Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer mit seinem Anwalt, dem Ex-Grünen-Politiker Rezzo Schlauch. Foto: dpa/Christoph Schmidt

Der Tübinger Oberbürgermeister lässt seine Parteimitgliedschaft bei den Grünen ruhen. Die Grünen-Vorsitzenden sehen das als Sanktion für Palmers Verhalten – der aber will das so nicht stehen lassen.

Es ist das – zumindest vorläufige – Ende eines langen Konflikts und ein Kompromiss: Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer lässt seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende des Jahres 2023 ruhen. Am Sonntag haben der Politiker und der baden-württembergische Landesvorstand der Grünen dem Vergleichsvorschlag zugestimmt, den das Landesschiedsgerichts am Samstag im Parteiordnungsverfahren gegen Palmer gemacht hatte. Damit ist ein Parteiausschluss vorerst vom Tisch.

„Den Streit auf diese Weise zu beenden, scheint mir sinnvoll“ schrieb der Tübinger Oberbürgermeister am Sonntag als Reaktion bei Facebook. Der Vergleichsvorschlag sichere, dass er auch weiterhin Mitglied der Grünen sei. „In Überzeugung und Taten bleibe ich ohnehin grün“, so Palmer.

2023 sollen Palmer und die Partei Gespräche über die Zukunft aufnehmen

Auch die Landesvorsitzenden der Grünen – Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller – zeigten sich nach der Annahme des Vergleichsvorschlags durch den Landesvorstand der Grünen erleichtert. „Das Landesschiedsgericht hat mit seinem Vergleichsvorschlag einen Weg aufgezeigt, der es uns als Partei ermöglicht, diese aufreibende Debatte hinter uns zu lassen und den Fokus wieder voll und ganz auf die inhaltliche Arbeit zu richten“, erklärten sie am Sonntag in Stuttgart. Die zurückliegenden Debatten über die Äußerungen von Palmer hätten regelmäßig politische Kräfte der Partei gebunden und wichtige inhaltliche Diskussionen überlagert.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Ausschlussverfahren von Boris Palmer – Das sagen seine grünen OB-Kollegen

Hintergrund des Parteiordnungsverfahrens waren verschiedene Verstöße Palmers gegen „Grundsätze und Ordnung der Partei“ – so heißt es in dem Vorschlag. Es ging um teils provokante Äußerungen des Kommunalpolitikers, beispielsweise um von vielen als rassistisch eingestufte Äußerungen des 49-Jährigen über den ehemaligen Fußballspieler Dennis Aogo: Palmer hatte in einer Debatte auf Facebook das N-Wort benutzt.

Die Grünen hatten deshalb Anfang Mai 2021 bei einem Landesparteitag beschlossen, ein Ausschlussverfahren gegen den wegen seiner Provokationen umstrittenen Tübinger Rathauschef einzuleiten. Im November hatte der Landesvorstand der Grünen dann den Parteiausschluss beantragt. Schon damals war von einem möglichen Kompromiss die Rede. Am vergangenen Samstag schlug nun das Landesschiedsgericht die zeitlich befristete Lösung vor.

Die Grünen wollen sich nun wieder anderen Debatten widmen

Der Kompromiss sieht neben der ruhenden Mitgliedschaft auch vor, dass Palmer und die Grünen im Jahr 2023 Gespräche darüber aufnehmen, wie der Politiker „zukünftig kontroverse innerparteiliche Meinungen äußern könnte unter Beachtung der Grundsätze und Ordnung der Partei“. Damit zeige der Vergleich einen Weg auf, künftig wieder „in geordneten innerparteilichen Verfahren zusammenzuarbeiten“, erklärte die Parteispitze. So solle künftig Konflikten mit den Grundsätzen der Partei vorgebeugt werden.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Grünen-Landesspitze rechtfertigt Ausschlussverfahren

Palmers Anwalt Rezzo Schlauch hatte nach der Anhörung am Samstag laut der Deutschen Presseagentur gesagt, dass das Schiedsgericht die Verhandlung sehr gut und mit hoher Sachkompetenz geführt habe: „Man kann es sich eigentlich nicht besser, nicht professioneller, nicht seriöser wünschen“, so Schlauch.

Palmer zitierte in seiner Reaktion am Sonntag Ministerpräsident Winfried Kretschmann: Dieser habe vor einigen Wochen gesagt, er sehe nicht, wer bei diesem Ausschlussverfahren etwas gewinnen solle. „Das sehe ich auch so“, schrieb Palmer. Das Wesen eines Vergleichs sei es, dass man sich nicht in vollem Umfang durchsetze.

Das letzte Wort in dem Konflikt scheint noch nicht gefallen

Das wiederum wollten Boris Palmer und sein Anwalt so nicht stehen lassen. In einer zweiten Reaktion ließ Palmer am Sonntag Rezzo Schlauch erneut zu Wort kommen, der der Darstellung der beiden Landesvorsitzenden prompt widersprach. „Die Behauptung, der Vergleich sanktioniere das Verhalten meines Mandanten, ist irreführend“, so Schlauch. Für die Beilegung eines Streits sei ein Entgegenkommen beider Seiten erforderlich.

Sein Mandant stimme zu, seine Mitgliedsrechte ruhen zu lassen, so zitiert Palmer den Anwalt bei Facebook. „Er wird also nicht bestraft, sondern trägt seinen Teil dazu bei, den Konflikt zu befrieden.“ Der Landesvorstand müsse umgekehrt hinnehmen, dass das Ansinnen, Palmer aus der Partei zu entfernen, gescheitert sei.

Dass seine Parteimitgliedschaft nun ruht, bedeutet für Palmer etwa, dass er nicht für Parteiämter kandidieren kann und bei Versammlungen nicht abstimmen darf. „Die Kandidatur für das Amt des Oberbürgermeisters ist davon unberührt“, schreibt er bei Facebook. In Tübingen steht im Herbst die Wahl an, zu der Palmer als unabhängiger Kandidat antritt. Sollte er wiedergewählt werden, so Palmer bei Facebook, wäre er ab dem 1. Januar 2024 – also nach Ablauf der ruhenden Mitgliedschaft – wieder einer der wenigen grünen Oberbürgermeister im Ländle, „auf die sich die Partei uneingeschränkt stützen kann“.