Polizei und Krankenhaus-Leitung rätseln, wie eine Frau unbemerkt einen Säugling aus dem Robert-Bosch-Krankenhaus stehlen konnte. Foto: Kraufmann

Nachdem ein Säugling am 29. Dezember von einer 22-Jährigen aus dem Stuttgarter Robert-Bosch-Krankenhaus gekidnappt wurde, wird die Sicherheit der Patienten auch in anderen Krankenhäusern überprüft.

Stuttgart - Am Montagmorgen des 29. Dezember beginnt für die 26-jährige Mutter eines wenige Tage alten Säuglings ein Albtraum. Als sie gegen 7.30 Uhr auf der Entbindungsstation des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart erwacht, ist das Bettchen neben ihr leer. Von ihrem Sohn fehlt jede Spur. Auch das von ihr alarmierte Klinikpersonal und die Polizei können das Baby weder im Krankenhaus noch in der Umgebung finden. Zeugenbefragungen bleiben ergebnislos. Zuletzt hat die Nachtschwester das Baby bei ihrem Rundgang gegen 5.20 Uhr gesehen. Sieben Stunden später kommt die erlösende Nachricht: Das Baby ist gefunden worden.

Wie Polizei und Klinik-Verantwortliche erst am Mittwoch bekannt gaben, hatte ein Mann der Polizei den entscheidenden Hinweis gegeben. Der Säugling wurde daraufhin in der Wohnung einer psychisch auffälligen 22-Jährigen wohlbehalten gefunden. „Bei dem Anrufer handelte es sich um den Pflegevater der 22-Jährigen, der misstrauisch wurde, weil sie ihm gegenüber einen Säugling erwähnte, mit dem sie überfordert sei“, sagt Polizeisprecher Jens Lauer. Die Frau sei aber nie schwanger gewesen. Sie wurde festgenommen und in eine Spezialklinik eingewiesen.

„Zu ihrem Motiv lässt sich nichts sagen, da die Frau angibt, sich an die Tat nicht erinnern zu können“, sagt Lauer. Säuglingsnahrung und Windeln, die in der Wohnung gefunden wurden, lassen aber vermuten, dass die Tat geplant war. „Ich kann mich nicht daran erinnern, dass so etwas schon einmal in Stuttgart passiert ist“, kommentiert Lauer den Vorfall.

Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hatte beschlossen, mit dem Fall zunächst nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, um die Familie des Babys, aber auch die mutmaßliche Täterin zu schützen. Erst als die Familie des entführten Babys selbst an die Presse ging, entschlossen sich das Robert-Bosch-Krankenhaus und die Polizei ebenfalls dazu, die Öffentlichkeit zu informieren. „Für uns ist es unglücklich gelaufen, weil wir nie vorhatten den Vorfall zu verheimlichen, aber die Persönlichkeitsrechte der Eltern nicht verletzen wollten“, sagt Professor Dr. Mark Dominik Alscher, Ärztlicher Direktor des Robert-Bosch-Krankenhauses, am Mittwoch. Auf den Vorfall habe man im Robert-Bosch-Krankenhaus umgehend reagiert und den privaten Wachdienst, den es bereits seit über zwei Jahren nachts im Krankenhaus gibt, verstärkt. Dieser soll nunmehr zwischen 20 und 6 Uhr auch auf der Entbindungsstation nach dem Rechten sehen.

Bisher war der Sicherheitsdienst laut Alscher vor allem zum Schutz des Klinikpersonals in der Notaufnahme eingesetzt. Kameras in den Parkhäusern und im Eingangsbereich sowie verschlossene Türen in der Nacht – abgesehen von der Notaufnahme – sollten die Sicherheit der Patienten gewährleisten. „Unsere Vorkehrungen waren bisher schon hoch, doch wir denken über weitere Maßnahmen nach“, sagt Alscher. Dazu könnten Alarmbändchen gehören, die den Säuglingen angelegt werden und ein Signal auslösen, sobald ein Baby damit die Station verlässt. „Darüber hatten wir bereits vor einiger Zeit nachgedacht, die Idee aber als wenig praktikabel verworfen“, sagt Alscher. Nun stellt sich die Frage wieder neu.

Auch in der Frauenklinik will man die Sicherheit der Patienten gewährleisten. So werden die Mütter mit Merkblättern auf Risiken aufmerksam gemacht. Kranke Neugeborene werden in der Abteilung für Neonatologie und Intensivmedizin betreut. Die Stationen dort sind für Außenstehende nicht zugänglich und werden nur von Mitarbeitern des Hauses geöffnet. Besucher und Eltern klingeln und können nach Überprüfung der Identität die Station betreten.

Im Marienhospital schließt Sprecher Rainer Kruse nicht aus, dass der Vorfall für neue Sicherheitsdiskussionen sorgen könnte. „Alle praktikablen Maßnahmen haben wir bereits ergriffen“, so Kruse. Dazu gehörten Armbänder für Patienten, um Verwechslungen auszuschließen. Zudem sei das Personal geschult, ein Baby nur im Beisein der Mutter an eine dritte Person weiter zu geben. Jedoch: „Eine Entführung kann in jedem Krankenhaus passieren“, sagt Kruse, „denn wir sind kein Gefängnis.“