Die Platanen in der Königstraße werden regelmäßig gestutzt Foto: Kraufmann

In der Rotebühlstraße wachsen die Platanen den Anwohnern in die Wohnzimmer.

Stuttgart - Baum ist nicht gleich Baum. Damit müssen die Bewohner der Rotebühlstraße leben. Sie werfen der Stadt vor, die Platanen vor ihrer Haustür zu vernachlässigen, während die in der Königstraße regelmäßig gestutzt werden. In ihre Wohnungen fällt inzwischen zu wenig Licht.

Horst Kösler ärgert sich. Blickt er aus seinem Esszimmerfenster im vierten Stock auf die Rotebühlstraße, sieht er nicht mehr viel von ihr. 20 Meter hohe Platanen versperren dem 68-Jährigen die Sicht. Die Äste stoßen an die Stromleitungen und die Außenfassade des Hauses. Von der Dachrinne, die unter Köslers Esszimmerfenster verläuft, hängen die Blätter wenige Zentimeter entfernt. "Bald kann ich nach den Ästen greifen", sagt Kösler. "Bei Sturm neigen die Bäume sich zur Hauswand, und die Äste schlagen an meine Fenster."

Hell ist es nur im Winter - wenn die Platanen blattlos sind

"Uns nehmen die Bäume das Tageslicht weg", klagen die Mieter der unteren Etagen. "Im Ess- und Wohnzimmer ist es viel zu dunkel", sagt Horst Schiemann. Der 68 Jahre alte Mann wohnt im zweiten Stock. Ständig müsse er Lampen einschalten. "Hell ist es nur morgens, wenn die Sonne scheint, und im Winter, wenn die Bäume kahl sind."

Die Bäume sind Kösler und den anderen über den Kopf gewachsen, und die Haltung der Stadt geht ihnen über die Hutschnur. "Sie müsste die Bäume regelmäßig zurückstutzen - und zwar von vornherein", sagt Kösler. Stattdessen lasse sie die Baumkronen wuchern. Als die Baumpfleger zum letzten Mal vor vier Jahren da gewesen seien, habe man nur ein paar Äste entfernt. Die Bäume der Königstraße hingegen seien tipptopp getrimmt.

Gewöhnliche Bäume werden nur alle vier Jahre gestutzt

Die Innenstadt, der Killesberg, der Kurpark in Bad Cannstatt oder der Stadtpark in Vaihingen gehören zu den Schwerpunkten der Grünpflege, erklärt Werner Koch, der Leiter des Gartenbauamts. Mehrmals im Jahr bekommen zum Beispiel alle Beete neue Blumen. Der Wechselflor kostet 1,3 Millionen Euro. Er ist am teuersten. "Das sind stark frequentierte Plätze, die gepflegt aussehen müssen." Die Bäume an der Königstraße werden deshalb jährlich gestutzt. Dafür gibt die Stadt 15.000 Euro aus. Einen Baum zu schneiden kann mehrere Hundert Euro kosten. In diesem Jahr stehen für die Grünpflege 6,1 Millionen Euro bereit, 300.000 Euro weniger als noch im vergangenen Jahr. "Die Pflege könnte besser sein", gibt Koch zu.

Bei gewöhnlichen Straßenbäumen hingegen geht es in erster Linie um die Verkehrssicherheit. Solange das Grün keine Autofahrer oder Fußgänger gefährde, sehe man keinen Grund, die Bäume öfter als alle vier Jahre zu schneiden, sagt Kochs Stellvertreter, Volker Schirner. Jedes Jahr besichtigt ein Baumpflegetrupp das Grün der Stadt. Jeweils drei Mitarbeiter kümmern sich um einen zuvor festgelegten Bereich. "Ob ein Baum geschnitten wird, hängt von den Ergebnissen der Kontrollen, also vom Bedarf ab." Aus naturschutzrechtlichen Gründen könne man die Platanen ohnehin nicht so einfach kräftig zurückstutzen.

Die Platanen wuchern wie wild

Köslers Wut bleibt. Wehmütig denkt er an die Kastanienbäume, die bis 1973 die Rotebühlstraße säumten. Sie wichen dem Bau der unterirdisch verlaufenden S-Bahn zwischen dem Hauptbahnhof und Vaihingen. Fünf Jahre war die Straße ein großer Graben. Nachdem die Arbeiten beendet waren, pflanzte die Stadt Platanen. "Sie entsprachen allen Bestimmungen und kommen mit dem Klima bestens klar", sagt Koch.

Mittlerweile hätte der Amtsleiter nichts dagegen, die stark wuchernden Platanen zu ersetzen. "Viele von ihnen stehen schief. Heute pflanzt man schmale und säulenförmige Bäume." 2005 hatte der Bezirksbeirat West einem neuen Baumkonzept für die Rotebühlstraße und den Feuersee zugestimmt, mit weniger Bäumen als bisher. Doch der Gemeinderat hat bis jetzt kein Geld bewilligt.