Für die Prostituierten soll das Angebot in Stuttgart „niedrigschwellig sein“, damit nicht Dritte an ihrem Schutz verdienen. Foto: dpa

Seit vorigem Juli ist das neue Prostituiertenschutzgesetz nun in Kraft. Viel getan hat sich in der Praxis aber noch nicht. Bei der Stadt Stuttgart plagt man sich noch mit unklaren Rechtsfragen. Im April aber will man starten.

Stuttgart - „Jederzeit per Post erreichbar - egal, wo Du bist“, wirbt ein Anbieter im Netz für eine Zustellanschrift für Prostituierte („Exclusiv für Sexworker/innen“). Ohne deutsche Meldeadresse soll die Post digital verfügbar sein, für 99 Euro im Jahr. Rund um das seit dem 1. Juli geltende Prostituiertenschutzgesetz hat sich bereits ein Markt von Dienstleistungen gebildet, deren Akteure sich einen Teil des Dirnenlohns der Frauen sichern wollen, die durch das neue Gesetz besser geschützt werden sollen.

Dabei ist die Umsetzung des kurz ProstSchG genannten Gesetzes in Stuttgart noch gar nicht so weit gediehen. Nach Anlaufschwierigkeiten des Landes ist die Stadt erst seit dem 1. November zuständig. Aber die vom Rat dafür beschlossenen Personalstellen sind noch nicht besetzt. Die beiden Stellen im Gesundheitsamt, das für die neue Pflichtberatung und die Anmeldung der Prostituierten zuständig ist, wurden eben erst ausgeschrieben. Das Ziel sei, im April zu starten, sagt der Arzt und Abteilungsleiter im Gesundheitsamt, Stefan Ehehalt.

395 Anfragen von Frauen liegen inzwischen vor. Sie bekommen zwar noch keine Anmeldung, „erhalten aber eine Mail, in der bestätigt wird, dass sie sich um einen Termin bemüht haben“, sagt Ehehalt. Dieses können sie bei Kontrollen der Polizei in den Etablissements vorlegen. Auf Wunsch gibt es das Schreiben ausgedruckt mit Unterschrift. Wenn man dann auch Beratungstermine vergibt, schätzt der Mediziner, „wird es deutlich mehr Anfragen geben“. In der Polizeistatistik 2016 sind rund 1400 Prostituierte in Stuttgart registriert, jeden Tag waren im Schnitt 470 Frauen im Sexgewerbe tätig.

395 Frauen haben sich gemeldet

Auch beim Gesundheitsamt hat man erste Erfahrungen mit neuen Dienstleistungen für Prostituierte gesammelt. In einigen Fällen kamen die Anfragen zu Terminen und Formalitäten von Agenturen, die das Ganze für die Frauen erledigen und sich gut bezahlen lassen. Darüber ist man bei der Stadt nicht erfreut und prüft, ob man das akzeptieren muss. „Wir möchten unser Angebot so niederschwellig gestalten, dass eine solche Agentur für die Frauen überflüssig ist und keinen Vorteil bringt“, sagt Stefan Ehehalt. Bei den Beratungsgesprächen sollen auch Dolmetscher eingesetzt werden, insbesonders weibliche. 2016 lag der Ausländeranteil unter Stuttgarts Dirnen bei 87 Prozent.

Unstimmigkeiten in den Vorgaben

Für die Zulassung der Rotlichtbetriebe ist das Ordnungsamt zuständig. Die drei Stellen, die der Rat beschlossen hat, sind noch nicht ausgeschrieben. Im Moment ist man dabei, grundsätzliche Fragen zu klären. „Wir betreten da rechtlich und tatsächlich Neuland“, sagt Benno Bartosch, der stellvertretende Leiter der Gewerbe- und Gaststättenbehörde. Für eine Genehmigung müssen sich die Bordellbetreiber einer Zuverlässigkeitsprüfung unterziehen, ein Betriebskonzept vorlegen, für die Gebäude selbst gibt es Vorschriften etwa zu sanitären Anlagen oder zum Notrufsystem. Eine der noch ungeklärten Fragen dabei: Ist für eine Betriebsgenehmigung auch einen Baugenehmigung Voraussetzung? „Aus dem Gesetz lässt sich das nicht eindeutig rauslesen“, sagt Benno Bartosch. Nach der Verwaltungsvorschrift des Landes aber sei dies „zwingend“. Es ist nicht die einzige Unstimmigkeit. Großstädte wie Hamburg, Berlin oder München betrachten eine Baugenehmigung für „nicht relevant“. Was also tun? Wäre eine Baugenehmigung zwingend für eine Zulassung, wäre dies das Aus für die allermeisten Rotlichtbetriebe in Stuttgart, weil sie keine haben. „Das wäre ein starker Hebel“, sagt Bartosch. Aber wäre das auch angemessen und erforderlich zum besseren Schutz der Prostituierten?

51 Betriebe haben einen Antrag gestellt

197 Rotlichtbetriebe hatte die Polizei 2016 gezählt. Inzwischen haben 51 einen Antrag auf Zulassung gestellt, 41 schon im Vorjahr, um sich einen Weiterbestand zumindest bis zur endgültigen Entscheidung über ihren Antrag zu sichern. Manche haben erklärt, dass sie keine Genehmigung bräuchten, da sie eine Gaststättenerlaubnis hätten. Nur: Fallen Rotlichtbars oder Tabledance-Lokale, in denen käuflicher Sex angebahnt wird, nicht auch unter das neue Gesetz?

Und was bedeutet die im Gesetz verwendete Vokabel von angemessenen Einrichtungen etwa für ein Notrufsystem in einer Modellwohnung oder in einem Laufhaus? „Das muss man sich genau anschauen“, sagt der stellvertretende Leiter der Gewerbe- und Gaststättenbehörde. „Die Rechtslage ist vielfach unklar.“ Das gilt auch für die Vorschrift, dass die Dirnen nun nicht mehr an dem Ort nächtigen dürfen, an dem sie Freier bedienen. Darf das Übernachtungszimmer auf dem gleichen Stockwerk liegen oder muss es doch auf einem anderen sein? Oder sogar in einem anderen Gebäude?

Einheitliche Regelung als Ziel

„Wir sind noch nicht so weit, wie wir sein wollten“, räumt Benno Bartosch ein. „Sorgfalt geht vor Schnelligkeit.“ Vor April werde man nicht richtig arbeitsfähig sein. Bei der Stadt setzt man auf ein Treffen der Bundesländer in der Sache in Düsseldorf, wo man als Landeshauptstadt vertreten ist. Schließlich gehe es darum, eine möglichst einheitliche Regelung zu erreichen, wenigstens im Land. Der Weg von der allgemeinen Gesetzesformulierung zum konkreten Rechtshandeln ist manchmal ziemlich weit. Zumal auch in diesem Fall davon auszugehen ist, dass Betreiber von Rotlichtbetrieben bei einem negativen Bescheid Rechtsmittel dagegen einlegen werden.

Das Einfachste dürfte vermutlich die Umsetzung der neuen Kondompflicht sein. Die Dinger müssen halt bereitliegen in den Bordellen. Ob sie auch benutzt werden beim käuflichen Sex, wer will das schon prüfen?