Fachleute des DGB-Projekts Faire Mobilität klären an der Autobahn ausländische Fahrer über ihre Rechte auf. Foto:  

Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hat zahlreiche Behörden und Institutionen zusammengebracht, um gegen illegale Praktiken in der Arbeitswelt vorzugehen – und um für die Nöte der Opfer zu sensibilisieren.

Stuttgart - Der nicht seltene Rechtsbruch findet im Verborgenen statt: Da hat zum Beispiel ein Spediteur mindestens 124 Fahrer aus dem Ausland angeworben und vorwiegend in Deutschland eingesetzt – ohne Arbeitserlaubnis und ohne Rücksicht auf Lenk- und Ruhezeiten. Er bezahlt ihnen keinen oder einen stark reduzierten Lohn und führt auch die Sozialversicherungsabgaben nicht ab. Die Fahrer müssen zum Teil von Erspartem und mitgebrachten Lebensmitteln leben. Beschweren sie sich, droht der Spediteur mit Rauswurf. Mit einem internen „Bußgeldkatalog“ erhöht er den Druck. In der Hoffnung, den ihnen zustehenden Lohn noch zu bekommen, arbeiten die Fahrer weiter. Ein realer Fall von vielen – der Spediteur flog auf und wurde zu einer Haftstrafe verurteilt.

Solche Missstände will Baden-Württembergs Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) mit einer Allianz von Ministerien, Behörden und Verbänden beleuchten – womit sie einen Auftrag der Koalition erfüllt. An diesem Montag trifft sich unter ihrer Leitung der „Runde Tisch zur Bekämpfung von Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung“, um eine Offensive zu beschließen. Dabei sollen eine Erklärung verabschiedet und ein Leitfaden für die Kooperation zwischen Behörden und Fachberatungsstellen präsentiert werden. Die Ministerin nennt den Leitfaden gegenüber unserer Zeitung „bundesweit einzigartig“. Er liefere ein umfassendes Bild über die Rechtslage und die Zuständigkeiten.

Misere in Zahlen schwer zu fassen

„Die überwiegende Zahl der Arbeitgeber im Südwesten verhält sich rechtskonform und den Beschäftigten gegenüber fair“, sagt Hoffmeister-Kraut. Allerdings gebe es auch ein breites Spektrum an Ausbeutungsformen. Immer wieder würden Fälle bekannt, in denen die rechtlichen Grundregeln missachtet werden. „Wenn Arbeitsstandards unterlaufen werden, muss das aufgedeckt und konsequent verfolgt werden.“ Die Opfer bräuchten eine kompetente Beratung und die bestmögliche Unterstützung.

Oft sind es Ausländer, die bei geringen Deutschkenntnissen leicht hintergangen werden können. Mitunter fehlt ein Arbeitsvertrag, oder es gibt dubiose Vereinbarungen. Ansprüche aus der Sozialversicherung sowie Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregelungen werden durch die Vortäuschung selbstständiger Auftragsverhältnisse vorenthalten. Oder für die Unterbringung oder den Transport zur Arbeitsstätte wird ein unverhältnismäßig hoher Betrag vom Lohn abgezogen.

In Zahlen lässt sich die Misere nur schwer erhellen. „Es wäre wünschenswert, (. . .) verfügbare Daten (. . .) zu sammeln, um bessere Erkenntnisse über die Situation in Baden-Württemberg zu erhalten“, so der Leitfaden. Klar ist: Die Straftatbestände Menschenhandel und Ausbeutung werden von Zoll und Polizei zu selten aufgedeckt und von den Staatsanwaltschaften kaum aufgegriffen – folglich sind Verurteilungen rar. Es mangelt an Personal und an Sensibilität, womöglich auch an Koordination. Das Bundeskriminalamt hat 2018 insgesamt 21 polizeilich abgeschlossene Ermittlungsverfahren (mit 63 Opfern) in Baugewerbe und Gastronomie registriert, fast doppelt so viele wie 2017. In der EU sind nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation gut 600 000 Menschen von Ausbeutung betroffen.

DGB hofft auf stetige Finanzierung ihres Projekts

Somit lobt auch die DGB-Landesvize Gabriele Frenzer-Wolf den Runden Tisch: „Dass wir alle unseren Sachverstand zusammengelegt haben, erweist sich als segensreich“, sagt sie. „Nun müssen die Rechte von Betroffenen und der Opferschutz auch in den Köpfen der Behördenmitarbeiter verankert werden, was bislang überhaupt nicht der Fall war.“ Der Leitfaden werde diesen helfen, bei Bedarf weitere Ansprechpartner einzuschalten. Es ginge nicht nur um Strafverfolgung, oft stünden die Ausgebeuteten am Ende allein da und hätten nichts von der Aufdeckung.

Der Gewerkschaftsbund betreibt seit Jahren das Projekt Faire Mobilität. Im Südwesten gibt es zwei Anlaufstellen in Stuttgart und Mannheim, die gemessen an den Fallzahlen bundesweit die erfolgreichsten seien, so Frenzer-Wolf. Wenn das Angebot im Jahr 2020 erweitert wird, dürfte auch der Beratungsbedarf wachsen. Dies sei immer so, wenn die personellen Ressourcen verstärkt würden, sagt sie.

Wichtig wäre dem DGB auch eine langfristige Finanzierung, weil die vom Wirtschaftsministerium gewährte Förderung mit 350 000 Euro aus europäischen Töpfen nur bis September 2021 befristet sei. Zudem gebe es noch weiße Flecken: etwa in Südbaden, wo viele Saisonkräfte in der Landwirtschaft tätig sind.