Impfstoff ist da. Nun wird um Impfwillige geworben. Foto: picture alliance/dpa/Gregor Fischer

Je höher die Impfquote, desto schwächer die vierte Coronawelle. Gegen die wachsende Impfmüdigkeit plant die Stadt Stuttgart deshalb eine Kampagne. Im Robert-Bosch-Krankenhaus findet der erste Impftag ohne Termin statt.

Stuttgart - Zurzeit ist die Coronalage erfreulich. Die Inzidenzen sind niedrig, die Beschäftigten in den Krankenhäusern können endlich durchatmen. Aber wie geht es weiter? Wie fällt die vierte Coronawelle im Herbst aus? Reicht das derzeitige Impftempo, dass diese schwach ausfällt und das Krankenhaussystem nicht überlastet wird?

Mark Dominik Alscher, der Medizinische Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses (RBK), ist „mehr als besorgt“. Klar ist für ihn, dass sich auch in Deutschland die deutlich ansteckendere Delta-Variante durchsetzen wird. Angesichts dessen sei die sich ausbreitende Impfmüdigkeit fatal. „Etwa zehn Prozent der vereinbarten Termine werden nicht mehr wahrgenommen“, sagt Alscher über die seit etwa einer Woche sich abzeichnende Entwicklung im Impfzentrum des RBK. „Und von den eingestellten Terminen bleiben etwa 30 Prozent frei und werden gar nicht gebucht.“

Viele Pop-up-Impfaktionen werden abgesagt

Die mobilen Teams des RBK, die in den Landkreisen Ludwigsburg und Rems-Murr im Einsatz sind, machen ähnliche Erfahrungen. „Von den Pop-up-Einsätzen werden sehr, sehr viele abgesagt“, erklärt Alscher. Die Kommunen in den Landkreisen meldeten, „es sei kein Bedarf mehr da“, so Alscher.

Im RBK werden derzeit pro Tag knapp über 2000 Impfungen vorgenommen. Alscher: „Wir bleiben weit unter unseren Möglichkeiten.“ Im Impfzentrum Liederhalle des städtischen Klinikums, wo zurzeit im Schnitt 3500 Impfungen am Tag gemacht werden, ist das nicht anders. Allerdings liegt dort der Anteil der nicht wahrgenommenen und auch nicht abgesagten Termine „im einstelligen Prozentbereich“, sagt Pressesprecherin Annette Seifert.

Impfintervalle werden verkürzt

Mark Dominik Alscher hat eine Erklärung für diese Entwicklung: „Der Urlaub ist unser Problem.“ Auch in der Liederhalle gibt es „durch die Urlaubszeit und zusätzlich verfügbare Dosen mehr Impfangebote als Nachfragen“, sagt Annette Seifert. Terminvereinbarungen seien deshalb inzwischen „ohne Wartezeit möglich“.

Um der grassierenden Impfmüdigkeit entgegenzuwirken, müsse man beim Impfen „dringend auf kürzere Intervalle umstellen“, ist Mark Dominik Alscher überzeugt. So könne man vielleicht doch mehr Menschen dazu bewegen, sich noch vor dem Urlaub impfen zu lassen. Gerade für einen wirksamen Schutz gegen die Delta-Variante sei die zweite Impfung wichtig. Wenn es beim jetzigen Impftempo bleibe, könnte der nächste Coronaherbst wieder ungemütlich werden, fürchtet Alscher. „Wenn wir so weitermachen, wird auch die vierte Welle groß.“ Das Land sieht das offenbar genauso und hat am Dienstag die Verkürzung der Impfabstände verkündet.

Erstes Impfangebot ohne Terminvereinbarung

Der RBK-Chef fordert auch eine „breite Imagekampagne fürs Impfen und niederschwellige und unkonventionelle Impfangebote“. So kann sich Alscher vorstellen, dass man etwa in den Abend- und Nachstunden ein Impfzelt auf dem Stuttgarter Schlossplatz aufstellt, um die Menschen, die sich dort aufhalten, zu erreichen.

Das Impfzentrum am RBK geht hier selbst voran. Am Donnerstag dieser Woche soll im RBK als Versuch der erste Impftag ohne Terminvereinbarung stattfinden. Von 7 bis 20 Uhr werden dort Interessierte einen Piks mit den vorhandenen Impfstoffen bekommen, ohne dass man zuvor einen Termin ausmachen muss. Beim Biontech-Impfstoff werde die zweite Impfung nach drei Wochen erfolgen, bei Moderna nach vier, wer Astrazeneca bekomme, bei dem werde man „nach vier Wochen mit einem mRNA-Impfstoff nachimpfen“, sagt Mark Dominik Alscher. Anders als andere Impfzentren die auf die Idee der Landesregierung eines solch offenen Impfens eher reserviert reagiert haben, glaubt der RBK-Chef nicht, dass man in der gegenwärtigen Lage von Impfwilligen überrannt wird.

Stadtverwaltung bereitet Kampagne vor

„Das ist großartig und ganz in unseren Sinne“, sagt Markus Jox, der Sprecher des Landessozialministeriums, zu der Aktion im Robert-Bosch-Krankenhaus. Das auszuprobieren sei sehr hilfreich und könne, wenn man gute Erfahrungen damit mache, auch auf andere Impfzentren ausgeweitet werden, erklärte der Ministeriumssprecher.

Auch die Stadt plant Aktionen zur Förderungen des Impfens. So soll eine Werbekampagne aufgelegt werden. Diese wird sich aber nicht auf Plakataktionen beschränken. Vielmehr will man die Menschen durch „direkte Ansprache erreichen“, sagt Stadtsprecher Sven Matis. So nehme man „Eltern und Studierende in den Blick, aber auch Vereine könnten als gute Multiplikatoren dienen“, so Matis. Man will etwa Personen aus Sport- und Kulturvereinen gewinnen, die andere für das Impfen erwärmen können. Das sogenannte soziale Impfen, bei dem man in benachteiligten Stadtteilen bisher rund 3000 Dosen verimpft habe, soll zum Vor-Ort-Impfen erweitert werden. Dazu sei man in Gesprächen mit dem RBK und der Stuttgarter Ärzteschaft. Matis: „Der Impfstoff soll zu den Menschen kommen, nicht die Menschen zum Impfstoff.“ Über konkrete Schritte der Kampagne werde an diesem Freitag im Rathaus beraten.