Roland Kaiser möchte sein Publikum unterhalten. Foto: dpa-Zentralbild

Auf der Bühne singt der Schlagersänger Roland Kaiser von der Liebe, hinter der Bühne kritisiert er die Ungleichheit. Eine Begegnung.

Dresden - Die Bühnenarbeiter tragen Bärte und lange Haare, die Gitarren klingen rotzig, aber der Mann in Jeans und Winterjacke singt vor der Skyline von Dresden von den Sternen: „Du bist so nah am Himmel dran“, schmettert Roland Kaiser (64). Dann betritt sein Stargast Maite Kelly in ausladender Daunenjacke seine Bühne zum Soundcheck. Schmatz auf die Wange – und Kaiser raunt in hochsommerlichen Nieselregen hinein: „Sie sah mich an, und es nahm einfach seinen Lauf. In ihren Augen gingen meine Sterne auf.“ Am nächsten Morgen wird Roland Kaiser in einem Interview erklären: „Nicht jedes Lied von mir hat so viel Wirkung gehabt wie diese eine Rede hier in Dresden.“

Diese Rede ist eine Weile her: Im Januar 2015 hat Kaiser sich bei einer Großkundgebung vor der Frauenkirche gegen die fremdenfeindliche Pegida ausgesprochen und einen Shitstorm, aber auch viel Respekt dafür geerntet, dass er sich gegen eine „inhumane Flüchtlingspolitik“ und gegen die Sündenbock-Propaganda der Rechten gewendet hat. Um zu verstehen, welche Bedeutung Roland Kaiser in Dresden hat und was er hier verlieren kann, schadet es nicht, anderthalb Jahre später eines seiner sommerlichen, „Kaisermania“ betitelten Open-Air-Konzerte am Elbufer aufzusuchen: Da besuchen den Schlagersänger, der in Städten wie Stuttgart üblicherweise in 2000er-Hallen spielt, an vier Abenden insgesamt 50 000 Fans, die ob seiner gefühlstrunkenen Lieder völlig aus dem Häuschen sind.

Viele junge Menschen sind dabei, manche mit Muskeln, manche mit Tätowierungen, viele mit alkoholischen Getränken in der Hand. Eine Journalistin aus Chemnitz erzählt, dass in Dresden auch ganz harte Jungs im Autoradio Roland Kaiser hören würden, manche hätten seinen Namen auf den Rücken tätowiert. Ein Mann, der wie ein harter Junge aussieht, bekennt: „,Santa Maria‘ war für uns bei der wilden Wende ein Begriff der Freiheit und des neuen Lebens.“ Und die Pressesprecherin des Veranstalters sagt, dass bei „normalem Kaiserwetter“, also ohne Nieselregen, jede Menge Zaungäste während der „Kaisermania“ am Elbufer kampieren würden, um Kaiser zu lauschen.

Wenn die Menschenwürde verloren geht

Sie meint seine Lieder. Nicht seine Reden. In seinen Konzerten enthält sich der Entertainer, der seinen „Beruf als Unterhalter“ und sein soziales Engagement strikt trennt, jedweder politischen Äußerung und singt stattdessen: „Schachmatt durch die Dame im Spiel. Schachmatt, weil sie mir so gefiel!“ Derselbe Mann, der im Nieselregen „Dich zu lieben“ schmachtet, erklärt am nächsten Morgen im Interview, dass er die ungerechte Verteilung von Einkommen und die wachsende Altersarmut für die drängendsten politischen Probleme in Deutschland hält: „Unternehmen machen hohe Profite, und den Leuten draußen geht es eben nicht entsprechend gut“, sagt Roland Kaiser, der Privatmann. Er ist auch der Schirmherr der Cottbuser Tafel, und im Konferenzraum eines Hotels in der Altstadt berichtet er mit einigem Furor von seinen Erfahrungen mit Essensempfängern: „Sie schauen nach unten, wenn sie ihre Ration empfangen. Man hat das Gefühl, da geht ihnen ein großer Teil ihrer Menschenwürde verloren.“ Aber auf der Bühne singt er: „Lieb’ mich ein letztes Mal. Es bleibt mir keine and’re Wahl.“

Die Diskrepanz seiner Inhalte als Bühnenfigur und seiner Haltung als politisch interessierter Bürger erklärt Roland Kaiser so: „Ich will doch nicht die Leute in ein Konzert locken, sagen, ,hier werdet ihr unterhalten‘, um dann politische Reden zu schwingen. Das fände ich falsch.“ Das sagt er, natürlich, im Hotel. Denn auf der Bühne singt er ja: „Die Berührung deiner Hand setzt mich in Flammen.“ Je länger sein Konzert dauert, desto betrunkener sind einige seiner Fans, die derartige Zeilen mitgrölen. Bei manchen Konzertbesuchern scheint eine Menge Ironie im Spiel zu sein. „Da sagen Sie mir etwas Neues“, sagt Roland Kaiser im Hotel, „aber es stört mich nicht. Vielleicht gehen manche Leute mit einer gewissen Distanz ins Konzert und lassen sich dann doch mitreißen.“

Viele scheinen tatsächlich mitgerissen, obwohl es regnet, obwohl das Schlagzeug fade stampft, obwohl der Sound nicht optimal ist. Das alles bei Schlagern, die von Sehnsucht und Liebe handeln. Auf manche ist der Sänger ziemlich stolz: „,Im 5. Element‘ – da ist ja alles perfekt hingesetzt“, erzählt er im Hotel und erklärt, weshalb er sich seit einiger Zeit seine Songtexte mittlerweile komplett von anderen schreiben lässt: Ihm fehle die Lockerheit, sagt er. Seine Kinder würden ihn kritisieren, weil er sage, dass er sich wärmer anzöge, wenn er fröre. Er wisse natürlich, dass man solche Sätze auch anders konstruieren könne. Aber er könne sich seine eigene Art nunmal nicht abgewöhnen.

Ein Hit ist ein Hit

Während seines Konzerts, das er im Anzug bestreitet, guckt er oft, als vollzöge jemand die Trennung von der großen Liebe unter den erschwerenden Bedingungen starker Bauchschmerzen. Aber im Gespräch im offenen Hemd hat er Klarheit im Blick: „Europäische Solidarität.“ „Dresden ist nicht Pegida. Es kann nicht sein, dass einige wenige das Bild von allen verzerrt wiedergeben. Also muss man was tun.“ Hinter der Bühne sagt er auch Sätze wie: „Ich finde, man hat eine Verpflichtung, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. Irgendwann von dieser Welt zu gehen und nur Geld gesammelt zu haben, ist ein bisschen wenig.“

Wenn ihn dann hinter der Bühne jemand fragt, weshalb er Schlager singe, hat man das Gefühl, als wittere Roland Kaiser einen Angriff. „Schlager ist nichts anderes als ein Hit“, sagt er dann – und dass es okay sei, die Seele auch mal baumeln zu lassen bei all den Kriegen und schlechten Nachrichten auf dieser Welt. Wenn man ihn im Hotel fragt, ob er sich von dem Wort Schlager angegriffen fühle, dann sagt Roland Kaiser Nein: „Wenn etwas in deutscher Sprache gesungen wird und erfolgreich ist, dann nennt man es Schlager. Ein Hit ist ein Hit. Neunzig Prozent der Weltliteratur handeln von Gefühlen. Wir haben noch keine Lösung gefunden, wie das Zusammenleben zwischen Mann und Frau funktioniert. Insofern gibt es Raum und Zeit ohne Ende, um das Thema zu bearbeiten – in allen Facetten.“

Seine Träume, einst Haus und Flugzeug, hätten inzwischen – nach erfolgreicher Erfüllung – „mit materiellen Dingen nichts mehr zu tun“, sagt Roland Kaiser. Gesundheit. Familie. Problembewältigung in einer Gesellschaft, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft. Seit seiner Lungentransplantation im Jahr 2010 sei er gelassener geworden.