Ein kapitaler Dreizehnender bringt bis zu 130 Kilogramm auf die Waage. Wenn ein solcher Rothirsch mit bis zu 60 Kilometern pro Stunde einen Menschen attackiert, kann das böse enden. Foto: AP

Ein Waldspaziergang vor Allerheiligen endet für eine 58-Jährige im Krankenhaus. Der Angreifer ist kein Keiler, sondern ein Rothirsch. Experten raten, nicht querfeldein zu laufen.

Riesweiler - Eine Wanderung hat für eine Frau in Rheinland-Pfalz ein überaus schmerzhaftes Ende gefunden. Wie die Polizei in Koblenz am Mittwoch mitteilte, war sie am Montag in einer Gruppe im Soonwald (Hunsrück) unterwegs, als plötzlich nahe der 750-Einwohner-Gemeinde Riesweiler Rotwild den Wanderweg querte.

„Einer der Hirsche erfasste eine 58-jährige Fußgängerin im Sprung mit den Hufen am Kopf und schleuderte sie zu Boden“, erklären die Beamten. Die Frau erlitt dabei schwere Verletzungen im Gesicht und an der Schulter und musste mit einem Rettungshubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden. Auch ihr Mann wurde von dem Hirsch erwischt. Er wurde aber nur leicht verletzt.

„Ein unglücklicher Zufall“

Von einem solchen Zwischenfall habe er noch nie gehört, sagt Eberhard Glatz, Leiter des Forstamtes in Koblenz. Es könne sich nur um eine Ausnahmesituation gehandelt haben. „Ich denke, es war ein ganz unglücklicher Zufall.“ Möglicherweise habe ein Hund die Hirsche gejagt. Oder das Rotwild sei so schnell bergab gelaufen, dass es wegen seines Gewichts nicht mehr rechtzeitig habe bremsen können.

Rotwild, Damwild und Rehe sind die in Deutschland verbreiteten Reh-Arten. Es sind Fluchttiere, die Reißaus nehmen, wenn sie Menschen sehen. Ein ausgewachsener Rothirsch kann eine Schulterhöhe von bis zu 1,50 Metern erreichen und 100 bis 110 Kilogramm schwer werden. Damwild ist mit 65 bis 100 Kilogramm leichter, Rehe wiegen zwischen 17 und 30 Kilogramm. Der Naturpark Soonwald liegt inmitten des Mittelgebirges Hunsrück. Bei Wanderern ist er wegen seiner ausgedehnten Spazierwege und sanften Steigungen beliebt. Man kann hier mit allem rechnen: Mountainbikern, Wildsauen, Hasen und Bussarden.

Scheinangriffe im Wildpark

Einen Rothirsch zu Gesicht zu bekommen ist sehr selten. Und dass ein gesundes Tier einen Menschen attackiert, ist fast ausgeschlossen. „Im Wildpark kann es passieren, dass ein Hirsch einen Scheinangriff startet, wenn der Tierpfleger dem Hirsch in der Brunftzeit im September und Oktober zu nahe kommt“, erklärt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbandes. „Aber von einem Hirsch-Angriff in der freien Natur habe ich noch nie gehört.“

Im Februar 2013 war im thüringischen Bad Blankenburg eine Frau von einem Hirsch verletzt worden. Das Tier namens Bruno war aus seinem 2500 Quadratmeter großen Gehege ausgebüxt und griff die 62-Jährige auf dem Spazierweg an. Die Aggressivität verwundert die Fachleute. „Ich kann mir keinen Reim darauf machen“, so Harald Müller von der unteren Jagdbehörde im Landratsamt. Bekanntlich seien Hirsche eher scheu. Nachvollziehbar wäre so ein Verhalten vielleicht noch in der Brunftzeit. „Gut möglich, dass der Hirsch so allein in dem Gehege einen Koller bekommen hat.“

Unberechenbar während der Brunft

Angriffe von Rot- und Damwild, die in Tierparks gehalten werden, kommen vor, wenn auch sehr selten. Ein weiterer Fall ereignete sich im Oktober 2011 im Bergwildpark im osthessischen Germerode. Eine 34-Jährige war mit ihrer Familie unterwegs, als sie hinterrücks von einem Damhirsch angefallen wurde. Das Tier rammte ihr sein Geweih in den Oberschenkel.

Am Eingang des Parks warnen Schilder die Besucher. „Achtung, Brunft! Hirsche dürfen nicht gefüttert werden!“ Rot- und Damwild gilt während der vierwöchigen Brunft im Herbst als unruhig und unberechenbar. „Das sind wilde Tiere“, so Tierpfleger Wilfried Eberhardt. „Die kann man nicht wie ein Kuscheltier behandeln.“

Vorsicht bei Wildschweinen

Solange man Wildtieren in freier Wildbahn aus dem Weg geht und ihr Revier meidet, könne nichts passieren, betont Reinwald. Vor allem mit Wildschweinen sei nicht zu spaßen. „Die Tiere gelten als die wehrhaftesten Tiere im Land.“

Besonders brisant ist ein Zusammentreffen während der Frischlingszeit. Zwischen Februar und April gebären die Muttertiere bis zu zehn Frischlinge, die sie gegen jede potenzielle Gefahr verteidigen. Bis zu 200 Kilogramm Körpergewicht, rasiermesserscharfe Zähne und Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 50 Kilometern pro Stunde sind handfeste Argumente, Keilern und Bachen besser aus dem Wege zu gehen.

Wer beim Spaziergang oder Joggen auf Frischlinge stößt, sollte schnell Fersengeld geben. „Greift ein Wildschwein an, geht es dem Angreifer meist zwischen die Beine und schlägt seine Zähne in die Innenseite der Schenkel – dort, wo lebenswichtige Blutbahnen verlaufen“, sagt Wildexperte Reinwald.

In der Regel ist der Mensch schuld

In der Regel ist es der Mensch, der Attacken provoziert. „Mittlerweile trifft man am späten Abend und mitten in der Nacht im Revier auf Spaziergänger oder Hundehalter“, berichtet ein erfahrener Jäger aus der Region. „Das allein ist schon gefährlich. Besonders schlimm ist es, dass viele nicht mal auf Waldwegen unterwegs sind, sondern querfeldein herumstiefeln. Für die Tiere ist das sehr störend und für die Leute lebensgefährlich.“