Zwischen exzessiver Lebenslust und abgrundtiefer Schwermut: Marie Bäumer spielt Romy Schneider, die zur Beute eines Journalisten wird. Foto: Peter Hartwig

Marie Bäumer überstrahlt als Romy Schneider in „3 Tage in Quiberon“ die internationale Filmfestspiel-Konkurrenz – der Film von Emily Atef wird sicher nicht ohne Bär nach Hause gehen. Außerhalb des Wettbewerbs zeigt Lars Kraume „Das schweigende Klassenzimmer“.

Berlin - Es kommt nicht oft vor, dass gerade das deutsche Kino für sichtbare Qualitätssprünge im Berlinale-Wettbewerb verantwortlich zeichnet. Aber nach Christian Petzolds „Transit“ ist es nun Emily Atefs mit Spannung erwarteter Romy-Schneider-Film „3 Tage in Quiberon“, der die internationale Konkurrenz souverän überstrahlt. Seit Beginn ihrer Karriere wurde Marie Bäumer immer wieder mit der europäischen Filmikone verglichen, aber nicht nur wegen der äußerlichen Ähnlichkeiten ist sie ein echter Glücksfall für diesen Film.

Mit einer geradezu traumsicher ausbalancierten Performance lässt Bäumer Romy Schneiders zerbrechlichen Seelenzustand ebenso wie ihre enorme Anziehungskraft auf der Leinwand Gestalt annehmen. Dabei ist die brillante darstellerische Leistung in ein kluges, tragfähiges Erzählkonzept eingebunden. Kein konventionelles Biopic hat die Regisseurin Atef im Sinn, sondern eine detailgenaue, biografische Ausschnittvergrößerung. Im März 1981 trifft Romy Schneider in einem Kurhotel im bretonischen Quiberon den „Stern“-Journalisten Michael Jürgs (Robert Gwisdeck) und den befreundeten Fotografen Robert Lebeck (Charly Hübner). Seit Jahren hat die Schauspielerin der deutschen Presse kein Interview mehr gegeben – die Medien haben ihrer „Sissi“ den Weggang nach Frankreich nie verziehen.

Mehr als eine bloße Romy-Schneider-Hommage

Hochverschuldet, tabletten- und alkoholabhängig kommt sie nicht darüber hinweg, dass ihr vierzehnjähriger Sohn David nicht mehr bei ihr leben will. In diesem fragilen Zustand scheint sie der manipulativen Interviewstrategie des Reporters wenig gewachsen. Aber auch nach der Intervention ihrer Jugendfreundin (Birgit Minichmayr) bricht Romy das Gespräch mit dem gezielt unsensiblen Journalisten nicht ab, der hier die Story seines Leben wittert.

Aber „3 Tage in Quiberon“ ist weit mehr als eine bloße Romy-Schneider-Hommage. Aus der Quartett-Konstellation entwickelt Atef eine interessante Beziehungsdynamik, in der die manisch-depressive Schauspielerin als Epizentrum fungiert, zu dem sich alle Beteiligten immer wieder neu definieren müssen. Selbst der rücksichtslose Journalist entwickelt schlussendlich noch Beschützerinstinkte für die kriselnde Romy, die zwischen exzessiver Lebenslust, ansteckender Freude und abgrundtiefer Schwermut hin und her schwankt.

Mit geradezu zärtlicher Sensibilität nähert sich der Film der vielschichtigen Persona und dem Mythos Romy Schneider an, ohne dabei in Mitgefühl oder Ehrfurcht zu erstarren. Atef und Bäumer erschaffen eine emotionale Durchlässigkeit, entblößen ihre Figur jedoch an keiner Stelle. Hierzu passen die stilvollen, kontrastreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die den Reportagebildern Lebecks nachempfunden sind und eine enorme visuelle Anziehungskraft entfalten. Großartige schauspielerische Leistungen, eine klare Erzählhaltung und eine gelungene ästhetische Konzeption gehen hier Hand in Hand.

Die Ideale der DDR-Jugend

Nach vielen ordentlichen Themenfilmen ist dies der erste Film im diesjährigen Wettbewerb, der auf der ganzen Klaviatur des Kinos überzeugen kann und sicherlich nicht ohne Bär nach Hause gehen wird. Außerhalb des Wettbewerbs in der Sektion „Special“ war am Dienstag zudem Lars Kraumes „Das schweigende Klassenzimmer“ zu sehen. Nachdem sich Kraume zuletzt in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ mit den politischen Kontinuitäten in der BRD der Nachkriegszeit beschäftigte, beleuchtet er diese Ära nun von der anderen Seite des Kalten Kriegs. Aus Solidarität mit den Aufständischen im Ungarn des Jahres 1956 beschließt eine Abiturientenklasse in Stalinstadt (dem heutigen Eisenhüttenstadt), zu Schulbeginn ein Schweigeminute einzulegen – ein harmloser Protest, der für die Beteiligten schwerwiegende Folgen haben wird.

Äußerst effizient und mit einem frisch aufspielenden, jungen Ensemble stellt Kraume den jugendlichen Idealismus der Schüler gegen die ideologische Rigidität des DDR-Systems. Die Schulbehörde will in Verhören einen Rädelsführer ausfindig machen, womit die Solidarität der Mitschüler auf eine harte Probe gestellt wird. Eine eindringliche, wenn auch recht konventionell erzählte Geschichte, die auf realen Ereignissen beruht und die repressiven Strategien des sozialistischen Regimes noch einmal exemplarisch vor Augen führt.