Sozialminister Lucha hat in Bad Cannstatt erneut für die Einrichtung einer forensischen Psychiatrie geworben. Die besorgten Gegner konnte er nicht überzeugen.
Die Gegner des Vorhabens versammelten sich schon vor Beginn der Veranstaltung hinter dem früheren Rot-Kreuz-Krankenhaus. Mit Transparenten wie „BÄD Cannstatt“ oder „Perspektive für Bad Cannstatt – keine Forensik“ machten sie deutlich, was sie von den Plänen des Sozialministeriums halten. Wie mehrfach berichtet, will das Land in der leer stehenden ehemaligen Lungenfachklinik eine forensische Psychiatrie einrichten. Im Rahmen des sogenannten Maßregelvollzugs sollen dort 60 bis 80 Personen behandelt und betreut werden, die wegen ihrer psychischen Erkrankung oder ihrer Sucht straffällig geworden waren.
„Das ist ein extremer Eingriff in unser Wohnumfeld“, sagt Manuela Reichle von der Initiative Schöne Straße, die sich sonst um die Verbesserung des Wohnumfelds im Quartier kümmert. „Leute mit Kindern überlegen, von hier wegzuziehen.“ Die Initiative und ihre Unterstützer, am Dienstagabend waren laut Polizei etwa 80 Personen gekommen, halten das Vorhaben so nah an einer Wohnbebauung für völlig deplatziert. „Es braucht so eine Einrichtung, aber das ist nicht der richtige Standort“, sagt Marc Guntow, der seit 18 Jahren mit Frau und zwei Kindern hinter dem ehemaligen RKK lebt.
Zu viele Belastungen für Bad Cannstatt?
Immer wieder kritisieren Gegner des Projekts: Im Bezirk gebe es schon zig Hilfseinrichtungen, im Bad Cannstatter Zentrum etwa eine Anlaufstelle für Roma-Familien, in einem Wohngebiet werde eine Drogensubstitution gebaut, man habe die städtische Psychiatrie, in der ehemaligen Sportklinik ein Flüchtlingswohnheim, unweit des RKK gebe es einen Drogenumschlagplatz. Ein Mann mit Migrationshintergrund, der seinen Namen nicht nennen wollte, fragte: „Wer wird hier eingewiesen – auch Pädophile?“ Ein 23-Jähriger sorgt sich um die Frauen und Mädchen in seiner Familie.
Es war nicht die erste Veranstaltung in der Sache, zur der das Sozialministerium eingeladen hatte. Im Bad Cannstatter Kursaal hat bereits eine Bürgeranhörung stattgefunden, überdies für Interessierte eine Fahrt zur Forensik Weißenau in Ravensburg, an welche die geplante Einrichtung angebunden sein soll. An diesem Abend stellten Vertreter des Trägers, des Zentrums für Psychiatrie (ZfP) Südwürttemberg, die Pläne nochmals vor, man beantwortete Fragen und es gab Führungen durch das ehemalige RKK.
Sozialminister Manne Lucha (Grüne) wurde mit Buhrufen und lautstarken Aussprüchen wie „Ab nach Ravensburg“ begrüßt. Der Minister machte deutlich, wie wichtig ihm das Projekt ist. Auf der Bühne hinter dem RKK erzählte Lucha, selbst Sozialarbeiter, in 40 Jahren Berufspraxis habe er drei Jahrzehnte in der Sozialpsychiatrie gearbeitet, in Friedrichshafen am Bodensee auch in einer Einrichtung der forensischen Psychiatrie. Unumwunden erklärte er: „Es gibt Entscheidungen, da geht es nicht um das Ob, sondern um das Wie.“
Die Fallzahlen haben stark zugenommen
Seit 2017 hätten die Fallzahlen um 55 Prozent zugenommen. Man habe an verschiedenen anderen Standorten im Land Kapazitäten erweitert oder neu geschaffen, teils mit ähnlichen Prozessen wie in Stuttgart. „Aber wir benötigen weitere Plätze“, betonte Lucha. Es handle sich um eine Pflichtaufgabe des Staates, die man „solidarisch erfüllen“ müsse. Anders als andere Kreise im Land habe Stuttgart zwar viele betroffene Patienten, aber keine solche Einrichtung und dem Land bis heute auch keine Angebote geeigneter Immobilien gemacht. Lucha: „Das können wir nicht dauerhaft akzeptieren“, es gebe auch eine „regionale Verantwortung“. Auf den Zuruf eines Zuhörers – „aber nicht mitten im Wohnquartier“ – erklärte der Minister, etwa auch in Schussenried und Zwiefalten seien die forensischen Einrichtung „im Ort“, auch in Pfullendorf werde das so sein, bei der Weißenau in Ravensburg sei direkt neben der Forensik ein Kindergarten.
Roswita Hietel-Weniger, die Ärztliche Direktorin des ZfP Südwürttemberg, erklärte, in Bad Cannstatt sollen Patienten aus der Region Stuttgart betreut werden. Es handle sich nicht um Kriminelle, sondern um schuldunfähige psychisch kranke Menschen. Zu 80 Prozent litten diese an Psychosen und schizophrenen Erkrankungen, ein Großteil der begangenen Delikte seien Körperverletzungen und Brandstiftung. Die Krankheiten seien gut behandelbar und die Betroffenen, die nach Stuttgart kommen sollen, befänden sich bereits in der letzten Behandlungsphase und hätten sich schon bei Lockerungen „bewährt“. Sie seien bereits auf dem Weg in Teilhabe und Beschäftigung. In der geschlossenen Station im fünften Geschoss des RKK sollen Patienten unterkommen, die in eine Krisensituation geraten sind. Man treffe viele Sicherheitsvorkehrungen. Im Umfeld von forensischen Kliniken gebe es „keine erhöhte Straffälligkeit“, betonte Roswita Hietel-Weniger, die Rückfallquote in den ersten fünf Jahren sei „ganz gering“.
Auch wenn das die Gegner des Projekts offenkundig nicht überzeugte, soll die forensische Klinik dem Umfeld zugute kommen. So sollen im ersten Geschoss auch Angebote entstehen, die für die Bevölkerung offen sind, etwa eine psychosomatische Ambulanz der Sonnenbergklinik. Im Erdgeschoss des Gebäudes sind Räume für Vereine geplant, hier nehme man einen Wunsch der Bürger auf, erklärte Lucha. Im Rahmen der Arbeitstherapie für die Menschen ist eine Müllgruppe und eine Gärtnergruppe vorgesehen. „Davon werden Sie alle profitieren“, sagte Lucha. Und der Minister will mit der Initiative Schöne Straße eine Quartiersbegehung machen und sich dafür einsetzen, dass die Stadt sich für die Aufwertung des Quartiers engagiert. Und Lucha warnte, ohne das Projekt drohte an der Stelle ein „Leerstand“ mit negativen Folgen für die Stadtentwicklung.
Gegner rufen Petitionsausschuss an
Die Gegner der forensischen Psychiatrie, die mehr Beteiligung fordern, setzen darauf, dass das Land wegen des nötigen Umbaus im und am Gebäude doch ein Genehmigungsverfahren benötigt, durch welches das Projekt noch scheitern könnte. Und eine Online-Petition an das Land, die nach eigenen Angaben von mehr als 1500 Personen unterzeichnet wurde, liege beim Petitionsausschuss des Landtags.