Üben sich auf dem Kissen-Waldberg in Frühlingsschreien: die Freunde Birk (Florian Rummel) und Ronja (Svenja Liesau) in „Ronja Räubertochter“ im Schauspielhaus Stuttgart. Foto: Bettina Stöß

Regisseur Robert Neumann gelingt am Sonntag im Stuttgarter Schauspielhaus eine texttreue, charmante und musikalische Adaption von Astrid Lindgrens Kinderbuch „Ronja Räubertochter“.

Regisseur Robert Neumann gelingt am Sonntag im Stuttgarter Schauspielhaus eine texttreue, charmante und musikalische Adaption von Astrid Lindgrens Kinderbuch „Ronja Räubertochter“.

Stuttgart - „Also, den Glatzen-Per und den Birk fand ich am besten. Und die Ronja auch.“ Der kleine Junge strahlt seine Großmutter an, die nickt zustimmend. Dem jungen Kritiker und seiner Begleiterin, die sich am Sonntag über die Theaterpremiere von „Ronja Räubertochter“ unterhalten, ist absolut zuzustimmen.

Ein Stück für Kinder, aber auch für Erwachsene, die sich eine „Romeo und Julia“-Geschichte mit Happy End anschauen wollen. Räubertochter Ronja freundet sich mit Birk an. Der allerdings ist der Sohn eines Räuberclans, mit dem Ronjas Familie verstritten ist. Einer würde hier den andern gern zum Donnerdrummel jagen. Anders als bei Shakespeare geht es aber ohne heimliche Hochzeit und verhängnisvolle Zaubertränke vor sich. Dafür mit Mitmachtheater und Musik – von der Borka-Sippe (Schauspielschülerin Marianne Helene Jordan spielt schön Cello, Boris Burgstaller hat eine Geige mitgebracht) und der Räuberin Sturkas (Hanna Plaß mit Ukulele).

Ein alter Räuber entert die Bühne vom Zuschauersaal aus. „Year, ich bin Glatzen-Per“ ruft der Zausel mit Restflusenhaar (Matti Krause). Mit Stock und krummem Buckel, aber mit jugendlich wirkendem Funkeln in den Augen wackelt der die Treppen hinunter. Ein Verzauberer. Er braucht nicht mehr als eine Minute, um das Publikum im voll besetzten Theater für sich einzunehmen – und spielen zu lassen.

Wie Lindgren-Leser wissen, wird die Titelheldin in einer Gewitternacht geboren. Schwuppdich, bringt Glatzen-Per die Zuschauer dazu, Regengeräusche zu produzieren und donnerzugrollen, indem sie an die Sitze trommeln. Und das nicht einfach irgendwie, sondern anschwellend und hübsch geordnet von der letzten Reihe bis nach vorn.

Laufen, Sprechen, Frühlingsschreie ausstoßen

Derartig unterstützt bringt Lovis (Marietta Meguid), die Augen erstaunt aufgerissen, ein Baby zur Welt: Ronja (Svenja Liesau). Der angeberische Räuberchef Mattis (Michael Stiller) steht da im Punk-Schottenrock und Strasssteinen, die von Modeschöpfer John Galliano stammen könnten, aber von Kostumbildnerin Maria Anderski entworfen wurden. Er jubelt. „Ich hab ein Kind gekriegt!“ Und Sturkas (Hanna Plaß), anders als bei Lindgren Räuberin statt Räuber, staunt nicht schlecht. „Ganz schön groß“, raunt sie und versucht mit Handbewegungen die Größe des Riesenbabys abzumessen, da ist es schon nach vorn gesprungen, drückt mit grimmer Miene den eisernen Vorhang hoch und erklimmt die Bühne.

Laufen, Sprechen, Frühlingsschreie ausstoßen, das lernt das Wundermädchen mit einem Augenschlag, und schon darf es die Welt erkunden. Ein Berg aus Kissen (Bühne: Natascha von Steiger) fährt hinauf auf die Bühne, wenn er sich dreht, sieht man auf der Rückseite einen Hohlraum – Räuberhöhle, später auch Bärenhöhlenversteck für Ronja und Birk. Auf dem Kissenberg lässt es sich super herumspringen. Doch da teilt er sich schon wieder: Nebelwasserschwaden laufen in einer Rinne hinab. Ronja kann lernen, wie man keine Angst vor dem Höllenschlund bekommt, welche die Mattisburg von der Nordburg trennt.

Dort, auf der anderen Seite steht plötzlich ein blondgelockter Junge (Florian Rummel), der so charmant lächelt, dass selbst Ronja nicht lange trotzig bleibt. Sie rettet ihm das Leben, als er schier in den Schlund fällt. Und sie lässt sich später gnädig von ihm retten, als sie im Schnee mit einem Fuß in einem Erdloch feststeckt und die darin lebenden Rumpelwichte maulen „wiesu tut sie su?“ und dann, schlau, eine Kinderwiege an ihrem Fuß festbinden. Leben gegen Leben, daraus wird eine Freundschaft für immer.

„Ich geh’ mal zu Dm“

Ronjas Eltern sind nicht amüsiert. Auch nicht darüber, dass Birks Familie sich in der Nordburg eingeschlichen hat. Stellvertretend für die Borka-Räuberbande hat die Regie Pelle erfunden, von Schauspielschüler Arlen Konietz herrlich dusslig interpretiert. Dem verbietet Sturkas, aber auch Mattis schnell mal den Mund. Und auch jetzt darf das Publikum wieder helfen. „Was tun gegen Läuse, die sich eingenistet haben?“, fragt Mattis. Die von einem jungen Zuschauer empfohlene Läuse-Shampoo will Glatzen-Per besorgen: „Ich geh mal zum DM.“

Solcherlei Späße, andere Anspielungen ans Hier und Heute oder Verweise aufs Theaterspielen selbst kommen hervorragend an und zeigen, man dürfte das junge Publikum durchaus noch ein bisschen mehr fordern. Kluge Entscheidung aber, sich mit zu viel Spektakel zurückzuhalten: Mit dem Kino konkurrieren kann das Theater nicht, der Live-Moment aber ist unschlagbar, wenn das Publikum mitsingt, als Birk ein „Ronja und Birk“-Lied komponiert, wenn es mit Ronja und Birk über die sich blau verfärbenden Wand- und Deckenleuchten im Zuschauerraum staunt.

Es gelingt Regisseur Robert Neumann das Kunststück, mit frechen und anrührenden Liedern, mit spielstarken, witzigen Schauspielern satte zwei Stunden lang (mit Pause) in eine Welt zu entführen, in der es zwar von dummen Rumpelwichten wimmelt, in der allerdings, ganz wie in dieser Welt, Kinder manchmal vernünftiger sind als ihre Eltern. Auch von ihnen: jede Menge Jubel.

Nächste Aufführungen der Theaterversion im Schauspiel Stuttgart: 22. und 23. Januar, 16., 24., 25. und 27. Februar. Kartentelefon: 07 11 / 20 20 90.