Eines der bedeutendsten Ausstellungsstücke des Linden-Museums – diese kleine Elfenbeinmaske – kehrt in Kürze nach Nigeria zurück. Für Museumsdirektorin Inés de Castro ein schmerzhafter, aber richtiger Schritt. Foto: Lichtgut//Leif Piechowski

Am Mittwoch wird in Stuttgart die Rückgabevereinbarung mit Nigeria zu den sogenannten Benin-Bronzen unterschrieben. Dann heißt es, Abschied nehmen von bedeutenden Ausstellungsobjekten. Das Museum gewinnt dadurch aber auch etwas: Vertrauen.

Für den ungeschulten Betrachter ist es nur eine kleine weiße Maske. Für Inés de Castro dagegen ist es das „Herzstück“ der Stuttgarter Benin-Exponate, ein Objekt von herausragender Bedeutung. Die Direktorin des Linden-Museums verhehlt nicht, wie schwer es ihr fällt, sich davon zu trennen – nicht vorübergehend, sondern für immer. Beim Anblick der in einer Glasvitrine ausgestellten Elfenbeinmaske stößt die Ethnologin einen leisen Seufzer aus: „Das tut mir echt weh!“ Immer wieder kehren ihre Blicke zu der Maske zurück, und doch zweifelt de Castro keine Sekunde an der Richtigkeit der Entscheidung.

 

Ein Mittwoch für die Geschichtsbücher

An diesem Mittwoch wird sie auch formell besiegelt: Baden-Württembergs Kunstministerin Petra Olschowski, Stuttgarts Kulturbürgermeister Fabian Mayer, der nigerianische Botschafter Yusuf Maitame Tuggar und Abba Ise Tijani, Generaldirektor der nigerianischen Museums- und Denkmalbehörde, werden im Staatlichen Museum für Völkerkunde ihre Unterschriften unter die Rückgabevereinbarung setzen.

Dieser Schritt dürfte bundesweit Beachtung finden, denn das Land Baden-Württemberg und die Landeshauptstadt Stuttgart leisten bei der Restitution, der Rückgabe von Raubkunst, seit Längerem Pionierarbeit. Nach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind sie die ersten öffentlichen Besitzer, die Objekte aus dem ehemaligen Königreich Benin zurückgeben. Weitere werden zeitnah folgen. Köln schließt sich Stuttgart unmittelbar an; von dort gehen zunächst drei Stücke zurück nach Nigeria. Auch die anderen deutschen Museen mit großen Benin-Sammlungen sind zur Rückgabe bereit. Insgesamt handelt es sich um rund 1100 Objekte. In Stuttgart geht es um 70 Sammlungsstücke, deren Eigentumsrechte an den Staat Nigeria übertragen werden. 24 davon verbleiben jedoch als Dauerleihgabe im Linden-Museum. Die Stuttgarter durften sogar vorschlagen, welche Objekte das sein sollten. „Wir haben eine Liste zusammengestellt, und die nigerianische Seite hat diese ohne Abstriche akzeptiert“, sagt de Castro: „Darauf sind wir echt stolz.“ Olschowski lobt die „großzügige Geste von weitreichender Bedeutung“.

Eine „historische Reise“ steht bevor

Möglich wurde das, weil in vielen gemeinsamen Runden eine Vertrauensbasis entstanden ist. Regelmäßig schließt sich de Castro in der sogenannten Benin Dialogue Group mit Vertretern Nigerias und anderer großer ethnologischer Museen in Deutschland und im europäischen Ausland zusammen. Im Laufe der Jahre ist daraus eine gemeinsame Haltung und Überzeugung gewachsen. Am Ende war es die Stuttgarter Museumsdirektorin selbst, die vorschlug, die Elfenbeinmaske zurückzugeben, obwohl oder gerade weil dieses Objekt für das Linden-Museum einen „ikonischen Charakter“ hat. Die kleine Maske steht nicht nur stellvertretend für die Stuttgarter Benin-Objekte, sondern für das Linden-Museum insgesamt. Jahrzehntelang war sie ein Erkennungsmerkmal des Hauses. Eine Art Emblem.

Das Herzstück als Siegel des Vertrauens

Für de Castro ist klar: Kein anderes Exponat ist besser geeignet, glaubwürdig darzulegen, dass man sich der kolonialen Geschichte stellt. „Wenn wir es ernst meinen, dann geben wir das Herzstück zurück“, sagt die Museumschefin. Kunstministerin Olschowski unterstreicht das: „Das Land Baden-Württemberg bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung bei der Aufarbeitung des Kolonialismus.“ Eine aktive Auseinandersetzung mit dessen Folgen sei ohne Rückgaben in relevantem Umfang nicht denkbar. Die Vertragsunterzeichnung am Mittwoch ist für sie daher ein „historischer Termin“: „Besonders wichtig ist mir die Übergabe des ersten Objekts an die Vertreter Nigerias – die Elfenbeinmaske der Königinmutter Idia, die von höchstem symbolischen Wert ist.“ Gemeinsam mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth wird sie die wertvolle Schnitzerei am 18. Dezember nach Nigeria begleiten. Auch Direktorin de Castro gehört zu der 80-köpfigen Delegation. Sie spricht ihrerseits von einer „historischen Reise“.

Britische Truppen plünderten Benin-City

Die Geschichte der kleinen weißen Maske ist gewalttätig und verschlungen. Sie beginnt im 16. Jahrhundert. So alt wird die kunstvoll gearbeitete, zehn Zentimeter breite und 21 Zentimeter hohe Arbeit aus Glas, Koralle, Elfenbein und Pflanzenfaser geschätzt. Zu einer kolonialen Geschichte entwickelt sie sich im Jahr 1897. Damals erstürmten britische Truppen in einer Art Strafaktion Benin-City, die Hauptstadt des widerstrebenden Königreichs Benin im heutigen Nigeria. Sie verschleppten König Ovonramwen und raubten seine Schätze aus Bronze, Holz und Elfenbein, die heute unter dem Begriff Benin-Bronzen bekannt sind. Darunter war auch die Miniaturmaske, die einst für zeremonielle Zwecke verwendet wurde. Sie stellt eine legendäre Königinmutter – Idia – dar, die zur Blüte des Königreichs Benin im 16. Jahrhundert beigetragen hatte. Als die Briten die Maske aus dem Schlafzimmer des Königs raubten, war sie bereits eine Antiquität.

Seit 1964 in Stuttgart

Das Raubgut, darunter vier vergleichbare Masken, die heute unter anderem im British Museum in London und im New Yorker Metropolitan Museum lagern, gelangte nach dem Beutezug in den Kunsthandel und von dort aus vielfach in Museen. Die Stationen und Besitzerwechsel des Stuttgarter Exemplars sind gut dokumentiert. 1964 erwarb das Land Baden-Württemberg die Maske von einem britischen Händlerpaar. Die anderen 69 Benin-Objekte des Linden-Museums befinden sich größtenteils bereits seit 125 Jahren in Stuttgart; sie gehörten bisher zur Hälfte dem Land und der Stadt.

Mit der Vertragsunterzeichnung am Mittwoch wird auch bekannt geben, welche 24 Objekte als Dauerleihgaben in Stuttgart bleiben werden. So viel steht fest: Es werden bedeutende Ausstellungsstücke sein. „Es war Nigeria superwichtig, dass wir gute Objekte behalten“, sagt Fiona Siegenthaler, Afrika-Kuratorin des Linden-Museums. Die nigerianischen Partner verfügten über eine große Expertise. Sie wollten, dass die Geschichte Afrikas in Deutschland weiterhin anschaulich gezeigt werden kann. Auch stellt das Linden-Museum mit der Übertragung der Eigentumsrechte an Nigeria auch nicht etwa das Sammeln von afrikanischer Kunst ein. „Restitution ist kein Verlustgeschäft“, betont Direktorin de Castro. „Wir bauen uns als Museum nicht ab.“ Im Gegenteil: „Das ist der Anfang einer noch tieferen Zusammenarbeit.“ Die Direktorin erlebt das Ganze als „positiven Prozess“ mit den afrikanischen Partnern. Dazu passt, dass das Team um de Castro sich gerade intensiv mit der Frage beschäftigt, wie das Museum der Zukunft aussehen könnte. Partizipation spielt dabei eine wichtige Rolle.

In Lagos entsteht ein hochmodernes Museum

Am Museum der Zukunft wird aktuell auch in der nigerianischen Millionenstadt Benin-City gebaut, der neuen, alten Heimat der Elfenbeinmaske. Dort entsteht mit finanzieller Unterstützung aus Deutschland ein moderner Museumskomplex: das Edo Museum of West African Art. Es setzt Maßstäbe. „Von so einem Bau können wir als Linden-Museum nur träumen“, schwärmt Inés de Castro. Die Maske und die anderen Stuttgarter Benin-Objekte sieht sie dort bestens aufgehoben.