Michael Müller (SPD) sieht sich als Regierender Bürgermeister bestätigt. Foto: dpa


In Berlin stehen die Zeichen auf rot-grün-rot. Statt einer Liebesheirat von SPD und Grünen wird es wohl eine Vernunftehe zu dritt – mit Beteiligung der Linken.

Berlin - Bestimmt vier Meter breit ist der rote Teppich, der im Preußischen Landtag die Treppen zu den Fraktionssälen der Abgeordneten bedeckt. Rot ist hier schon lang die dominierende Farbe: Die SPD regiert seit der Wiedervereinigung ununterbrochen mit. Das ist das Einzige, was sich nach der Wahl vom Sonntag nicht ändern wird – aber sonst: Es sieht alles danach aus, als hätten die Wählerinnen und Wähler in der Hauptstadt an diesem Tag Geschichte geschrieben.

Zum ersten Mal überhaupt könnte eine Dreierkoalition im Roten Rathaus regieren. Das gab es im geeinten Berlin noch nie. In Westberlin war lediglich Ernst Reuter Anfang der 50er Jahre Regierungschef eines schwarz-rot-gelben Bündnisses, das heute Deutschland-Koalition heißen würde.

Die Freude darüber sucht man in den Gesichtern allerdings vergeblich. Michael Müller, Regierender Bürgermeister seit Dezember 2014 und zum ersten Mal in der Situation, die Berliner um ihr Vertrauen in diesem Amt bitten zu müssen, betritt gegen halb sieben leicht zögerlich im offenen Jackett und mit einem sehr schmalen Lächeln die Bühne in der Tempelhofer Columbiahalle. Dies ist sein Heimatbezirk. Seine Partei ist weiter stärkste Kraft, die Genossen klatschen rhythmisch zu „Seven Nation Army“, die halbe Bundesspitze flankiert den Kandidaten. Aber all das macht das Ergebnis nicht besser. Knapp sieben Prozentpunkte Verlust. „Wir haben unser Ziel erreicht. Wie sind stärkste politische Kraft in dieser Stadt geblieben, und wir haben einen Regierungsauftrag. Wir liegen fünf, sechs, sieben Prozent vor den andern.“ Schon in diesen ersten Minuten nach der Wahl weiß Michael Müller aber auch: „Schwierige Gespräche kommen jetzt auf uns zu.“

Hohe Wahlbeteiligung

Schwierige Gespräche – die warten vermutlich nicht nur in den Sondierungen, die die Sozialdemokraten nun „mit allen demokratischen Parteien“ führen wollen. Die SPD liegt nach den Hochrechnungen bei Redaktionsschluss bei 21,6 Prozent, die CDU bei 17,6 Prozent, die Grünen haben 15,2 und die Linkspartei 15,6 Prozent, die FDP zieht mit 6,7 Prozent ins Parlament ein. Auch die Rechtsaußenpartei AfD hat es in Berlin geschafft. Sie bleibt aber mit 14,1 Prozent unter den Ergebnissen der letzten Zeit. Die Wahlbeteiligung lag mit knapp 67 Prozent deutlich höher als vor fünf Jahren mit 60,2 Prozent.

Bei einer Dreierkoalition wird Müller mit zwei Juniorpartnern verhandeln müssen, die beide angesichts des Wahlergebnisses einen gehörigen eigenen Anspruch mitbringen und um Profil ringen. Auch intern wird es für Müller nicht einfacher werden. Von „bitteren Verlusten“ hat zuvor sein Fraktionschef und Konkurrent Raed Saleh im Fraktionssaal des Abgeordnetenhauses gesprochen, und zu lächeln hatte er nichts. Klar, die SPD habe einen Führungsanspruch. Man befinde sich in schweren Zeiten. Keine Eloge auf Müller ist zu hören.

Der Fraktionssaal ist kühl, überklimatisiert, aber man kann den Dampf im Kessel, den Frust mit Händen greifen. „Müller, Berlin“ hieß die Kampagne der SPD, und ein Abgeordneter sagt: „Da, das ist sein Ergebnis, da kann er uns keine Schuld zuschieben.“ Am Rande wird darüber geredet, dass es nun keine Personaldiskussion geben dürfe. Genannt wird aber nur ein einziger Grund: „Was wäre denn die Alternative?“

Ein bitteres Ergebnis für die Volksparteien

Auch schräg gegenüber im Fraktionssaal der CDU verbittet man sich personelle Diskussionen – „derzeit“, wie es heißt. Schlechter als an diesem Abend hat die Union bundesweit nur in den 50er Jahren im Stadtstaat Bremen und vergangenes Jahr bei der Hamburger Bürgerschaftswahl (15,9 Prozent) abgeschnitten. „Wir verlieren gemeinsam, und wir gewinnen gemeinsam. Es ist ein bitteres Ergebnis für alle Volksparteien“, sagt der glücklose Sozialsenator Mario Czaja und benennt die aus seiner Sicht Schuldigen: „Wir konnten die enormen Korrekturen der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht vermitteln.“

Weiter hinten steht wie eine Erscheinung der ehemalige Fraktionschef und Meisterstrippenzieher Klaus Landowsky, dessen riesige Macht in sich zusammenbrach, als die CDU 2001 über die Bankenaffäre stürzte. Seit damals hat sich das CDU-Ergebnis mehr als halbiert. „Die Menschen wählen mit der Seele, nicht taktisch“, sagt Landowsky. „Und der Mensch hat politisch zwei Empfindungen: Aggression und Vision. Der Berliner CDU ist es nicht gelungen, eine dieser beiden Empfindungen zu besetzen.“ Während Landowsky noch spricht, betritt Frank Henkel, Spitzenkandidat und demnächst Ex-Innensenator, die Bühne. Der Applaus ist verhalten, die lustigen Klatschfächer der Jungen Union will irgendwie keiner benutzen.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Henkel dankt allen, spricht von einem Denkzettel für die Volksparteien, von einem „unbefriedigenden“ Ergebnis. Und warnt vor einer Spaltung der Stadt durch eine linke Regierung und einen „Rechtsblock“. Eines sagt er auch noch: „Ich trete nicht zurück.“ Etwas verspätet betritt Monika Grütters die Bühne, Kulturstaatsministerin, die Nummer eins der Berliner CDU auf Bundesebene. Sie strahlt, wirkt entspannt. Ein Gesicht für die Bundestagswahl? „Nach der Wahl ist vor der Wahl“, sagt Landowsky mit Blick auf Grütters. „Der schlechten Nachricht dieses Abends sollten wir eine gute entgegensetzen.“

Wie geht es nun weiter? Die Grünen, die leichte Verluste hinnehmen müssen, können einen für Berlin ebenfalls historischen Tatbestand ermitteln: „Offensichtlich ist eine Regierungsbildung an uns vorbei nicht möglich“, sagt die Spitzenkandidatin Ramona Pop bei der Wahlparty im E-Werk. Die Linke freut sich über ihre Zugewinne, die sie als einzige der in der letzten Legislaturperiode im Parlament vertretenen Parteien verbuchen kann. Und die AfD, die am Abend ihren Einzug ins Abgeordnetenhaus in Oktoberfestkulisse im Ratskeller Charlottenburg feiert, behauptet, sie sei der „eigentliche Gewinner“ – obwohl sie hinter den selbst gesteckten Zielen zurück blieb. Zwei Wochen zuvor hatte man im Schatten der Wahl von Mecklenburg-Vorpommern noch das Ergebnis der Hauptstadt zum Testfall für die Partei ausgerufen.