Begegnung in schwierigen Zeiten: Bundeskanzlerin Angela Merkel begrüßt den russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin am Mittwochabend in Berlin. Foto: Getty

Kurz vor dem Eintreffen ihres Präsidenten hat die russische Armee die „humanitäre Pause“ für Aleppo verlängert. Das nährt den Eindruck, dass das Ukraine-Treffen vor allem einem dient: dem Versuch, über die Lage in Syrien zu sprechen.

Stuttgart - Wo Wladimir Putin sein Nachtquartier in Berlin aufgeschlagen hat, ist schon am frühen Mittwochmorgen ersichtlich gewesen. Die Polizei hatte den Pariser Platz rund um das Hotel Adlon abgesperrt und gepanzerte Wagen mit Wasserwerfer aufgefahren. Eine kleine Menschenmenge war dort unweit des Brandenburger Tores versammelt, die aber weder gegen den russischen Präsidenten noch für ihn demonstrierten, wie das zuletzt in Deutschland ebenfalls zu beobachten gewesen ist. Kleinere Protestkundgebungen vonseiten der Krim-Tataren sowie einer Gruppe von Syrern, die das Dauerbombardement Aleppos durch die von Moskau unterstützen Regierungstruppen beklagen, waren für den späteren Abend angekündigt gewesen.

Die beiden Großkonflikte sind dann auch die alles beherrschenden Themen von Putins erstem Berlin-Besuch seit vier Jahren gewesen. Erst war für den frühen Abend im Kanzleramt eine Runde im sogenannten Normandie-Format angesetzt, in dem Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande seit 2014 zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko vermitteln. Im Anschluss sollte laut Ablaufplan ohne den Mann aus Kiew über die Lage in Syrien geredet werden. Diese Gespräche dauerten bis spät in die Nacht an, über den Stand des Treffens wurde zunächst nichts bekannt.

Die Verlängerung der humanitären Pause scheint auffällig

Im Lauf des Mittwochs wurde klar, dass diese Abfolge ursprünglich nicht in Putins Sinne war, der wohl über die Ukraine reden wollte, weil er mit einer möglichen Aufhebung der EU-Wirtschaftssanktionen dort etwas zu gewinnen hat, nicht aber über Syrien, wo bisher keinerlei Hebel gefunden werden konnte, Russlands Verhalten zu ändern. Merkels Sprecher Steffen Seibert bestätigte kurz vor dem Berliner Gipfel jedoch, dass die Bundesregierung es zuletzt zur Bedingung für einen neuen Ukraine-Gipfel gemacht hatte, dass „auch über Syrien gesprochen werden muss“.

Dass auch die zuerst für eine Dauer von acht Stunden angekündigte Feuerpause in Aleppo Vorbedingung des Treffens war, wurde vom Regierungssprecher dagegen verneint. Allerdings war es auffällig, dass wenige Stunden nach der Kritik von EU und Vereinten Nationen sowie Seiberts Ansage in der Bundespressekonferenz („Acht Stunden reichen nicht aus“) die russische Armeeführung in Moskau die „humanitären Pause“ auf elf Stunden verlängerte.

„Vom Hölzchen aufs Stöckchen“

Zu den offenen Fragen zählt auch jene, wie ernsthaft diskutiert wurde über die Lage in der Ostukraine, wo der in der Minsker Vereinbarung vom Februar 2015 ausgehandelte Waffenstillstand längst nur noch auf dem Papier existiert und es mit dem sogenannten Entflechtungsabkommen vom September nur punktuelle Hoffnungsschimmer gegeben hat. „Mit unendlicher Geduld“ hätten Mitarbeiter des Kanzleramts und des Auswärtigen Amtes im vergangenen halben Jahr versucht, den Stillstand zu durchbrechen, berichtete am Mittwoch der Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Im Ergebnis sei man jedoch „vom Hölzchen aufs Stöckchen und noch kleinere Maßeinheiten“ gekommen, als es um konkrete Fortschritte ging.

Bisher war daher stets dieHaltung der Bundesregierung gewesen, dass ein neuer Ukraine-Gipfel nur stattfinden könne, wenn es gute Erfolgsaussichten gebe. Die sah aber auch Kanzlerin Merkel ausdrücklich nicht, als sie im Vorfeld sagte, von der Zusammenkunft mit Putin dürften „keine Wunder“ erwartet werden. Manchem Beobachter drängte sich daher der Eindruck auf, sie sei nur deswegen zustande gekommen, um mit dem russischen Staatschef überhaupt irgendwie zu Syrien ins Gespräch zu kommen.

Die Motive Putins sind ein Rätsel – auch den Experten

An diesem Donnerstag werden Merkel und Hollande ihren Amtskollegen beim EU-Gipfel in Brüssel Bericht erstatten, ob die abendliche Unterredung mit Putin tatsächlich Fortschritte gebracht haben sollte. Schon vor längerer Zeit war eine Diskussion über den weiteren Umgang mit Moskau auf die Tagesordnung gesetzt worden, weil kurz nach dem Jahreswechsel die EU-Sanktionen auslaufen und im Konsens verlängert werden müssten. Durch die kaum mehr vorstellbare Eskalation in Syrien ist diese Debatte noch dringlicher geworden. Beim EU-Außenministerrat war am Montag der Beschuss von Krankenhäusern aus der Luft unter ausdrücklicher Nennung Russlands als mögliches Kriegsverbrechen bezeichnet worden. „Aus unserer Sicht“, hieß es deshalb am Mittwoch in deutschen Regierungskreisen, „gehören Sanktionen zu den Optionen, die auf dem Tisch liegen.“

Ob der im Adlon untergebrachte Putin am Mittwochabend großes Interesse hatte, diesen Gang der Dinge aufzuhalten, oder ob er eher darauf setzte, dass potenzielle Sanktionsgegner in der EU wie Ungarn oder Griechenland neue Strafmaßnahmen aufhalten, blieb vorerst unklar. Wie überhaupt seine Motive auch langgedienten Regierungsbeamten weiter ein Rätsel sind. Einer von ihnen antwortete am Mittwoch auf die Frage, ob man Putin entgegenkomme könne bei dem, was dieser wolle: „Ich weiß gar nicht genau, was Putin will.“