Rodrigues, die kleine Nachbarinsel von Mauritius, bietet stille Exotik ohne Glamour. Foto: Miethig

Auf Rodrigues, der kleinen Schwesterinsel von Mauritius, herrscht ein geruhsamer, afrikanisch-kreolischer Lebensstil - bloß keine Hektik!

Port Mathurin - Gedränge vor der Passkontrolle am Flughafen. Ein Raum, gleichzeitig Wartesaal, Ankunftshalle, Gepäckausgabe und Vip-Lounge, dahinter das Gartentor zum Rollfeld. Die Beamtin - strenge Miene, steife Uniform - hakt grußlos die Namen auf ihrer Passagierliste ab. Als würde hier jemals irgendwer unerkannt untertauchen! Oder verloren gehen. Auf Rodrigues, einem 8 mal 18 Kilometer kleinen isolierten Eiland im Indischen Ozean. Nur alle zehn Tage legt die Fähre „Mauritius Pride“ aus der 600 Kilometer entfernten Schwesterinsel an, zwei- bis fünfmal am Tag landen Propellermaschinen der Air Mauritius.

Gegenüber der Bank of Mauritius auf der Hauptstraße von Port Mathurin sitzt eine alte Frau und schält Kokosnüsse, ein Mofa erschreckt das Gehör. Das Leben der 6000 Hauptstädter spielt sich zwischen vier palmengesäumten Parallelstraßen ab, oder besser: Es döst so vor sich hin. Es sei denn, die Fähre kommt, oder es ist Samstag: Am Markttag wuselt halb Rodrigues durch die Inselmetropole. Am Stadtrand züchtet der Insel-Chefredakteur seine Enten, die er am Jahresende auf dem Markt als Weihnachtsbraten verkauft, manch Rodrigueser betreibt am Stand nebenan noch Tauschhandel. Auf der Hauptinsel Mauritius ist die moderne indische, manchmal hektische Kultur prägend, auf Rodrigues unverkennbar der afrikanisch-kreolische Lebensstil. Zum Beispiel der Postbote: Kommt er heute nicht, dann eben vielleicht nächste Woche - denn wenn er sich kein Mofa leisten kann, dann ist auch er wie die meisten zu Fuß unterwegs zwischen den weit verstreuten Bauernhütten, den Krämerläden der Chinesen und den Fischerdörfern.

Mehr Ziegen und Schafe als Mofas

Fast alle der fast 40 000 größtenteils schwarzen Insulaner glauben an Jesus. Trotzdem stehen im Kalender mehr hinduistische als katholische Feiertage. Die Dominanz der so weit entfernten und eigentlich fremden Schwesterinsel stört hier viele. „Sagen Sie bloß nicht Mauritier zu den Rodriguesern, das mögen die gar nicht“, warnt eine Deutsche, die seit mehr als einem Jahrzehnt auf Rodrigues lebt. Selbst die französischen Ortsnamen auf Rodrigues zeugen von einer gewissen Bodenständigkeit: Man wohnt nahe der „süßen Kartoffel“, auf der „Zitrone“ oder am Rande der „Mangos“. Auf dem Inselchen gibt es mehr Ziegen und Schafe als Mofas und mehr Montainbikes als Whirlpools. Man speist Tintenfisch-Curry und Tek-Tek-Muschelsuppe statt aberwitzig teuren Hummer. Weit und breit kein Hochhaus, kein Butler, kein alles verdrängendes Zuckerrohr.

Ein durch und durch sympathisches afrikanisches Aschenputtel, das hoffentlich nie versucht, seiner glamourösen Schwester nachzueifern. Manchmal kommt sogar ein Prinz daher wie der William. Aber auch er ließ das Dornröschen in Ruhe weiterschnarchen. Wenn man als Urlauber nicht gerade kitet, durch eine Taucherbrille die Barrakudas anglotzt oder mit dem Mountainbike die Inselhühner aufscheucht, dann staunt man über die Farben hier. Vom höchsten Gipfel, dem Mont Limon in der Inselmitte (396 Meter!), hat man die gesamte Farbpalette im Blick, zurück zur Küste sind es nur 52 Kurven. Der tintenblaue Indische Ozean schlängelt sich hinter dem Korallenring durch die Lagune (natürlich türkis schimmernd), in dieser Fahrrinne schießen die Pirogen mit ihren markanten weißen Segeln landwärts wie auf dem Rücken einer gigantischen Wasserschlange. Und an Land nichts als Ockergelb, auf dem vereinzelt knallrote Dächer mit kreolischem Zierwerk leuchten.

Trotz verbesserter Straßen in den vergangenen Jahren und mehr Mofas sind der einzige Grund für einen Stau auf den Landstraßen noch immer: die Schafherden. Ein Vier-Sterne-Hotel, erst seit 2013 eröffnet, wird nun zweifellos den Wandel bringen: Ein betuchtes Gäste-Ehepaar auf Drei-Tages-Ausflug von Mauritius will hier und heute im Tekoma Boutik Hotel Speedboat fahren. Hier? Die Managerin zuckt mit den Schultern. Wo man doch eher gemächlich mit dem Fischern auf der Piroge durch die Lagune segelt. Bisher kommen pro Jahr rund 55 000 vorwiegend maurizische und réunionische Touristen (und nur rund 400 Deutsche). Wer nicht wie viele Segler direkt von Australien hierher durchsegelt oder als Kreuzfahrt-Passagier auf der „Astor“ einmal im Jahr anlegt, landet noch immer in der 48-sitzigen Propellermaschine.

Urlauberdasein ganz nah am Einheimischen-Alltag

Die meisten suchen auf dem Mini-Eiland das Kontrastprogramm zur berühmten Schwesterinsel: Eintauchen in die Stille, Urlauberdasein ganz nah am Einheimischen-Alltag, exotisch und aufregend zugleich, ohne Sehen und Gesehenwerden. In den Dörfern wie Rivière Coco hängt der Tintenfisch an Gestellen in der Sonne, ansonsten herrscht hier offenbar Dauer-Siesta. In Port Sud-Est sammeln Frauen und Männer in Gummistiefeln bei Ebbe Seegras oder Tintenfische mit harpunenähnlichen Spießen aus dem Schlick. In Saint Francois kann man vom Strand aus die Fischer beobachten, wie sie mit Stöcken aufs Wasser der Lagune schlagen und so die Fische ins Netz treiben. Scheint die Zeit in den Fischerdörfern schon stillzustehen, reist man noch etwas weiter zurück in der Geschichte im François-Leguat-Schildkröten-Park: als die Insel noch von Hunderttausenden Riesenschildkröten bevölkert war, ehe diese durch die ersten Seeleute und Siedler ab dem Ende des 17. Jahrhunderts ausgerottet wurden.

In einem urzeitlich anmutenden Canyon tummeln sich heute wieder mehr als 1500 aus den Seychellen angesiedelte Aldabra Giant Tortoises. Wer die langsam-behäbige Fortbewegung von Lucca, Mat & Co. sieht, versteht, woher die Rodrigueser ihre Ruhe weghaben. Zeit, nach Hause zu gehen, immer den Lichtpünktchen nach. Das Licht am Ende der Straße nach Osten ist das Hotel Cotton Bay. Hier wirbeln die Tänzer der Folkloregruppe. Mittendrin, lachend und mit weit schwingendem Rock: die strenge Zollbeamtin.

Infos zu Rodrigues

Anreise
Tägliche Flüge über Paris und Mauritius mit Air Mauritius, www.airmauritius.com , oder ab Deutschland mit Condor, www.condor.com , rund 1000 Euro), Weiterflug mit Air Mauritius (1,5 Std., ca. 200 Euro) oder den Fähren „Mauritius Pride“ und „Mauritius Trochetia“ (36-48 Stunden, ca. 50 Euro Sitzplatz, ca. 120 Euro/Kabine, www.mauritiusshipping.net ).

Unterkunft
Tekoma Boutik Hotel: Erstes Vier-Sterne-Resort am abgelegenen schönen Anse-Ally-Strand: 15 stylish-rustikale Bungalows mit Open-Air-Badewanne, verteilt in zwei Reihen am Hang mit Blick über die windige Ostküste. Pool, sehr gute Küche à la rodrigaise, kleine Wellness-Oase, man spricht Deutsch. DZ 190-350 Euro, mit HP, www.tekoma-hotel.com .

Mourouk Ebony: Eines der ersten Hotels, immer noch gut in Schuss, Mittelklasse mit 33 niedlichen Reihenhäuschen am goldgelben Kiter-Strand in der Anse Mourouk im Südosten. Pool und Folklore-Shows. DZ 224 Euro mit HP (über Veranstalter billiger zu buchen), www.mouroukebonyhotel.com .

Einreise
Keine Visumspflicht bei bis zu dreimonatigem Aufenthalt, Einreise mit sechs Monate gültigem Pass und Rückflugticket (bei Ausflügen von Mauritius nach Rodrigues maximal 15 Kilogramm Gepäck). Allgemeine Informationen www.tourism-rodrigues.mu , www.tortoisescavereserve-rodrigues.com .

Literatur
Martina Miethig: „ADAC-Reiseführer Mauritius/ Rodrigues“, 2014, 143 Seiten, 8,99 Euro. Von der Autorin erscheint 2015 auch ein neuer Reiseführer über die drei Maskarenen-Inseln beim Verlag Vista Point (280 Seiten, ca. 22 Euro).