An diesem Donnerstag kehrt der deutsche Astronaut Alexander Gerst aus dem Weltraum zurück. Das anstrengendste Abenteuer seiner Mission steht ihm dann bevor: Die harte Landung auf der Erde – und die Gewöhnung an die alltägliche Schwerkraft.
Stuttgart/Köln - Bevor der deutsche Astronaut Alexander Gerst und seine Crewkameraden Sergei Prokopjev und Serena Auñón-Chancellor mit ihren Familien Weihnachten feiern können, haben sie noch ein hartes Stück Arbeit vor sich. An diesem Donnerstag verlassen sie die internationale Raumstation, um mit dem Sojus-Raumschiff wieder in die Atmosphäre einzutreten und nach Kasachstan zurückzukehren. Die Landung fühle sich an wie ein Dutzend Explosionen, gefolgt von einem Autounfall, beschrieb der kanadische Astronaut Chris Hadfield diese Rückkehr einmal.
Auch wenn der Flug ruppig wird – die eigentliche Mühsal beginnt erst nach dem Aufschlag in der kasachischen Steppe. Dann, wenn sich die Luke öffnet und die Astronauten gierig das erste Mal seit Monaten frische Luft einatmen. Sie werden aus der Kapsel gezogen, in Decken gebettet und zu einem Zelt getragen, wo Ärzte sie sofort untersuchen. Dann macht sich die Schwerkraft mit Wucht bemerkbar: Für die Astronauten fühlt sich das an, als wären sie schlagartig um Jahrzehnte gealtert.
Hatten sich Blut und Lymphe zuvor in der Schwerelosigkeit überall im Körper gleich verteilt, sacken sie nun mit einem Schlag nach unten. Das sorgt für dicke Beine, einen benebelten Kopf und Schwindel. Gleichzeitig fällt jede Bewegung plötzlich schwer – nachdem monatelang ein Fingerstups genügte, um elegant durch die Raumstation zu schweben. Das Handy, mit dem sie ihre Familien anrufen können, liegt wie Blei in ihrer Hand. Und die Umstellung in Sachen Schwerkraft kann, genau wie bei der Ankunft in der Schwerelosigkeit, heftige Übelkeit bereiten. Um all diese Effekte abzumildern, werden die Astronauten zunächst so viel wie möglich getragen. Sie bekommen Infusionen und können sich später in den eigens dafür ausgerüsteten Hubschraubern und Flugzeugen in richtige Betten legen. Um Schwindelanfälle durch spontane Kopfbewegungen zu vermeiden, nehmen viele sogar ihre ersten Duschen im Sitzen.
Nach seiner letzten Mission schien es, als habe Gerst den Aufenthalt im All gut verkraftet
Alexander Gerst war 2014 der erste europäische Astronaut, der – begleitet von einem Fliegerarzt der Esa – direkt aus Kasachstan nach Deutschland zurückkehrte. Es schien, als hätte er den Aufenthalt im All außergewöhnlich gut verkraftet. Er verließ das Flugzeug in Köln damals aufrecht und fröhlich winkend – zum Erstaunen älterer Kollegen wie Thomas Reiter und auch seiner medizinischen Betreuer. „Wir konnten das damals kaum fassen“, erinnert sich die Ärztin Claudia Stern, die seit 22 Jahren Astronauten betreut. Ein Grund mag gewesen sein, dass Gerst mit den drei Trainingsgeräten an Bord der Station wie vorgeschrieben diszipliniert täglich trainiert hatte.
Doch selbst wenn er sich dieses Mal ähnlich vorbildlich um seinen Körper gekümmert hat, würde Claudia Stern nicht darauf wetten, dass es wieder genauso problemlos läuft. Das Training verhindert zwar den Abbau von Muskelmasse in den großen, oberflächlichen Muskelgruppen, nicht aber den Abbau in den tief liegenden, kleinen Muskeln, erklärt Astronautentrainer André Rosenberger. Deshalb haben Astronauten in den ersten Tagen ständig Muskelkater – allein aufgrund der Anstrengung, die es für sie bedeutet, aufrecht zu gehen. Hinzu kommt ein Verlust von bis zu 20 Prozent Knochenmasse. Um das auszugleichen, brauche auch ein trainierter Körper ein bis zwei Jahre, sagt Claudia Stern. Hinzu kommt, dass auch Gerst seit dem ersten Flug vier Jahre älter geworden ist.
In der ersten Woche nach der Rückkehr ist sein Risiko, sich ernsthaft zu verletzen, besonders groß. Weil das Immunsystem heruntergefahren ist, stecken sich Astronauten leicht an. Studien zufolge erleidet außerdem etwa jeder zehnte US-Astronaut einen Bandscheibenvorfall, sagt André Rosenberger. Am höchsten ist das Risiko in der Woche direkt nach der Landung. Den europäischen Astronauten blieb das bisher erspart. Will Gerst also wie angekündigt unter dem Weihnachtsbaum Liegestützen machen, muss er dabei extrem vorsichtig sein – auch wenn Krafttraining, bei dem man mit dem Eigenwicht des Körpers arbeitet, aus Sicht des Sportmediziners Rosenberger prinzipiell der richtige Weg ist. Damit beginnen die Astronauten am ersten Tag nach der Rückkehr. Drei bis vier Wochen lang trainieren sie von nun an betreut. Dabei dürfen sie erst nach und nach auch wieder laufen. Während der Umstellung gehen sie dafür auf ein spezielles Laufband namens Alter G. Hier können sie hydraulisch ihr Gewicht um bis zu vier Fünftel reduzieren. Einerseits trainieren sie so ihre Ausdauer auf dem gleichen Level wie in der Schwerelosigkeit und gewöhnen gleichzeitig ihre Muskulatur langsam wieder an die neuen Kräfte. Das Gerät wird inzwischen auch bei Rehapatienten eingesetzt.
Fast zwei Drittel der Astronauten erleiden nach der Rückkehr Veränderungen an den Augen
Doch wie die vergangenen Jahre gezeigt haben, sind nicht die Muskeln das größte Problem bei Astronauten, die mehrere Monate im All waren – sondern die Augen. Fast zwei Drittel von ihnen erleiden nach ihrer Rückkehr Veränderungen an den Augen. Teilweise verkürzt sich der Augapfel, was zu Weitsichtigkeit führt. Es kommt aber auch zu Veränderungen an der Netzhaut. Warum das so ist, ist bislang noch unklar, sagt Fliegerärztin Claudia Stern, die sich auf Augenheilkunde spezialisiert hat. Es könnte mit dem erhöhten Kohlendioxidgehalt der Atemluft an Bord der Raumstation zu tun haben. Der US-Astronaut Scott Kelly, der ein ganzes Jahr auf der ISS verbrachte, beklagte diesen Umstand besonders. Er habe am Ende seines Aufenthalts am Grad seiner Reizbarkeit ablesen können, ob der Kohlendioxidgehalt der Luft wieder einmal gestiegen sei, schreibt Kelly in seinem Buch „Endurance“.
„Dieses Problem muss auf jeden Fall noch gelöst werden, bevor man zu einer noch längeren Mission ins All aufbricht“, sagt Claudia Stern zu den Augenschäden. Sie ist zuversichtlich, dass es gelingt – und dass auch eine Möglichkeit gefunden wird, die Astronauten vor der enormen Strahlung aus dem All zu schützen. „Es ist wie bei einem Puzzle nur eine Frage der Zeit, dass sich die Teilchen neu zusammensetzen und wir wissen, wie man dieses Problem löst.“
So ist der Zeitplan für Alexander Gersts Abschied von der Raumstation
An Bord der Raumstation werden einige Rituale feierlich gepflegt. Die Kommandoübergabe gehört dazu. An diesem Dienstagabend um 22.40 Uhr überträgt die Nasa die Zeremonie live. Gerst zieht dabei Bilanz, der neue Kommandant wird ihm danken – und auch die Bodenstationen werden kurz die Zusammenarbeit Revue passieren lassen. Live übertragen wird außerdem das Ablegen der Kapsel am Mittwoch, den 19. Dezember. Die Übertragung beginnt um 22.45 Uhr. Die Astronauten Alexander Gerst, Sergej Prokopjev und Serena Auñón-Chancellor klettern etwa gegen 23.20 Uhr in ihre Sojus-Kapsel. Das Ablegen wird etwa ab 2.40 Uhr nachts live zu sehen sein: Hier geht es zur Übertragung. Die Landung in Kasachstan wird für Donnerstag, 20. Dezember, um kurz nach 6 Uhr morgens erwartet.
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Hier gelangen Sie zu unserem animierten Spiel "Space-Spätzle", bei dem Sie als Astro-Alex durch die Internationale Raumstation ISS schweben - und drei Minuten Zeit haben, um so viele Spätzle wie möglich zu fangen, bevor diese die Geräte an Bord verstopfen: