Der Altbau der Realschule ist innen mit zweiten Fluchtwegen ausgestattet worden. Foto: Patricia Sigerist

Die Rumold-Realschule in Kernen bekommt einen zweiten Fluchtweg. Das Problem: bei den Türen beißen sich Brandschutz und Amokschutz.

Kernen - Die Rumold-Realschule in Rommelshausen ist, seit die Gemeindeverwaltung den Brandschutz kürzlich ertüchtigt hat, für die Schüler sicherer geworden – allerdings nur im Fall eines Brands. Es stellt sich jetzt heraus, dass der vor Jahren eingebaute Schutz vor Amokläufern wegen des Brandschutzes ein wenig wieder aufgeweicht werden musste. Gemeinderäte wie Christoph Schönleber (SPD) reagieren mit Verwunderung und Kopfschütteln. Der stellvertretende Leiter des Bauamts im Rathaus Kernen, Thomas Bauer, betont allerdings: „Der Brandschutz hat einen gesetzlichen Hintergrund. Wir müssen die verlangten Arbeiten ausführen, wir können gar nicht anders.“

Landratsamt: Schüler sollen einen zweiten Fluchtweg bekommen

Was das Landratsamt als Baurechtsbehörde verlangt, ist für alle Schüler ein zweiter Fluchtweg, falls einmal der erste – Flur und das Treppenhaus – durch Feuer versperrt oder einen Brand verraucht sein sollte. Um sich vor dem Feuer und den gefährlichen Rauchgasen in Sicherheit zu bringen, können Rumold-Schüler jetzt durch neue Verbindungstüren in angrenzende Klassenzimmer flüchten und sich dann durch eine Außentüre und eine der jetzt zwei Außentreppen retten. Das kann in einem Brandfall Leben retten. Jeweils drei bis vier Klassenzimmer bilden so einen zweiten Fluchtweg. Das war teuer: Ein Teil der neuen Verbindungstüren musste in den Beton gesägt werden. Für andere mussten die Handwerker Mauerwerk durchbrechen, für die Außentüren sogar die Fassaden. Die Gemeinde Kernen hat 137 000 Euro für die Arbeiten ausgegeben.

Der Brandschutz hat heutzutage Vorrang

Den unbestreitbaren Sicherheitsgewinn gibt es allerdings nicht in jeder Situation. Nicht zu allen Zeiten standen der Feuerschutz, zweite Fluchtwege, Bildung von Brandabschnitten und ähnliches im Gebäude im Vordergrund. Vor mehreren Jahren, in der Zeit nach dem Amoklauf von Winnenden im Jahr 2009, herrschte ein anderes Thema vor. Damals empfanden es viele Eltern als beruhigend, dass die Gemeinde Kernen unabhängig von der Wahrscheinlichkeit eines weiteren solchen Amoklaufs die Schulen dagegen sicherte. Die Rumold-Realschule erhielt zum Beispiel wieder eine Durchsageanlage. Um einem möglichen Amokläufer den Zugang zu den Klassenzimmern zu erschweren, wurde jede Türe von innen abschließbar. Jede Klasse, die von einem Amoklauf im Gebäude erfährt, sollte sich abriegeln können, auch ohne anwesende Lehrerin, also ohne Schlüssel. Daher hat die Gemeinde die Klassenzimmertüren mit nur von innen bedienbaren Drehknäufen ausgerüstet. Dazu kamen Beschilderungen zur Orientierung für Polizei und Rettungskräfte und Alarmpläne. Auch damals hat die Gemeinde eine fünfstellige Summe ausgegeben.

Das Geld war gut eingesetzt, aber der Brandschutz hat heutzutage Vorrang. Wegen der neuen Verbindungstüren kann sich jetzt bei einem Amokalarm nicht mehr jede Klasse einzeln abschotten. Ein hoffentlich nie in Kernen auftretender Amokläufer hätte im schlimmsten Fall, nämlich wenn er sich in einem Klassenzimmer bereits Zutritt verschafft hat, freie Bahn, um sein mörderisches Werk in bis zu drei weiteren Klassenzimmern entlang einem Fluchtweg anzurichten. „Das ist nicht zu verhindern“, sagt Thomas Bauer. Denn die Fluchttüren zwischen den Klassenzimmern dürfen aus Brandschutzgründen niemals abgeschlossen werden. Das geht in der Rumold-Realschule auch gar nicht. Schlüssellöcher und dazu gehörige Schlüssel gibt es nicht. Allerdings klappt der ungewollte Zugang eines Übeltäters auf diesem Weg nur in eine Richtung, nämlich zur Außentreppe hin. Entgegen der Fluchtrichtung können die Verbindungstüren nicht benutzt werden. Als Beruhigung mag dienen, dass ein Amoklauf ebenso wie ein verheerender Brand einer Schule selten vorkommt.

Die Ausrüstung gegen Amokläufe wird nicht entwertet

„Brandschutz und Schutz bei einem Amoklauf sind zwei widersprüchliche Themen“, kommentiert Thomas Bauer im Rathaus. „Flucht- und Rettungswege müssen einerseits jederzeit nutzbar sein. Andererseits will man Leute aussperren. Das beißt sich.“ Allerdings will der Gemeindebedienstete die bisherige Ausrüstung gegen Amokläufe mit den Drehkäufen gegen Zutritt vom Flur aus nicht als völlig entwertet ansehen. Er hat sich auch die Frage gestellt, wie die Gemeinde wohl verfahren wäre, wenn der Schutz vor Amokläufern erst nach dem Brandschutz hätte eingerichtet werden sollen. Er sagt: „Wir hätten es genauso gemacht. Es gibt einfach keine andere sinnvolle Möglichkeit.“ Insofern ist auch kein Geld verschleudert worden, wie Gemeinderat Schönleber noch impulsiv vermutete, als das Thema im Technischen Ausschuss des Gemeinderats aufkam.