Mit Vollgas in die Kurve: Die Stuttgart Valley Rollergirls kämpfen am Wochenende in der Heimarena auf der Waldau um den deutschen Meistertitel. Foto: Harald Karle

Rollschuhe sind eigentlich ein Überbleibsel aus den 70er Jahren und dienten einst als Kinderspielzeug. Doch wer bei der Sportart Roller Derby an Flanieren auf Rädern denkt, ist auf dem falschen Dampfer: Diese Frauen auf Rollschuhen sind auf Rempeleien und Bodychecks geeicht!

Stuttgart - Sie heißen Blitzkrieg Baby, Teaze The Tiger, Pogo Galore oder Polly Purgatory. Ihr Einlauf in die Arena zu Rockmusik wirkt martialisch. Die 14 Frauen reihen sich auf, Schulter an Schulter, sie schauen konzentriert und aggressiv, unterm Helm blitzen bunte Haare hervor, sie tragen Schutzkleidung wie beim American Football an den Leibern, die unruhigen Füße bewegen die Rollschuhe vor und zurück. Hier und da blitzt ein Tattoo hervor.

Polly Purgatory heißt bürgerlich Marta Popowska und ist ein Gründungsmitglied der Stuttgart Valley Rollergirlz. Sie bildet sich aktuell in ihrem Beruf als Journalistin fort, hat eine sanfte Stimme und geht lieber gediegen afrikanisch essen als Party machen. Und sie trainiert vier bis fünf Mal in der Woche die vielleicht härteste Frauensportart der Welt.

„Ja, und zwar seit sieben Jahren.“, sagt Marta. Genau wie viele ihrer Teamkolleginnen, mit denen alles 2006 aus Jux begann. Man wollte den exotischen Rollschuhsport aus den USA ausprobieren und trainierte zunächst im Parkhaus, um überhaupt mal das Rollschuhfahren zu lernen. Und damit war das erste Rollergirl-Team Deutschlands geboren.

Roller Derby ist Vollkontaktsport“, erklärt Marta, die in der Position der Jammerin spielt. Jammerinnen sind beim Roller Derby die Frauen, die Punkte machen – wenn es den Blockern des gegnerischen Teams nicht gelingt, den Jammer aus der Bahn zu rempeln. „Bodychecks mit angelegtem Arm oder mit der Hüfte sind erlaubt“, erläutert Marta die Regeln.

Club Zapata, erste richtige Trainingsstätte

Ob das nicht gefährlich ist? Gebrochen habe sie sich im Gegensatz zu einigen Teamkolleginnen noch nie etwas, „aber vom verdrehten Knie über ein angerissenes Außenband hatte ich schon alles. Prellungen und aufgeplatzte Lippen sowieso.“ Richtig übel sei es damals aber im Club Zapata zugegangen, der ersten richtigen Trainingsstätte der Stuttgart Valley Rollergirlz – da ist wohl nicht nur ein Mal jemand gegen die Bar geknallt. Hier fand auch das erste öffentliche Stuttgarter Roller Derby statt. Man hat zwei Teams gebildet – andere Mannschaften gab es in Deutschland ja noch nicht – und 500 Besucher gelockt.

Heute gibt es 25 bis 30 Roller-Derby-Teams in Deutschland, die professionellsten zehn finden sich von diesem Freitag bis Sonntag zur ersten offiziellen deutschen Roller-Derby-Meisterschaft in der Eiswelt auf der Waldau ein. Eine inoffizielle deutsche Meisterschaft gab es bereits 2010 in Berlin: Die Stuttgart Valley Rollergirlz gewannen knapp gegen die Berlin Bombshells. In der Eiswelt sind sie die einzigen beiden gesetzten Mannschaften und werden als Favoriten gehandelt.

Marta Popowska wünscht sich, dass Roller Derby stärker als richtiger Sport wahrgenommen wird. Natürlich gehöre der Showcharakter dazu, schließlich spielt man ja auch mit dem Image der rüpelhaften Frauen in Netzstrümpfen. Doch es geht in erster Linie um das Spiel und natürlich ums Gewinnen.

„Roller Derby ist mein erstes echtes Hobby“

Im Alltag gehen die Frauen normalen Berufen nach. Und tätowiert ist auch nur jede Fünfte. Das bestätigt auch Valerie Togodda aka Pogo Galore, die im echten Leben als Lektorin bei einem kleinen Tübinger Verlag beschäftigt ist. Auf dem Spielfeld ist sie eine Blockerin, also eine von denen, die man als Abwehrspielerinnen bezeichnen könnte. „Roller Derby ist mein erstes echtes Hobby“, sagt Valerie. Auf die vom Naturell her ruhige und überlegte Frau hat besonders anziehend gewirkt, dass man bei dem Rollschuhsport in eine Rolle schlüpfen kann. „Die Derby-Spielernamen, die Netzstrumpfhosen und geschminkt Vollkontaktsport zu treiben – das übt schon eine Faszination aus.“ Show ist aber längst nicht alles, weiß Teaze The Tiger, im Pass Denise Kim Kaufmann, Grafikdesignerin. „Roller Derby ist ein technisch anspruchsvoller Sport, den wir auf hohem Niveau betreiben.“

Der Frage, ob sie denn auf dem Platz mal von der braven Studentin zur Rüpel-Röhre geworden sei, als sie aus der Bahn gestoßen wurde, weicht die Jammerin Marta aus: „Es kochen Emotionen hoch, und ab und zu muss man sich beherrschen.“ Nach dem Spiel ist es aber Gepflogenheit, sich zu vertragen und gemeinsam Bier trinken zu gehen.

So hat es auch die sogenannte dritte Halbzeit zu gutem Ruf gebracht. Dann machen die Journalistinnen, Lektorinnen und Designerinnen ihren Spielernamen Teaze The Tiger, Pogo Galore oder Polly Purgatory auch außerhalb des Spielfelds alle Ehre. So wird es auch am Sonntag sein: nach den Titelkämpfen auf der Waldau, auch ohne Helme und Rollschuhe.