Abschied auf Raten: Die AfD-Parteivorsitzende Frauke Petry verlässt am Montag vorzeitig eine gemeinsame Pressekonferenz. Foto: dpa

Frauke Petry verlässt endgültig die AfD. Diese Nachricht platzt mitten in die konstituierende Sitzung der neuen Bundestagsfraktion. Doch die neuen Parlamentarier haken das schnell ab. Die Fraktion ist sich einig: Eine Revolte werde es in der Partei nicht geben.

Berlin - Im Anhörungssaal des zum Bundestag gehörenden Maria-Elisabeth-Lüders- Hauses läuft die Sitzung. 93 neue Abgeordnete der AfD-Bundestagsfraktion haben sich dort zum ersten Mal versammelt. Das Geschehen im Sitzungssaal ist vom Foyer durch eine Glasfront zu beobachten. Über den Sitzreihen hängen Bildschirme mit der Aufschrift: „Alternative für Deutschland: Fraktion im Deutschen Bundestag.“ Die AfD hat die Bundestagsverwaltung um diesen Saal gebeten, weil sich dort das Geschehen aufzeichnen lässt. „Das ist ein historischer Tag“, sagt ein Parteimitarbeiter. Es ist die konstituierende Sitzung. Vor dem Saal bauen sich Kamerateams auf, die Stellungnahmen zum Rücktritt der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry einfangen wollen. Doch die Journalisten müssen warten.

Die neuen Abgeordneten machen unbeeindruckt weiter

Die neuen Abgeordneten setzen ihre Arbeit so fort, als sei nichts passiert. Natürlich haben die neuen Parlamentarier die Eilmeldungen von Petrys Rückzug auf ihren Smartphones gelesen. „AfD-Chefin kündigt Parteiaustritt an“, heißt es dort. Doch in der Sitzung ist die Nachricht kein Thema – zumindest nicht offiziell. Die Abgeordneten zeigen sich die Meldung auf dem Handy und tuscheln – doch das Programm geht weiter. „Das ist völlig unbedeutend für die AfD“ , sagt der nordrhein-westfälische Landessprecher Martin Renner, der kurz vor die Tür geht, um zu rauchen. So ähnlich schildern das alle Mandatsträger. Die Abgeordneten in Berlin haben Petry abgehakt. „Ziehende soll man nicht aufhalten“, sagt Marc Bernhard, der stellvertretende Sprecher der baden-württembergischen Landesgruppe der AfD. „Es ist besser so“, fügt er hinzu.

Nach Petrys Rückzug auf Raten kommt der Bruch für die Partei nicht überraschend. Muss die AfD nicht befürchten, dass weitere Funktionäre und Mitglieder Petrys Beispiel folgen? Die Mitglieder der Bundestagsfraktion geben sich gelassen. Aus der AfD-Bundestagsfraktion werde sich keiner Petry anschließen, sagt der NRW-Abgeordnete Renner. Ähnlich lautet auch die Einschätzung des baden-württembergischen Abgeordneten Bernhard: Weder in der Bundestagsfraktion noch in der Fraktion des baden-württembergischen Landtags werde Petry Nachahmer finden. Tatsächlich lassen sich in Berlin keine Anzeichen für eine Revolte ausmachen. Statt über Petry spricht die Fraktion mit Eifer über die neue Satzung der Fraktion. Später sollen dann die Fraktionsvorsitzenden gewählt werden. Die Spitzenkandidaten Alice Weidel und Alexander Gauland sitzen an der Stelle, an der in diesem Sitzungssaal sonst die Ausschussvorsitzenden Platz nehmen: Es zeichnet sich ab, dass die beiden Führungsleute der Fraktion vorstehen werden. Hier entsteht auch das neue Machtzentrum der AfD.

Gründet Petry eine neue Partei?

Hat sich Frauke Petry verkalkuliert? Ein Abgeordneter, der von der ersten Stunde an dabei ist, rechnet damit, dass Petry nachlegen wird. „Alles deutet darauf hin, dass sie eine neue Partei gründen wird“, sagt er. Anzeichen dafür sind klar erkennbar. Auch Petrys Ehemann, der nordrhein-westfälische Fraktionsvorsitzende Marcus Pretzell, kündigt an, die Landtagsfraktion und die Partei zu verlassen. Pretzell betreibt eine merkwürdige Art von Ämterhäufung. Er sitzt für die AfD auch noch im Europaparlament. Er soll seine Ankündigung mit der „pessimistischen Einschätzung über den Zustand der Partei“ begründet haben. In Berlin heißt es, dass Pretzell in Nordrhein-Westfalen höchstens zwei bis drei Abgeordnete folgen würden. „Das werden ganz wenige sein“, sagt der AfD-Landesvorsitzende Renner.

Dass Petrys Rückzug allenfalls ein Schulterzucken in den Parteigliederungen auslöst, hängt auch damit zusammen, dass die meisten damit gerechnet haben. Spätestens seit ihrer Ankündigung vom Vortag, dass sie der neuen Bundestagsfraktion nicht angehören will, hat die AfD ihre ehemalige Frontfrau abgehakt. Petry begründete ihr Verhalten mit „abseitigen Positionen“ des Spitzenteams. Sie sieht die AfD vollends in die rechte Ecke abdriften und wirbt für einen realpolitischen Kurs. Schon auf dem Parteitag im April erlitt Petry mit diesem Vorstoß eine Niederlage. Daraufhin zog sie sich zurück. An den Sitzungen des Bundesvorstandes in Berlin und den Telefonkonferenzen nahm die Parteichefin nicht mehr teil. Auch im Wahlkampf spielte sie nur eine untergeordnete Rolle. Der wechselseitige Prozess der Entfremdung dauert schon eine ganze Weile an. Mit dem Schließen der Wahllokale weiß die AfD, dass es auch ohne Petry geht. Die AfD erreichte fast 13 Prozent.

Die Galionsfiguren der AfD sind nun der 76-jährige Alexander Gauland und die 38-jährige Alice Weidel. Als Petry am Dienstag ihren Rückzug ankündigt, gelten Gaulands Gedanken ganz der Arbeit der Fraktion. Am ersten Tag geht es um die Geschäftsordnung. Satzungsfragen sind in der AfD wichtig, denn sie entscheiden über Macht und Einfluss. Als einige Fernsehjournalisten in der Mittagspause Gauland um einen Kommentar zu Petry bitten, geht er weiter und reiht sich in die Essenschlange ein. Erst später nimmt er Stellung. Gauland sagt gegenüber der StZ: „Petrys Entscheidung ist konsequent.“ Aus Gaulands Sicht habe die Vorsitzende der AfD geschadet. Zunächst in einem Interview kurz vor der Wahl, in dem sich Petry von der AfD distanziert, dann lässt sie nach der Wahl am Montag eine Pressekonferenz platzen und kündigt vor laufenden Kameras an, nicht der Bundestagsfraktion angehören zu wollen.

Gauland lässt keine Zweifel daran, dass sich dies die AfD nicht hätte bieten lassen. „Ich bin kein Freund von Parteiausschlussverfahren“, sagt der Politiker, der über Jahrzehnte hinweg für die CDU tätig war. Aus Gaulands Worten klingt auch Erleichterung: Wenn Petry mit ihrem Rückzug der Partei ein förmliches Ausschlussverfahren erspart, dann sei dies im Sinne der AfD.

Im Bundestag entsteht ein neues Machtzentrum

Für die neuen Abgeordneten steht jetzt ihr Job im Bundestag im Vordergrund. Petry ist für sie Vergangenheit. Der baden-württembergische AfD-Abgeordnete Marc Jongen meint, dass Petrys Verhalten keine Kreise ziehen wird. „Das wird nur ein Knalleffekt bleiben.“ Ihr Verhalten erklärt Jongen mit Kränkungen und verlorenen Machtkämpfen. Gleichwohl bedauert er diese Entwicklung. Petry habe Wichtiges für die AfD geleistet.

Doch die AfD will jetzt nach vorn blicken. Erst auf dem Parteitag im Dezember soll ein neuer Bundesvorstand mit Vorsitzenden gewählt werden. Bis dahin soll der AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen, der im Wahlkampf sehr präsent war, das Amt allein ausführen. Die beiden Vorsitzenden Jörg Meuthen und Frauke Petry haben in den vergangenen Monaten ohnehin nicht miteinander gesprochen.

Mit der Bundestagsfraktion entsteht nun eine neue Einflussgröße. Die Parlamentarier bereiten sich mit viel Energie auf ihre Arbeit vor. Am ersten Tag tagen sie noch abgeschieden in dem Gebäude, in dem die Bundestagsbibliothek untergebracht ist. Wo sich der künftige Fraktionssaal der AfD befindet und die Abgeordneten arbeiten werden, das müssen die Fraktionen im vorläufigen Ältestenrat noch klären. Bis jetzt sind die Parlamentarier noch dabei, sich zurechtzufinden. Bis auf Petry sind alle AfD-Abgeordneten zur konstituierenden Sitzung am Dienstag erschienen.

Der Tag eins beginnt für die Abgeordneten unspektakulär. Die Bundestagsverwaltung hat vor dem Fraktionssaal Tische aufgebaut, an dem sich die neuen Parlamentarier melden. Dort erhalten sie einen Ordner mit Unterlagen. Enthalten sind der Abgeordnetenausweis und die vorläufige Netzkarte für die Deutsche Bahn. Damit reisen die Abgeordneten kostenlos in den Zügen der ersten Klasse. Auch Petry kommt in den Genuss der Vorteile, wenn sie sich in Berlin meldet. Sie wird als fraktionslose Abgeordnete im Plenarsaal Platz nehmen.

Die AfD-Fraktion will mit ihr nichts mehr zu tun haben.