Innenminister Horst Seehofer (CSU) ist erneut in die Kritik geraten. Foto: AFP

Nach dem Suizid eines nach Afghanistan abgeschobenen 23-Jährigen ist der Innenminister stark in die Kritik geraten. Er habe sich menschenverachtend über die Abschiebung geäußert. Doch in diesem Fall geht die Kritik an Seehofer zu weit, kommentiert Norbert Wallet.

Berlin - Horst Seehofer hat in den letzten Wochen viele Gründe dafür geliefert, warum Rücktrittsforderungen an ihn durchaus gerechtfertigt sind: von seinen bösen Kommentaren zur Kanzlerin, über sein geradezu erpresserisches Taktieren in Sachen Zurückweisungen von Flüchtlingen an der Grenze bis zur Sache selbst - seinem rigiden Asylkurs, der ausdrücklich nationalen Alleingängen den Vorzug vor europäischer Solidarität gibt. Und täglich scheint ein neuer Grund hinzuzukommen. Diesmal allerdings nicht der, der ihm nun öffentlich entgegenschlägt.

Tatsächlich sieht sich der Bundesinnenminister einer Empörungswelle gegenüber. Er hatte bei der Vorstellung seines Masterplans Migration auf die wachsende Zahl vollzogener Abschiebungen hingewiesen. Und er hat über den Zufall geschmunzelt, dass am Tage seines 69. Geburtstages 69 Afghanistanen nach Kabul abgeschoben worden seien - so viel wie noch nie auf einem einzelnen Flug. Nun wird ihm Zynismus und Menschenverachtung vorgeworfen. Die Vorwürf eskalieren, nachdem bekannt wurde, dass sich einer der abgeschobenen Afghanen in einem Kabuler Hotelzimmer erhängt hat.

Auch Seehofer hat Fairness verdient

Seehofer hätte sich das Schmunzeln über die Zahlenkoinzidenz sparen können. Aber zur angemessenen Betrachtung des Falls gehört: Dass eine Erhöhung der Abschiebequote das erklärte Ziel der gesamten Bundesregierung und es somit nicht zynisch ist, wenn der zuständige Innenminister auf diesen „Erfolg“ hinweist. Dass Seehofer weder zum Zeitpunkt seiner Äußerungen von dem Suizid gewusst hat, noch zuständig für die Auswahl der Abzuschiebenden ist. Dass Abschiebungen nach Afghanistan aufgrund des Lageberichtes des Auswärtigen Amtes erfolgen und gegenwärtig nur Straftäter, Gefährder und Menschen abgeschoben werden, die ihre Identität nicht preisgeben wollen. Und dass Seehofer ganz bestimmt nicht den Eindruck erwecken wollte, ihm sei die Zahl der 69 Abgeschobenen sozusagen als Geburtstagsgeschenk dargebracht worden, was wirklich zynisch wäre.

Seehofer gibt viel Angriffsfläche, aber auch er hat Fairness verdient. Manche Äußerungen im Zusammenhang mit dem Tod des 23-jährigen Afghanen lassen diese vermissen. Dabei lieferte das konkrete tagespolitische Handeln Seehofers genug Anlass für in der Sache begründete Kritik. Seehofer muss nun das mühsame Geschäft betreiben, mit den Ländern zu Verträgen zu kommen, die Asylbewerber zurücknehmen sollen. Will er Erfolg haben, muss er Kompromisse schließen. Die Frage ist nur, wie weit er dabei zu gehen bereit ist. Sein gemeinsamer Auftritt mit Italiens Innenminister Salvini legt nahe, dass er zu weit gehen wird. Salvini will in italienischen Häfen keine Schiffe mit aus Seenot geretteten Flüchtlingen mehr aufnehmen. Seehofer rückt diese Position auf die Ebene einer akzeptablen Verhandlungsposition, in dem er ausdrücklich eine Verknüpfung beider Themen - Zurückweisungen und Seenotrettung - akzeptiert.

Diese Politik aber, den Seenotrettern die Arbeit systematisch unmöglich zu machen, ist nun wirklich zynisch und menschenverachtend. Seehofers Rücktritt zu fordern, ist durchaus nicht fernliegend. Aber es sollte mit den richtigen Argumenten geschehen.