Joseph Kälberer macht eine Gelbkopfamazone hübsch. Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Das Rosenstein-Museum erstrahlt am Freitag in neuer Pracht. Fast ein Jahr wurde umgebaut. Die Stars sind die Tiere. Wie Buschi, der verblichene Orang-Utan. Und doch wirkt wie lebensecht. Wie machen das die Präparatoren?

Unsterblich sein. Ein Traum. Eine Verheißung? Man könnte mal mit der Vieraugenbeutelratte darüber reden. Noch recht lebensecht sieht sie aus, als ob sie durch den Dschungel in Südamerika huscht. Doch die Zeitläufe haben sie zerzaust und ramponiert. Selbst in einer Vitrine im Naturkunde-Museum spürt man die Last der Jahre. Nun ist die Ratte bei Joseph Kälberer auf dem Tisch gelandet. Der soll sie wieder hübsch machen. Nun denkt der Laie, da klebt man Plüsch dran, kämmt das Fell, und voilà, zurück unter Glas. Von wegen.

Kälberer greift zu Puder und Pastellfarben. Make-up, bei Bedarf abschminkbar. „Alles, was ich mache, muss reversibel sein“, sagt er. Denn wer weiß, vielleicht ist der Stand der Wissenschaft in Zukunft ein anderer, will man den echten Zustand der Ausstellungsstücke zeigen, „und wie sie verfallen“.

Gefragt sind Geduld, eine ruhige Hand und ein robuster Magen

Demnächst ist er bei den Europameisterschaften seiner Profession in Salzburg. Dort zeigen er und seine Kollegen, was sie können. Vom Basteln eines Klatschmohnblattes aus Zigarettenpapier bis zum Präparieren eines Elefanten. Man braucht dafür Geduld und Ideen, große Kenntnisse der Natur, eine ruhige Hand – und einen robusten Magen. Denn man muss dem Tier die Haut abziehen und es zerlegen, Knochen vom Fleisch trennen. Dabei helfen übrigens Speckkäfer. Ihr Name verrät schon ihre Lieblingsspeise.

„Man entwickelt eine Professionalität“, sagt Carsten Leidenroth, der sein Handwerk in Bochum gelernt hat. Worauf sie alle übrigens Wert legen, ihr Handwerk ist nicht das Ausstopfen, sie präparieren. Auf vielen unterschiedlichen Arten und Wege. Immer mit dem Ziel, das Tier soll aussehen, als lebe es noch. Als sei es unsterblich.

Es wird gesägt, gefeilt, gebaut, geformt

Die 150 Jahre alte Robbe ist aus Holz und Ton modelliert, mit Stroh umwickelt und dann mit Haut überzogen. Heutzutage werden die Körper aus dem Kunststoff Polyurethan gebaut. Den kann man bestellen, einmal Katze, einmal Hund, bitte. Und dann bearbeiten. Leidenroth hat jenen Wolf präpariert, der 2015 bei Merklingen überfahren wurde. Der kam umgehend in die Gefriertruhe und ins Stuttgarter Naturkunde-Museum. Die Form passte er mit der Säge und Zwei-Komponenten-Kleber an. „Dann gibt es die Anprobe“, sagt Leidenroth. Das Fell wird angelegt, die Form wieder angepasst, wieder anprobiert, wieder gesägt, gefeilt, gebaut, geformt. „Wir strukturieren die Muskulatur, jeder Zeh hat einen Ausdruck“, sagt Kälberer. Natürlich soll es wirken, mit Farbe betonen sie Bewegungen, heben Muskeln hervor. Augen und Nase werden lackiert, damit sie feucht wirken. So hauchen sie ihnen Leben ein.

Das Krokodil aus der Wilhelma lebt im Schloss Rosenstein weiter

Da sind sie Künstler. Und manchmal Möbelpacker. Teilweise ist das Schwerarbeit. Beim Elefanten wurde die Haut in 24 Einzelstücke zerlegt. Das weiße Leistenkrokodil aus der Wilhelma führt sein ewiges Leben im Schloss Rosenstein. Kurz nach seinem Tod wurde es auf den Millimeter genau vermessen, acht Leute zerlegten das Tier im Keller des Schlosses. Der Kopf kam in Ethanol, die Knochen wurden abgekocht, die 180 Kilo schwere und die 4,13 Meter lange Haut kam in die Gerberschule nach Reutlingen. 65 Kilo wog die Haut, als sie zurückkam, über das passgenau gefertigte Modell gezogen, mit Nägeln fixiert. Der Kopf wurde mittels Silikonabdruck nachgeformt, koloriert, die Augen sind aus Glas, die Zähne aus Harz.

Zwölf Millionen Stücke sind im Fundus des Naturkundemuseums

Die schwarze Jaguar-Dame Petra, Orang-Utan Buschi, ihnen allen wurde von den Händen der Präparatoren das ewige Leben verliehen. Oder eines, das dem nahekommt. 250 Jahre wird wohl die Haut des Krokodiles halten, bevor die Natur doch ihr Werk tut. Doch vieles, was sie tun, ist gar nicht zu sehen. Zwölf Millionen Stücke hat das Naturkunde-Museum im Fundus. Viele Vögel etwa präpariert Kälberer für die Forschung. Sie werden ihnen gebracht von Bürgern, aus Vogelschutzzentren des Nabu. So erstellen die Forscher Zeitreihen, „man kann erkennen, wie sich Arten über Dekaden entwickeln“, sagt Kälberer, „wie wirken sich Spritzmittel aus und Klimawandel.“ Die Vielfalt, oder vielmehr deren Schwinden, zeichnet sich auch im Naturkunde-Museum ab. Und das Erscheinen n neuer Arten.

Ein toter Albatross reist über die sieben Weltmeere

So ist die Gelbkopfamazone, an der der Kälberer gerade arbeitet, mittlerweile ein Bad Cannstatter. Dort haben sie sich verbreitet und etabliert, unüberhörbar an vielen Orten entlang des Neckars. Mit der Airbrush-Pistole geht er übers Federkleid, der Spatz ist dagegen noch nicht so weit. Der ist umwickelt und mit Nadeln gespickt. Damit das Federkleid sich beim Trocknen nicht verzieht. Weit weg ist noch der Wanderalbatross, der in die neu gestaltete Ausstellung soll. Über die Netzwerke der Museen und Restauratoren haben sie erfahren, dass ein Forscher in South Georgia, einer britischen Kolonie vor der Küste Südamerikas, einen toten Albatross gefunden hatte. Also ab in die Kühltruhe und über die sieben Weltmeere nach Deutschland. Doch so einfach ist die Sache nicht. Nicht mehr seit dem Brexit. Da gilt es, Formulare en masse auszufüllen, das Prozedere erinnert an den Versuch von Asterix und Obelix, Passagierschein A 38 zu bekommen.

Auch damit haben sich Präparatoren herumzuschlagen, doch hin und wieder bekommen sie Hilfe. Als ein 200 Jahre altes Etikett abging, klebten sie es nicht einfach mit Uhu hin. Auch das Etikett ist Teil des Exponats, „eines Kulturguts“, wie Kälberer sagt. Eine Papierrestauratorin eilte zu Hilfe und fertigte einen Kleister aus Weizenstärke. So wie man es vor 200 Jahren gemacht hat. Nun klebt es wieder. Und erzählt die Geschichte des Karolinasittichs. Der ist längst ausgestorben. Im Rosenstein-Museum ist er zu sehen. Ein kleines bisschen Unsterblichkeit.

Schloss Rosenstein

Wiedereröffnung
 Das Naturkundemuseum hat die Dauerausstellung im Schloss Rosenstein umgestaltet. Mehr als ein Jahr lang wurden die beiden großen Säle rechts und links der Säulenhalle umgestaltet. Die Neugestaltung des Meeres- und Evolutionssaals hat 2,3 Millionen Euro gekostet. Von Freitag, 9 Uhr an, sind die neuen Säle zu sehen.