In Villingen-Schwenningen haben zu Jahresbeginn viele Russlanddeutsche demonstriert. Foto: dpa

Sie fühlen sich nicht mehr wahrgenommen und zu wenig akzeptiert – bei vielen Russlanddeutschen herrscht Unzufriedenheit. Wie kann man die Integrationsprobleme in den Griff bekommen? Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland hat zu einer Runde gebeten.

Stuttgart - In Kirgisistan, seinem Geburtsland, sei er als Deutscher beschimpft worden, als Schüler in Deutschland als Russe. Nur wegen seines Akzents habe er für die anderen nicht dazu gehört. „Es hat gedauert, bis ich verstanden habe, ich bin weder Russe, noch Deutscher, sondern ein Mensch“, erzählt Jürgen Arnhold, der in Stuttgart lebende Bundesgeschäftsführer der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Doch nicht jeder schafft es, sich frei zu machen von Diskriminierungen wie Arnhold. Wenn man sich nicht dazu gehörig fühlt, kann das zum Problem werden.

Bei der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland macht man sich zumindest Sorgen angesichts der Stimmung in der Gemeinschaft der Russlanddeutschen. Bei vielen herrsche große Unzufriedenheit, berichtet Ernst Strohmaier, der stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft. Aufgrund mangelnder politischer Bildung seien viele empfänglich für Rechtspopulisten und für Strukturen, die dem russischen Präsidenten Putin nahe stehen.

Aus dem Ausland wird über das Internet Einfluss genommen

Um die Integrationsprobleme der eigenen Landsleute in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, hat der Verband deshalb am Montag erstmals einen breiten Kreis zu sich gebeten: mit der Bundesabgeordneten Karin Maag (CDU), den Landtagsabgeordneten Brigitte Lösch (Grüne) und Raimund Haser (CDU) sowie den Stadträten Thomas Adler (SÖS/Linke-plus) und Michael Conz (FDP) sind alle politischen Ebenen vertreten. Der Abteilungsleiter Integration der Stadt Stuttgart, Gari Pavkovic, moderiert die Runde, die nicht die letzte bleiben soll. Bei der größten Gruppe unter den Einwanderern in Stuttgart und auch im Land sei der Eindruck entstanden, man beachte sie gar nicht mehr, so Pavkovic. Er beobachtet es ebenfalls mit Sorge, wenn aus dem Ausland versucht werde, Spannungen zu schüren – sei es aus Russland oder, wie es aktuell verstärkt geschieht, aus der Türkei.

Ernst Strohmaier fordert neue Strukturen und Angebote, zum Beispiel in der politischen Bildung, um die Russlanddeutschen zu erreichen. Er berichtet von prorussischen, rechtspopulistischen Organisationen, die sich in den vergangenen zwei Jahren etabliert hätten. Sie versuchten dort, wo es nichts gibt, in die Lücken zu stoßen: darunter die Deutsch-Russische Bruderschaft und Systema-Kampfsportschulen. Es habe auch einen Versuch der Unterwanderung der Landsmannschaft von dieser Seite gegeben, weshalb man eine Gruppe verklagt habe. Wie berichtet sollen damalige Mitglieder der Landsmannschaft auf Seiten im Internet und in sozialen Netzwerken im Namen des Verbands Werbung für die kritischen Organisationen gemacht haben.

Dass das Internet und gerade soziale Netzwerke eine große Rolle spielen, wird immer wieder deutlich. So erzählt Jürgen Arnhold von einer Seite im Sozialen Netzwerk Facebook, die „Der Russen Treff“ heißt und gerade bei Anfang-20-Jährigen sehr beliebt sei: die Seite habe 116 000 „Likes“, was sehr viel ist. Vor allem Positives finde sich auf der professionell gemachten Seite, Beiträge, die einen Stolz machten auf die Herkunft, Beiträge, die Emotionen weckten. So könne es dazu kommen, dass sich die zweite oder dritte Generation radikalisiert. Über die Entbehrungen und Diskriminierungen, die die älteren Generationen in Russland erlebten, wissen sie zu wenig. „Wenn man erfolgreich politische Bildung machen will, führt kein Weg an sozialen Medien vorbei“, ist sich Arnhold sicher.

Hetze in russischem sozialen Netzwerk

Aytekin Celik, Bildungsreferent beim Stadtjugendring und Dozent an der Dualen Hochschule, macht vor allem das russische soziale Netzwerk VK.com Sorgen – dort tummelten sich viele Rechtspopulisten, aber auch unpolitische russischsprachige Menschen. Auf VK.com könne man „so richtig hetzen“. Celik fragt sich, warum es vor allem junge Leute sind, die den radikalen Parolen auf den Leim gehen. Das Problem Altersarmut, von dem Strohmaier unter anderem berichtet hat, betrifft sie nicht. Der Bildungsreferent schlägt ganz konkret ein Medienprojekt in Stuttgart vor, bei dem die Hetze analysiert wird, um dieser Contra zu bieten: eine konkrete Idee, von der Gari Pavkovic angetan ist.

Gerade für zurückgelassene Jugendliche biete die Identifikation mit Putin die Option, sich als etwas besonderes zu fühlen, weiß Raimund Haser, der bei der CDU für die Vertriebenen zuständig ist. Er glaubt, dass man vor allem an den Schulen ansetzen muss – auch an den Berufsschulen. Denn bei anderen Projekten beteiligten sich meistens die, die man ohnehin erreiche. „Das Problem sind aber die, die wir nicht erreichen“, betont Haser.