Kamera und Stativ sind für Heiko Stachel unverzichtbar. Damit lädt der Architekt Internetnutzer zu virtuellen Rundgängen durch Abbruchhäuser ein. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

„Stand da nicht früher mal...?“ Wenn das Bauen boomt, müssen viele alte Gebäude neuen weichen. Ein Stuttgarter Fotograf sorgt dafür, dass „aus den Augen“ nicht unbedingt auch „aus dem Sinn“ heißt.

Stuttgart - Hört der Architekt Heiko Stachel die Worte „Abriss“ oder „Umbau“, schlägt sein Herz sofort ein wenig schneller. Den Hobbyfotografen reizt das Vergängliche, weil er bewahren will. Er lädt zu virtuellen Rundgängen durch Gebäude und Gelände ein, die es zum Teil schon gar nicht mehr gibt. Neu in seinem Fundus sind etwa das Bürgerhospital, die Villa Berg, das Wilhelmspalais und das Schoch-Areal. Das Stadtarchiv hat den Dokumentar aus Passion mittlerweile für sich entdeckt.

Stadtarchivdirektor Roland Müller hat ein Empfehlungsschreiben unterzeichnet, mit dem Stachel jetzt auf Motivpirsch geht. Darin begrüßt es der Stadtarchivar ausdrücklich, wenn Eigentümer von Abrissobjekten dem Fotokünstler Zugang zu ihren Gebäuden gewähren, und versichert, dass Stachel und Stadtarchiv mit dem Projekt „ausschließlich fachliche und keine kommerziellen Interessen“ verbinden. Zudem lobt er die „hochwertigen Panoramafotos“ die „im Rahmen der digitalen Langzeitarchivierung des Stadtarchivs für die Nachwelt erhalten und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“. Einen Einblick bietet Stachels Homepage http://www.zitronenwolf.com/rundgaenge/start.php.

Alte Bauten müssen oft Platz machen

Der Fotograf möchte Erinnerungen bewahren. „Wenn die Grundstückspreise ins Unendliche schnellen und man mit neuen Luxuswohnungen ein schnelles Vermögen machen kann, dann werden Gebäude abgerissen, die lange Zeit fester Bestandteil unseres Lebens waren“, erklärt er. Fabriken, Cafés, Krankenhäuser, Restaurants, Ministerien, Clubs, Kirchen, Läden – sie alle müssten weichen. Er fotografiert und puzzelt die Panoramen digital zusammen, damit die Menschen wenigstens virtuell noch „durch die alten Orte spazieren“ können.

Das abrissreife Hotel Hirsch in der Nähe seines Wohnhauses entfachte vor rund fünf Jahren seine Leidenschaft. Er ahnte, dass das Gebäude in 20 oder 30 Jahren wieder interessant werden könnte – „wenn Opas erzählen, wo Familienfeste früher gefeiert wurden“. Mittlerweile hat er als Dank für seinen stadtarchivarischen Einsatz eine Profikamera gesponsert bekommen. „Ich war extrem positiv überrascht“, sagt er dankbar. Geld bekommt er von der Stadt nicht.

In einem Projekt stecken etliche Stunden Arbeit

Viel Zeit braucht er nicht, um ein Panaroma zu fotografieren. Mit unter zwei Minuten kommt er hin. Fünf Hochformate im Weitwinkel müssen in den Kasten, meist mit Blende 8 und ISO 100. Ein Stativ stellt sicher, dass nachher alles gut aneinander passt. Mit einem Rundumblick ist es aber natürlich nicht getan. Für das Großprojekt Olgäle etwa hat er 760 Panoramen in rund 20 Stunden fotografiert. Hinzu kommt die aufwendige Bearbeitung. Sein Computer hat 48 Gigabyte Arbeitsspeicher und alles in allem mehr als 50 Terabyte Festplattenspeicher. Bis der Rundgang durchs alte Olgäle fertig war, kostete es ihn zwölf Tage.

Dokumentieren könne er Gebäude natürlich nur, wenn ihm die Eigentümer die Türen öffnen, sagt der Fotograf. Deshalb sei das Empfehlungsschreiben des Stadtarchivs so wertvoll – es habe ihm unter anderem den Zugang zum Schoch-Areal in Feuerbach ermöglicht. Reizvoll sind für ihn neben abrissreifen Firmen und Gebäuden beispielsweise auch traditionelle Handwerksbetriebe mit historischer Fertigung. „Ich bin für Anregungen dankbar.“ Die Innenaufnahmen der Abrisshäuser gehen meist erst ins Netz, wenn die Gebäude nicht mehr stehen oder umgebaut wurden. „Das dauert manchmal ein paar Jahre.“