wappen und die Flagge Russlands unter unseren T-Shirts tragen. Sie können nicht gezeigt werden, aber wir werden sie fühlen“, hatte Petkovic vor dem Start der WM der russischen Zeitung „Sport Ekspress“ gesagt. Es sei jedem Athleten eine große Freude, sein Land zu vertreten. Seinen Jungs sei dieses Privileg aufgrund der „Fehler der Sportbeamten“ entzogen worden.

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Dies ist eine völlig neue Umschreibung für einen Sportbetrug riesigen Ausmaßes. Rund 1000 Athleten sollen in das vom russischen Staat gelenkte Dopingsystem involviert gewesen sein, bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi wurden mit großer krimineller Energie Dopingproben manipuliert. Als die Wada im Januar 2019 endlich vom Moskauer Anti-Doping-Labor die Daten erhielt, die Klarheit über den Betrug in den Jahren 2012 bis 2015 hätten bringen sollen, stellte sie fest, dass rund 15 000 Dateien manipuliert, gefälscht oder gelöscht worden waren, um so (mindestens) 145 Athleten zu schützen. Daraufhin sprach die Wada die Sperre aus, die allerdings – ganz unabhängig von der Verkürzung durch den Cas – nicht mehr ist als eine Mogelpackung.

Die Welt-Anti-Doping-Agentur muss Beweise erbringen

Das liegt zuvorderst an einer Ausnahmeregelung: Alle russischen Sportlerinnen und Sportler, die unbelastet von Dopingvorwürfen sind, dürfen ungeachtet des Banns als sogenannte neutrale Athleten aus Russland selbst bei Großereignissen antreten. Das Problem für alle Freunde des sauberen Sports: Die Wada muss den Beweis erbringen, dass die fraglichen Russinnen und Russen nichts mit Doping zu tun haben, um ihnen die Teilnahme verwehren zu können. Was durch die Tatsache ziemlich erschwert wird, dass die Daten, die dabei zurate gezogen werden könnten, manipuliert worden sind. So dreht sich letztlich alles irgendwie im Kreis, ohne dass sich dabei viel bewegt.

Folglich bietet die Handball-WM in Ägypten besten Anschauungsunterricht dafür, was auch bei der Eishockey-WM 2021, den Olympischen Spielen 2021 (Tokio/Sommer) und 2022 (Peking/Winter) oder der Fußball-WM 2022 zu sehen sein wird: ein russisches Team, das zwar auf Hymne, Flagge und Wappen verzichten muss, aber weitgehend vollzählig um Siege und Medaillen kämpft. Als Teil eines seltsamen Spiels.