Roboter und Menschen arbeiten am Standort Neckarsulm Hand in Hand Foto: AUDI AG

Das Audi-Werk in Neckarsulm zählt zu den komplexesten im Volkswagen-Konzern. Die Zeichen am Standort stehen auf Wachstum und Modernisierung. Bald sollen hier 300 000 Autos vom Band laufen.

Neckarsulm - Adam streckt seinen Arm aus, greift sich eine 13 Kilogramm schwere Heckklappe eines A4 und reicht diese einem Audi-Mitarbeiter. Ruhig gleitet das Teil durch die Luft. Zusammen mit dem Mitarbeiter passt der Roboter mit dem biblischen Namen die Klappe millimetergenau in die Karosserie ein, überwacht von zahlreichen Sensoren. Kein Zaun trennt die beiden. Kommt die Maschine dem Menschen zu nahe, stoppt sie auf wundersame Weise. Am Ende muss der Mitarbeiter nur noch die Schrauben befestigen. „Smart Factory – intelligente Fabrik“ nennt Audi die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, mit der sich der Standort Neckarsulm für die Zukunft wappnet. Dazu gehört auch die komplette Vernetzung aller Prozesse in der Produktion.

Für Werkleiter Fred Schulze (48) hat diese Art der Fertigung gleich mehrere Vorteile. „Wir verbessern uns bei der Ergonomie für die Mitarbeiter, der Qualität und der Produktivität.“ So müssen etwa die schweren Blechteile nicht mehr von Hand bewegt werden. Die Qualität steigt, da der Roboter noch präziser arbeiten kann als der Mensch. Und die Effizienz wird verbessert, weil statt zwei Mitarbeitern einer reicht, um die Heckklappe anzubringen. Außerdem benötigt Adam weniger Platz als früher, wo noch ein Schutzzaun den Menschen vor möglichen Verletzungen durch den Roboter bewahren musste.

Die Horrorvision einer menschenleeren Fabrik ist trotzdem nicht zu befürchten. Im Gegenteil: Der Standort Neckarsulm liegt seit Jahren auf Wachstumskurs. In diesem Jahr wurde erstmals die Schwelle von 16 000 Mitarbeitern überschritten. Ende 2015 könnten es sogar über 17 000 sein. Denn Audi-Chef Rupert Stadler kündigte jüngst an, in diesem Jahr in Deutschland 4000 neue Mitarbeiter einstellen zu wollen. Welcher Anteil davon auf Neckarsulm entfällt, ist noch nicht klar. Zum Vergleich: 2011 waren es noch 14 000 Mitarbeiter. Der Roboter wird den Menschen also nicht verdrängen. „Mit seiner Sensorik ist dieser der Maschine noch weit überlegen“, sagt Werkleiter Schulze. Außerdem ist er flexibel einsetzbar, was bei der immer größeren Vielfalt der Modelle ein entscheidender Vorteil ist. Zudem kostet ein Roboter sehr viel Geld.

Überall auf dem 125 Hektar großen Gelände stehen Baukräne. Für den Ausbau will Audi bis zum Jahr 2018 jährlich 650 Millionen Euro investieren. Erst im Herbst vergangenen Jahres hat das Unternehmen mit den Böllinger Höfen auf Gemarkung Heilbronn ein 23 Hektar großes Areal in Betrieb genommen. Dies entspricht rund einem Viertel der Fläche des Werks in Neckarsulm. Dort wird in einer Manufaktur die Neuauflage des Sportwagens R8 gefertigt. Außerdem ist ein neues Logistikzentrum untergebracht. Der so in Neckarsulm gewonnene Platz wird dringend benötigt, etwa zur Vorbereitung der Produktion des neuen A8, der Ende 2016 auf den Markt kommen soll. „Neue Mischbaukonzepte verlangen einen neuen Karosseriebau“, sagt Schulze. Der Trend geht zu leichteren Materialien, die Gewicht und damit CO2 einsparen sollen.

Weil die Autos in unterschiedlichen Ausstattungen erhältlich sind und zusätzliche Inhalte in Form von Assistenzsystemen, neuartigen Antrieben wie dem Plug-in-Hybrid oder einem digitalen Cockpit hineinkommen, muss auch an der Montagelinie mehr Platz geschaffen werden. Allein für das pilotierte Fahren, das Audi im neuen Flaggschiff bis zu einer Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Stunde anbieten will, müssen die Fahrzeuge mit zahlreichen Radar-, Laser- und Ultraschallsensoren bestückt werden. „Die damit verbundenen Produktions- und Prüfprozesse bedeuten einen Evolutionsschritt in der Fertigung“, sagt Schulze. Fehler darf es nicht mehr geben, denn die Folgen wären verheerend.

Neckarsulm profitiert wie alle Werke vom weltweiten Erfolg der Marke Audi. 2014 wurden über 273 000 Autos gefertigt. Nur im Jahr zuvor gelang es mit knapp über 275 000 ebenfalls, die Schwelle von 270 000 zu überwinden. Damit ist das Werk nach Ingolstadt, wo 2014 über 572 000 Autos produziert wurden, das zweitgrößte. Derzeit ist die Produktion voll ausgelastet, beim A6 die Kapazitätsgrenze erreicht. Insgesamt ist aber noch Luft nach oben. In den nächsten Jahren will Schulze die 300 000er-Marke knacken. Wann genau dies passieren soll, wagt er jedoch nicht vorherzusagen.

Anders als Ingolstadt, wo die Volumenmodelle A3, A4 oder Q5 gebaut werden, hat Neckarsulm jedoch die meisten Modelle aller Werke im VW-Konzern. Neben dem A8 laufen hier etwa A5 Cabriolet, A6 Limousine und Avant, A7 oder der Sportwagen R8 vom Band. Hinzu kommen die von der ebenfalls in Neckarsulm beheimateten Quattro GmbH produzierten Modelle wie Audi RS5 Cabriolet, RS6 Avant oder RS7. Bei der Aufzählung gerät Fred Schulze ins Schwärmen. „Wir sind sehr glücklich mit unserer Produktpalette, wir bauen sehr emotionale und hochwertige Autos.“

Obwohl Rupert Stadler kürzlich angekündigt hat, die Zahl der Modelle von derzeit 52 auf 60 auszuweiten, werden in Neckarsulm auf absehbare Zeit keine neuartigen Audi vom Band rollen. Fred Schulze stört das nicht – im Gegenteil: „Mit dieser Variantenvielfalt und unserem Qualitätsanspruch sind wir hier bestens aufgestellt.“