Kinderärzte und Kinderkliniken kommen aufgrund der explosionsartig ansteigenden Atemwegserkrankungen bei Kindern an ihre Belastungsgrenze. Foto: dpa/Marijan Murat

Der Leiter des Kinderkrankenhauses in Ludwigsburg schlägt Alarm. Es sind kaum noch Betten frei, auf der Intensivstation werden die Geräte knapp und es fehlt an Personal.

Die Situation an der Ludwigsburger Kinderklinik ist dramatisch. Am vergangenen Wochenende wurden täglich mehr als 200 Kinder mit Atemwegsinfekten gebracht. „Es werden nicht alle Kinder getestet, aber die meisten von ihnen dürften RSV oder Influenza gehabt haben“, sagt Jochen Meyburg, der seit 31 Jahren Kinderarzt ist und seit 2020 die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin in Ludwigsburg leitet. Viele der kleinen Patienten müssten stationär aufgenommen werden, es sind kaum noch Betten frei. Dazu komme ein hoher Krankenstand beim Personal, gerade auch durch Covid.

Bei einer akuten Infektion kämpfen die kleinen Patienten mit einem hartnäckigen trockenen Husten und Atemnot. Die Bronchien verengen sich, schlimmstenfalls wird die Schleimhaut sogar teilweise zerstört. Säuglinge stellen, weil sie infolge der Infektion geschwächt sind, das Trinken ein und müssen über den Tropf Flüssigkeit zugeführt bekommen.

Welle schlimmer als vor einem Jahr

Vor etwa drei Wochen baute sich die durch das Respiratorische Synzytial-Virus, kurz RS-Virus genannt, verursachte Welle auf. Seither hat sie stetig weiter an Fahrt aufgenommen. Meyburg: „Seit etwa einer Woche steigen die Zahlen explosionsartig an.“ Und die Welle scheint noch schlimmer zu sein, als die in 2021. Eine Situation, wie sie sich aktuell darstelle, habe er in seiner langen Laufbahn noch nie erlebt, hatte Meyburg im Gespräch vor fast genau einem Jahr erklärt. Mitte November 2021 waren die 22 sogenannten Infektionsbetten der Isolierstation zwei Wochen dauerbelegt – vor allem mit Kindern, die mit dem RS-Virus kämpfen.

Aktuell sind in Ludwigsburg 15 Kinder mit einer RSV-Infektion stationär untergebracht. Vier von ihnen liegen auf der Intensivstation, zwei befinden in einem kritischen Zustand. Das jüngste Kind ist gerade einmal zwei Wochen alt, das älteste neun Jahre. Und auch die Kinder, die auf der Normalstation liegen, brauchen Sauerstoff. Sie müssen nämlich alle drei Stunden inhalieren. Der Betreuungsaufwand ist entsprechend hoch. Jochen Meyburg: „Es können derzeit nur die allerkränksten Kinder aufgenommen werden, also die Spitze des Eisbergs im Vergleich zu den niedergelassenen Kinderärzten.“

Geräte auf der Intensivstation werden knapp

Die absoluten Zahlen sind das eine, die Schwere der Erkrankungen das andere. „Junge Säuglinge, die von der Krankheit immer am stärksten betroffen sind, sind deutlich kränker als sonst“, berichtet der Mediziner. Auf der Intensivstation würden die Geräte langsam knapp. Aber auch immer mehr ältere Kinder im Kindergartenalter müssten stationär aufgenommen werden, weil sie eben zusätzlichen Sauerstoff brauchen. „Das kennt man aus den vorangegangenen Jahren so nicht.“

Die Kinderkliniken erleben laut Jochen Meyburg gerade ihren „März 2020“. Also die Periode, in der auf den Erwachsenenstationen während der Covid-Pandemie nichts mehr gegangen ist. Meyburg macht den Ernst der Lage deutlich: „Wir wissen kaum noch, wo wir die Kinder unterbringen können und erst recht nicht, wer sie adäquat versorgen soll, falls die Zahlen weiter ansteigen. Und diese Welle wird aller Voraussicht nach sechs bis acht Wochen anhalten.“