"Kosmos Rudolf Steiner" Foto: dpa

Im Kunstmuseum Stuttgart wird das Leben und Werk Rudolf Steiners panoramaartig präsentiert.

Stuttgart - In Stuttgart erwirbt der Zigarettenfabrikant Emil Ott auf der Uhlandshöhe 1919 ein Ausflugslokal und lässt es unter direktem Bezug auf den Firmennamen Waldorf-Astoria zur ersten freien Waldorfschule umbauen. Wie weitere Ideen Realität wurden, zeigt die Ausstellung "Kosmos Rudolf Steiner".

Können Wände Körper sein oder gar ein Wesen haben? Der britische Bildhauer Anish Kapoor bejaht diese Frage als Souverän der Form. "When I Was Pregnant" heißt seine Arbeit im großen Erdgeschossraum des Kunstmuseums Stuttgart. Mit ihr beginnt die am Freitag eröffnete Ausstellung "Kosmos Rudolf Steiner" nicht, und mit ihr endet sie auch nicht. Sie ist einfach irgendwie da, im besten Sinn selbstverständlich. Und damit ist man mit Kapoor doch wieder mitten in jenem Panorama, das Kunstmuseumsdirektorin Ulrike Groos, ihre Stellvertreterin Simone Schimpf und Matteo Kries vom Vitra Design Museum in Weil am Rhein für den Steiner-Kosmos in Stuttgart erarbeitet haben.

Es ist ein erweitertes Finale, waren doch die Ausstellungsteile "Alchemie des Alltags" und "Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart" zuvor in Weil am Rhein beziehungsweise im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen. Der Part "Rudolf Steiner in Stuttgart" tritt hinzu, mehr noch provoziert die erst in Stuttgart mögliche Verschränkung von Steiners eigener bildnerischer, plastischer, gestalterischer und philosophischer Arbeit mit den internationale Wirkung abbildenden Werken der Gegenwartskunst einerseits und mit den Steiner-Zeitgenossen wie Adolf Hölzel in Sammlungsräumen des Hauses andererseits eine Umkehrung der Einordnung Steiners.

Frisch, wie gerade entstanden, wirkt ja die Tafelzeichnung, die auf dem Weg zu Arbeiten von Oskar Schlemmer und Adolf Hölzel platziert ist. Leuchtend die Primärfarben, jeder Ton für sich gesetzt auf das Schieferschwarz - ein Vulkan in der Stille, der doch den Ausbruch ahnen lässt. Verheeren aber richtet die Wirkungsgeschichte Steiners nicht an. Eher schon erstaunt, dass sie ebenso zu Kapoors wunderbaren Farbräumen und eben auch seiner schwangeren Wand führt wie zur zwar geschwungenen, aber doch kaum schwingenden Farbbahn von Katharina Grosse.

Am 27. Februar jährt sich der 150. Geburtstag Rudolf Steiners. Als Begründer der Anthroposophie ist er den meisten Menschen bekannt. Als Ideen- und Impulsgeber für den Landbau nicht weniger denn für Fragen der Erziehung, des Theaters, der Musik, der Architektur, des Möbelbaus, der Malerei und der plastischen Bildnerei. Der Gedanke, all dies nur unter dem Leitwort "Kosmos" fassen zu können, liegt nahe. Umso mehr, als ein solch breit angelegtes Projekt auch dem Anspruch einer grundsätzlichen Bestandsaufnahme gerecht werden muss. Und so geht es nach dem Ausgreifen der Ausstellung in die ebenerdigen Sammlungsräume des Kunstmuseums hinauf in die drei Geschosse des Glaskubus - und hinein in ein Szenario, das Steiner auf keinem Meter aus den (Vor-)Entwicklungen und Tendenzen der eigenen Lebenszeit zwischen 1861 und 1925 entlässt.

Steiners Ziel: Versöhnung zwischen Mensch und Industrie

Die organische Ornamentik des Jugendstils, die Weltgeist-Heiligkeit des Expressionismus, die formale Konzentration auf das Wesentliche in den "Durchgeistigung" reflektierenden Möbeln des Deutschen Werkbundes - Rudolf Steiner nimmt dies alles ebenso auf wie die Lebensreform-Ideen, die in London wie in Hellerau (Dresden) oder auf dem Monte VeritÕ (Ascona) zu Gartenstadt-Gründungen führen. Das Leben der Maschinenmoderne wieder zu erden, eine Versöhnung des Menschen mit der Rasanz der industriellen Entwicklung zu erreichen, ist das Lebensreform-Ziel und bleibt Steiners Ziel in den kommenden Jahren. Dabei drängt es ihn, den Lehrer und Publizisten, dem die Bearbeitung und Edition der naturwissenschaftlichen Schriften des Dichters Johann Wolfgang von Goethe zu danken ist, zu einer Schärfung der jeweils gültigen Formensprache.

Steiner spitzt zu - in Wort, Bild und Gestaltung - bis hin zu jenem "Stuttgarter Stuhl" (1911), der die dem Bauhaus vorauslaufende Werkbund-Klarheit durch die Dreiecksform der Rückenlehne in tiefste Innerlichkeit verwandelt.

Keine Kompromisse - das ist die Botschaft wie der Sinn dieses Stuhls. Und auch wenn in dieser Ausstellung der Hinweis auf die Gesamtkunstwelt von Hermann Finsterlin fehlt, bleibt doch spürbar, wie unverrückbar Steiners erstes Modell für das als anthroposophisches Versammlungshaus geplante erste Goetheanum die Zeitästhetik konzentriert. Fast hingeworfen wirkt die Gipsform, Gestalten ist für Steiner immer eine Aufforderung, das Angestoßene weiterzudenken.

In Dornach in der Schweiz soll das Goetheanum entstehen, als Totaltheater eines Lebens, das Rudolf Steiner in stetiger Wandlung sieht - und den Menschen entsprechend aufgefordert, nicht nur Teil dieser Metamorphose zu sein, sondern diese auch voranzutreiben. An dieser Stelle nimmt die Ausstellung das Auftakt-Selbstverständnis der Gegenwartskunst mit Arbeiten von Olafur Eliasson wieder auf. Der Dialog überzeugt und macht ganz ohne Zeigefinger auf die Distanz aufmerksam, die zwischen den Entwürfen von Rudolf Steiner und denen seiner Weggefährten unter der 1913 gehissten Flagge der Anthroposophie liegt.

Steiners Aneignung, Verwandlung und kühner Eigenform folgt im Umfeld nur zu rasch Gestalt als Bestätigung. Wo es Steiner im Grunde um Reduktion geht - bis hin zu seinen Entwürfen für Firmenembleme - verstehen zu viele Dornach als Ausweis neubarocker Innerlichkeit. So müssen aber auch in der Gegenwart jene Versuche scheitern, nicht Steiners Setzungen zum Thema zu machen, sondern diese zu Verläufen umzuinterpretieren. Folgerichtig rücken die 1994 von Martin Hentschel umfänglich im Württembergischen Kunstverein Stuttgart präsentierten Tafelzeichnungen Steiners doppelt in den Blick. Zum einen als kühne Sprachbilder, zum anderen als Impuls für die Tafelzeichnungen von Joseph Beuys und deren Zuspitzung im Schriftbild "Mensch". Unmittelbar nimmt Beuys damit den Gedanken Rudolf Steiners auf, dass der Kosmos von Erden kommt. Nicht nur im Sinn des Subjekts Erde, sondern mehr noch des Verbs erden. Der Mensch steht unmittelbar in der Verantwortung - und ihm gilt damit zugleich auch alles Vertrauen.

Mit gutem Grund beschränkt sich die Ausstellung in ihrem Blick auf den Redner und Autor Rudolf Steiner auf Schlaglichter. "Kosmos Rudolf Steiner" wird schließlich erst durch das umfangreiche Begleitprogramm ein Ganzes. Und so dürfte zu den drei Publikationen zur Ausstellung "Alchemie des Alltags" (aus Weil am Rhein), "Rudolf Steiner und die Gegenwartskunst" (Wolfsburg) und "Rudolf Steiner in Stuttgart" noch ein vierter Band hinzukommen - die Dokumentation von Rede und Gegenrede im Kunstmuseum.