Vergnügte Lederhosen-Runde auf dem Cannstatter Volksfest im Wasenwirt-Zelt. Foto: Andreas Rosar / Fotoagentur-Stuttgart

Vom Heiratsantrag vor 4000 Festzeltgästen bis zu „Layla“ in der Rammstein-Version: Das Cannstatter Volksfest ist reich an Geschichten. Vor dem Finale ist unser Kolumnist in Tracht unterwegs und will herausfinden: Sind Kerle in Lederhose anders?

Als Nina Renoldi, die Chefin der nagelneuen, wunderschönen Königsalm, kürzlich vom SWR-Fernsehen gefragt worden ist, was sie als Frau vom Sexismus des Wasenhits „Layla“ halte, sagte sie, die Welt habe angesichts des Kriegs, der Energiekrise und der Pandemie andere Sorgen. Vielleicht ist das Cannstatter Volksfest aber auch gerade dazu da, die Sorgen und Ängste zu vergessen.

Wasen 2022 – er geht in die Geschichte ein als überschäumende Rückkehr der guten Laune, als Volksfest der Verjüngung (die Älteren bleiben aus Angst vor Ansteckung eher daheim), als Fest der Umsatzrückgänge, aber der Zunahme des Spaßes.

„Eine Lederhose ist total sexy“, sagt ein Freund

Macht es Spaß, Lederhose zu tragen? Der Schreiber dieser Zeilen hat eine Wette laufen. Gewonnen hat er, wenn er nicht, wie üblich, Jeans trägt, sondern durchgängig bei allen Wasenbesuchen die Krachlederne. „Eine Lederhose ist total sexy“, findet ein Freund.

Eine große Sammlung des zutiefst männlichen Kleidungsstücks besitzt er und lässt nicht locker, bis er den Journalisten überreden kann, es doch mal zu versuchen.

Rent a Lederhos! Der Freund verleiht eine knielange Württemberger, weil er genau weiß, mit einem bayerischen Exemplar beim Stuttgart-Fan und Stuttgart-Schreiber nicht landen zu können. Das Landeswappen ist an der Seite auf eine Hosentasche gestickt.

Was macht die Krachlederne aus einem Mann? Macht sie ihn maskuliner, steigert sie das Imponiergehabe? Der erste Eindruck: Man steht breitbeiniger da als in Jeans und wird oft aufs Outfit angesprochen.

Nackte Waden galten bei den Pietisten als „sittenwidrig“

Erfunden wurde die Lederhose als bäuerliche Arbeitskleidung. Sie war günstig, weil die Bauern sie aus den Häuten ihrer Tiere schneiderten. Kirche und Obrigkeit waren dagegen, weil sie eine Aufwertung der unteren Klassen darstellte und weil nackte Waden als „sittenwidrig“ galten. Deshalb mussten in Württemberg die Socken bis zum unteren Teil der Dreiviertel-Hose hochgezogen werden. Die Lederhose sollte eine Patina mit speckigem Glanz haben, was häufiges Tragen begünstigt. Sie ist nachhaltig, weil sie ewig hält. In die Waschmaschine gehört sie nicht, sondern an die frische Luft. Früher, heißt es, trug man nichts darunter, weil sie so eng sitzt. Einer erzählt, er habe die Lederhose bei 90 Grad gewaschen. Da ist sie auf ein winziges Quadrat geschrumpft und war bocksteif. Im Mittelschiff hüpfen Kerle in Lederhose auf Bänken – mit weißen Sneakern! Für Trachtenpuristen ist dies ein modischer Fauxpas. Auf dem Wasen sollte sich jeder so wohlfühlen, wie er will.

Der Wasen als Volksfest der Vielfalt

Dies gilt speziell für die Feier der Regenbogen-Community. Kein Bierzelt ist an diesem Abend so voll wie das vom Wasenwirt. Es gibt keinen freien Tisch, kaum einen freien Stehplatz. In 28 Jahren ist die Partyreihe Gaydelight zum Volksfest-Spitzenerfolg geworden. Der Zoff der Anfangsjahre, als der städtische Eigenbetrieb Marktveranstaltungen dem Wirt Max -Rudi Weeber untersagte, für die Veranstaltung offen als „Schwulenparty“ zu werben, ist tiefe Vergangenheit

Die Schweizerin Danya, die ihre Stuttgarter Freundin Moni über ein Internetportal vor 363 Tagen kennengelernt hat, fragt im vollen Zelt vor geschätzt 4000 Menschen die Frage aller Fragen: „Willst du meine Frau werden?“ Unter einem Vorwand ist ihre Freundin von CSD-Aktivist Stefan Frey auf die Bühne gelockt worden. Ihre Moni sagt Ja, was im Geschrei der Zuhörerschaft untergeht. „Sie hat Ja gesagt“, schreit Detlef Raasch, Vorstandsmitglied des CSD Stuttgart, ins Mikrofon. Das Publikum donnert vor Begeisterung. Clublegende Laura Halding-Hoppenheit dankt in ihrer Rede dem Gaylight-Gründer Theo von Pagliarucci für seine Hartnäckigkeit.

„Wir ham’ nen Bus, und unser Busfahrer heißt Rainer“

Der Wasen als Volksfest der Vielfalt. In der Königsalm führen Nikolaus Böhm und Susanne Weisheit, die Morgenmoderatoren von Die Neue 107,7, Rammstein und „Layla“ zusammen. In der neuen Version, mit den Rhythmen von Deutschlands härtester Band unterlegt, heißt es: „Wir ham’ nen Bus, und unser Busfahrer heißt Rainer, er ist älter, runder, kleiner.“ Quasi alle in der Hütte, die da unten, wie die da oben, singen mit – welchen Text auch immer.

Die Wasen-Wette des Journalisten jedenfalls ist gewonnen! Die bisherige Bilanz des Selbstversuchs: Ja, die Lederhose fühlt sich besser an als gedacht, direkt weich und geschmeidig. Und das Wissen, dass es keine bayerische Sepplhose ist, tut obendrein gut. Nach der langen Corona-Pause sind die Wasennächte noch viel schöner als früher! Und das liegt nicht nur an der Krachledernen.