Bischof Hiob von der russisch-orthodoxen Gemeinde in Stuttgart. Foto: Martin Haar

Die Russische Kirche im Westen feiert in diesen Tagen das „Fest der Feste“, wie Bischof Hiob sagt. In den Gottesdiensten zu Ostern wird auch der Krieg in der Ukraine thematisiert.

Glockenschlag 12 Uhr. Die Liturgie in der Russischen Kirchenahe des Hölderlinplatzes nähert sich dem Höhepunkt. Die russisch-orthodoxen Gläubigen empfangen von Bischof Hiob das Abendmahl. Andächtig nehmen sie dicht gedrängt Hostien und Wein entgegen als Symbol für den Leib und das Blut Christi. Soweit sind keine Unterschiede zu einem christlichen Gottesdienst an einem Gründonnerstag zu erkennen. Sieht man vom Kirchenraum ab, der freilich mit vielen Ikonen und Gold geschmückt ist. Gold weist auf den himmlischen Ruhm hin, es ist ein Symbol für das Göttliche und die Unsterblichkeit. Darum geht es auch hier, einen Tag vor dem orthodoxen Karfreitag.

Im Gottesdienst fließen Tränen

„Heute steht alles im Zeichen des Leidens“, sagt Bischof Hiob, der immer wieder zwischen seiner Stuttgarter Gemeinde und seinem Kloster in München-Obermenzing hin und her pendelt. Anders als bei christlichen Gottesdiensten am Gründonnerstag werde ich auch neben des Abendmahls der Jünger mit Jesus zusätzlich die Geschichte des Verrats durch Judas aufgenommen, berichtet Bischof: „Es ist ein sehr bewegender Gottesdienst.“

Tatsächlich fließen auch Tränen. Die Ostergeschichte ist bis zum Sonntag, dem Tag der Auferstehung, eine empathische Reise des Leides. „Doch dann feiern wir das Fest der Feste“, sagt Bischof Hiob. Es sei der wichtigste Feiertag im russisch-orthodoxen Kalender. Anders als die Christen, die Ostern nach dem ersten Vollmond im Frühling feiern, kommt das orthodoxe Ostern eine Woche später. „Das liegt einerseits daran, dass wir den gregorianischen Kalender nicht übernommen haben, andererseits weil wir nicht gleichzeitig zum Pessachfest der Juden feiern wollten “, sagt Bischof Hiob. Denn in früheren Zeiten habe das Pessachfest viele Menschen aus allen Religionen zum Mitfeiern in der Synagoge inspiriert, so der Priester, auch Christen. Also entzerrte man in der russisch- und in der griechisch-orthodoxen Kirche die Feierlichkeiten.

Selbstredend wird der Krieg thematisiert

Selbstredend steht das Osterfest in diesem Jahr auch im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Bischof Hiob geht davon aus, dass Metropolit Mark, der Erzbischof der russisch-orthodoxen Kirche im Ausland, in seiner Osterbotschaft darauf eingehen wird. „Aber wir haben den Krieg längst in den Predigten zuvor thematisiert“, sagt Hiob. Und darin sei die Lesart eindeutig gewesen: „Wir sind Russen und Ukrainer im Ausland und lehnen diesen Krieg und jede Form von Krieg ab. Wir stehen zusammen und wollen in der Kirche die Politik raushalten.“ Dann merkt er an, „dass Putin nicht unser Präsident ist“.

Ohnedies versuche man, wo es gehe den Kriegsflüchtlingen zu helfen. „Zuletzt haben wir 50 Familien in unserer Gemeinde aufgenommen, die vor dem Krieg geflüchtet sind“, sagt Bischof Hiob. Soll heißen: Orthodoxe Christen feiern Ostern in Eintracht.

Auch dass der Moskauer Patriarch Kyrill sich nicht gegen den Krieg in der Ukraine ausspricht, lässt der Bischof nicht unkommentiert: „Ich kann nicht alles gutheißen, was er tut.“ Allerdings müsse man damit rechnen, dass sich der enge Verbündete von Kreml-Chef Wladimir Putin vor einem bischöflichen Konzil verantworten müsse.

Victor, ein 71-jähriger Russlanddeutscher aus Kasachstan, versteht den Krieg gegen Brüder ohnehin nicht mehr. Etwas schelmisch fragt er daher: „Was passiert mit drei Kerzen, die man eng aneinanderhält? Wird eine Flamme daraus, oder bleiben es drei?“ Als er die Antwort „eine Flamme“ erhält, grinst er zufrieden und fühlt sich bestätigt: „Wir sind alle von einem Gott.“