In den vergangenen fünf Jahren sind im Südwesten 740 Hektar Wald gerodet worden. Foto: dpa

Firmen in Friedrichshafen wollen erweitern, in Calw gibt es zu wenig Gewerbeflächen – deshalb soll nun Wald gerodet werden.

Friedrichshafen/Calw - In Friedrichshafen ruft ein Beschluss des Gemeinderats für eine Werkserweiterung zweier Luftfahrtzulieferer Widerstand hervor. Die benachbarten Firmen Liebherr-Aerospace und Aerospace Transmission Technologies, in dem sich Liebherr und Rolls-Royce zusammengespannt haben, wollen um 34 Hektar erweitern. Eine Ratsmehrheit hat zugestimmt. Der Knackpunkt: Die Erweiterung soll zulasten eines Teils des sogenannten Seewaldes gehen. Der Friedrichshafener Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat sofort Protest gegen den „Flächenfraß“ eingelegt. Das Waldstück, dessen Fällung der Beschluss faktisch vorbereitet hat, sei womöglich „nur die erste Salamischeibe“, sagt Brigitte Wallkam vom BUND-Vorstand.

Der Seewald ist ein grüner Riegel zwischen der Industriestadt am Bodensee und dem nördlichen Hinterland. Begrenzt wird er durch zwei Bundesstraßen, eine Bahnlinie, Wohn- und Gewerbegebiete sowie das Flughafengelände. Für eine Ausdehnung ist kein Platz. Das Bundesnaturschutzgesetz schreibt aber bei Eingriffen in Natur und Landschaft Ausgleichsmaßnahmen vor, und zwar in Bereichen, „die mit den vom Eingriff betroffenen Grundflächen in einer optischen Verbindung stehen“.

Da eine ausgleichende Erweiterung des Seewaldes an anderer Stelle nicht möglich ist, kalkuliert die Stadtverwaltung offenbar mit einem Ausnahmeverfahren. Der übrige Seewald könne möglicherweise „aufgewertet“ werden – zum Beispiel durch „Altholzinseln“ oder den Aufbau eines „standortgerechten Waldbesatzes durch gezielte Herausnahme standortfremder Bäume“. Ob das funktioniert, so eine Sprecherin des parteilosen Oberbürgermeisters Andreas Brand, werde sich „erst nach Abschluss der Untersuchungen im Laufe des Jahres 2019 zeigen“. Verwaltungstricksereien zugunsten der Industrie? Die BUND-Vertreterin Wallkam fürchtet bereits ein neues „wütend machendes Kapitel“.

In Langenargen wurde der Bau von Wohnungen gekippt

Was viele Naturliebhaber in Friedrichshafen zusätzlich empört: Für die beiden Firmen waren längst Erweiterungsflächen am Rand des Flughafens, in etwa anderthalb Kilometer Entfernung, reserviert. Doch dort wollen die Unternehmen nicht mehr hin. Eine Erweiterung am „eigentlichen Standort“ sei die „deutlich bessere Standortlösung“, steht in der Beschlussvorlage der Stadt Friedrichshafen. Liebherr teilt mit, die bestehende Produktionsfläche sei voll ausgelastet. „Ein weiterer strategischer Kapazitätsaufbau ist dringend erforderlich.“ Die Zahl von derzeit rund 400 Mitarbeitern solle „langfristig“ erhöht werden. Scheitere die Erweiterung, würden „der Aufbau von Arbeitsplätzen sowie die Entwicklung von Technologien dann an einem anderen Standort geschehen“.

Die Spannungen am Bodensee zwischen Industrievertretern, Touristikern, Naturschützern und der Landwirtschaft liegen seit Jahren offen zutage. Der Wille von Kommunalpolitikern ist dabei längst nicht immer maßgebend. So haben beispielsweise im Frühjahr Bewohner der Nachbargemeinde Langenargen erstmals den Bau neuer Wohnungen auf einer Streuobstwiese per Bürgerbegehren gekippt. Auch Friedrichshafen steht die wahre Debatte über den Seewald wohl erst bevor. Von Mitte Januar an würden die Unterlagen zur Industrieerweiterung öffentlich ausgelegt, teilt das Rathaus mit.

In Calw soll der Wald schon im Januar gefällt werden

Deutlich weiter ist die Stadt Calw im Nordschwarzwald mit ihrem Projekt, nahe dem Stadtteil Stammheim 21,4 Hektar Wald zu fällen – diese Fläche ist größer als die gesamte Innenstadt Calws und ist von drei Seiten von Wald umschlossen; an der vierten Seite gibt es eine Erddeponie. Schon kurz nach Neujahr soll die Rodung beginnen; zudem muss der Hang aufgeschüttet werden. Denn dort wollen die Kommunen Calw, Bad Teinach und Gechingen ihren interkommunalen Gewerbepark Lindenrain gründen.

Das Hauptargument sind auch in Calw die Arbeitsplätze. Schon seit zehn Jahren gebe es im Landkreis einen akuten Mangel an Gewerbeflächen; die Wirtschaft könne nicht weiterwachsen, heißt es. Andere Standorte seien nach einer Prüfung ausgeschieden. Der Lindenrain ist aber auch deshalb attraktiv, weil er auf der Hochfläche Richtung Stuttgart liegt und es zur A 81 nicht mehr weit ist. Andere Gewerbegebiete Richtung Schwarzwald werden bei Weitem nicht so gut angenommen.

Trotz des nahenden Kahlschlags wollen die Gegner des Projektes nicht aufgeben – allzu viele sind es aber nicht. Der 22-jährige Student der Automatisierungstechnik David Böttinger dreht Youtube-Videos, hat eine Website entwickelt und versucht die Bürger zu mobilisieren. Er hält die Rodung für falsch: „Man kann nicht immer nur meckern, sondern muss dann auch etwas tun“, erklärt er sein Engagement, wohl wissend, dass es vergebens sein dürfte.

Im Übrigen ist es im waldreichen Calw ebenfalls schwierig, Ausgleichsflächen zu finden. Auch dort will man deshalb vor allem mit „Waldumbaumaßnahmen“ und der Schaffung von „Naturwaldzellen“ bestehenden Forst aufwerten.