Der mutmaßliche afrikanische Kriegsverbrecher Ignace Murwanashyaka im Oberlandesgericht in Stuttgart. Foto: dpa

Von Deutschland aus soll der Führer der Hutu-Miliz Kriegsverbrechen befohlen haben. Vor Gericht fordern die Bundesanwälte eine lebenslange Haftstrafe, er will einen Freispruch.

Stuttgart - In seinem Schlusswort hat der Hauptbeschuldigte im Ruanda-Prozess in Stuttgart mit der Bundesanwaltschaft abgerechnet: Die Beweisaufnahme sei nicht gründlich gewesen, die Ankläger hätten unglaubwürdige Zeugenaussagen ernst genommen und Entlastungszeugen nicht zu Wort kommen lassen, kritisierte er am Mittwoch in Stuttgart. „Zeugen vom Hören-Sagen genügen den Anklägern“, hieß es in dem Schlusswort, das seine Rechtsanwältin zum großen Teil verlas. Sie verlangt Freispruch für ihren Mandanten - eine Forderung, die der Mann in weitem Hemd und um die Schulter gebundenen Pullover in seiner Stellungnahme bekräftigte.

Die Bundesanwälte hatten eine lebenslange Haftstrafe gefordert. Der Mann soll als Führer der Hutu-Miliz FDLR („Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas“) im Kongo 2008 und 2009 für Plünderungen, Vergewaltigungen und die Tötung etlicher Zivilisten verantwortlich sein. Die Verbrechen soll er von Deutschland aus per Satellitentelefon, SMS und E-Mail gesteuert haben.

Verteidigung: FDLR sei keine terroristische Vereinigung

Die FDLR geht auf den Völkermord in Ruanda 1994 zurück. Nach Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen der Hutu und Tutsi, bei denen rund 800.000 Menschen starben, flohen mehr als zwei Millionen Ruander - mehrheitlich Hutus - in die angrenzende Demokratische Republik Kongo. Dort wurde später die FDLR gegründet, die Teile Ostkongos kontrollierte. Die Verteidigung argumentiert, dass die FDLR keine terroristische Vereinigung sei. Sie wolle als anerkannte Oppositionspartei nach Ruanda zurückkehren.

Der Beschuldigte sieht sein Recht auf einen fairen Prozess verletzt. Er sei ein Versuch, seine „störende Stimme mit allen Mitteln endlich zum Schweigen zu bringen“. Der vor seiner Festnahme in Mannheim lebende Mann begann während der Verhandlung den Bibelpsalm „Lobe den Herrn, meine Seele“ zu zitieren. Er habe es Gottes Barmherzigkeit zu verdanken, dass er noch lebe.

Er warnte vor Schwarz-Weiß-Malerei bei der Beurteilung der Konflikte in Zentralafrika. Die Bundesanwaltschaft sei dem Zerrbild der bösen Hutus und der guten Tutsis aufgesessen. „Solche Klischees gehören zur Propaganda der heutigen ruandischen Militärdiktatur.“ Diese schrecke vor Unterdrückung und Ermordung von Kritikern nicht zurück. Beide Ethnien - Hutus und Tutsis - hätten Schuld auf sich geladen, er selber habe Angehörige in Ruanda und im Kongo verloren.

Auch der Stellvertreter ist angeklagt

Neben dem Hauptbeschuldigten ist auch sein Stellvertreter angeklagt. Auch für ihn hatte die Verteidigung auf Freispruch plädiert. Die Anklage verlangt für ihn zwölf Jahre Haft wegen Rädelsführerschaft.

Der Prozess ist einer der ersten in Deutschland nach dem 2002 eingeführten Völkerstrafgesetzbuch. Dieses ermöglicht deutschen Gerichten, Kriegsverbrechen selbst dann zu ahnden, wenn sie im Ausland begangen wurden.

Das Urteil soll voraussichtlich am 28. September fallen. Der Prozess läuft seit Mai 2011 und 319 Verhandlungstagen. Die Kosten für das längste Gerichtsverfahren im deutschen Südwesten, bei dem 52 Zeugen unter anderem aus Afrika und etlichen europäischen Ländern gehört wurden, liegen nach Gerichtsangaben bei fünf Millionen Euro.