Das Foto zeigt Robbie Williams am 4. Juni in Manchester beim Benefizkonzert für die Opfer des Terroranschlags. Aufgrund „nicht zumutbarer Auflagen“ hat die Deutsche Presse-Agentur den Tourauftakt in Dresden nicht fotografiert. Foto: dpa

Robbie Williams hat in Dresden seine Deutschlandtournee eröffnet. Im nicht ausverkauften Stadion liefert der Superstar eine brillante Show und meistert den Spagat zwischen Größenwahn und Menschlichkeit. Als putzigster Moment des Abends erweist sich das Autogrammbegehren eines weiblichen Fans.

Dresden - Nanu, was ist denn da los? Bald zwanzig Uhr ist es am Montagabend in Dresden bereits, auf der Bühne im Fußballstadion schmettert die standesgemäß für das Vorprogramm gebuchte Band Erasure rund um den leicht angegrauten früheren Depeche-Mode-Gründer Vince Clarke ihren leicht angejahrten Kracher „Sometimes“ – doch auf den Rängen klaffen riesige Lücken. Die Abendkassen sind noch geöffnet, die Schwarzmarkthändler stehen sich dementsprechend erst die Beine in den Bauch und lassen dann die Preise kräftig purzeln. Allein: Es hilft nicht. Rund zwanzigtausend Besucher werden am Ende dabei sein, was einerseits natürlich ein Publikumszuspruch ist, von dem 99,9 Prozent aller Musiker dieser Welt nur träumen können, andererseits jedoch einen der Größten dieses Metiers zum Auftakt einer Deutschlandtournee enttäuschen muss.

Woran liegt’s? An den Ticketpreisen, die bei knapp unter hundert Euro beginnen und für halbwegs gute Plätze weit darüber enden? Vielleicht, auch für die Konzerte in den Stadien in Hannover und Frankfurt gibt es noch Billetts. Allerdings nur noch Restkarten. Der Rest der Deutschlandtour ist ausverkauft, Dresden also nur eine zu vernachlässigende Auftaktpanne. Schwamm drüber, rund eine Viertelmillion Menschen wird ihn am Ende allein hierzulande gesehen haben, die Strahlkraft des britischen Sängers ist folglich noch immer ungebrochen.

Warum das wohl auch noch länger so bleiben wird, führt Robbie Williams sodann umstandslos vor. Der blendend aussehende und bestens austrainierte 43-jährige Entertainer kommt im sommerlichen Dresden in einem Boxermantel auf die Bühne, den er aber augenblicklich abwirft, um den Rest des Konzerts in einer etwas ungewöhnlichen Kombination aus Muskelshirt und Faltenrock zu absolvieren, was ihm verblüffenderweise sogar bombig steht. Dabei hat er eine erstaunlich kleine Band, die allerdings einen umwerfend dynamischen Sound erzeugt. Eine Wagenladung Tänzerinnen, die als Bewegungswunder zu bezeichnen eine glatte Untertreibung wäre. Und ein paar fleißige Helferlein, die alles andere als dezent ständig neues mehr oder weniger zweckfreies Sitzmobiliar auf die Bühne schieben, was bei jedem anderen als ablaufstörend empfunden worden wäre, hier aber die Gaudi maximiert.

Das Lied für seinen Sohn heißt „Motherfucker“

Robbie Williams beginnt den Abend nicht wie traditionell mit seinem zum Programm gewordenen Klassiker „Let me entertain you“, sondern mit dem nicht minder sinnfälligen Stück „Heavy Entertainment Show“, dem Titeltrack seines aktuellen Albums. Erst danach kommt der gewohnte Auftaktsong, Williams lupft frivol vorn und hinten sein Röckchen, ehe sich kurz darauf sogleich der putzigste Moment des gesamten Auftritts ereignet. Eine junge Frau aus der ersten Reihe reckt ein Schild in die Höhe, Williams erspäht die kokette Botschaft darauf, könnte sie natürlich ignorieren, aber da er sowohl Höflichkeit wie auch Originalität schätzt, trabt er dann doch zum Absperrgitter runter. „Please sign my small Tits“ hat sie auf das Schild gepinselt, seinen schamhaften Versuch, ihr irgendetwas anderes zu signieren, wehrt sie, sich ihres Oberteils entledigend, ab. Die Besucherin hat fortan eine buchstäblich bleibende Erinnerung, das Publikum, dem das Ganze auf den Videowänden nähergebracht wurde, seinen Spaß und die Gewissheit, dass die Dame untertrieben hatte; und der Autogrammgebende nun einen Running Gag, von dem er noch den ganzen Abend zehren wird.

Das sei sein schönster Moment der vergangenen fünf Jahre gewesen, die Geburt seiner beiden Kinder eingeschlossen, juxt Robbie Williams etwa kurz darauf. Es ist die große Freude auch an den kleinen Dingen, die Robbie Williams seine charmante Art verleiht und die den Mann aus kleinen Verhältnissen zu einem großen Entertainer gemacht hat. Die liebevolle Weise, in der er sich selbst bei so einer megalomanischen Stadiontournee jedem Einzelnen annimmt. Und die einnehmende Demut, mit der dieser Superstar musikalisch auf Zeiten zurückschaut, in denen vieles noch anders war. Ein Lied von Take That – „The Flood“ – hat er daher im Repertoire, jener Boy Band, mit welcher der kometenhafte Aufstieg des kleinen Buben aus Stoke-on-Trent zum Liebling der Massen begann. Ein Lied für seinen Sohn – dass es „Motherfucker“ heißt, sei geschenkt – , der ihm lehrte wie ein Leben aussieht, bei dem nicht nur ein Egomane im Mittelpunkt steht. Seine Version von George Michaels „Freedom“, die er dem verstorbenen Kollegen und vielleicht auch der Reue über ein Übermaß an Hedonismus widmet. Und „Sweet Caroline“ von Neil Diamond, ein Lied, das ihm sein Vater früher oft vorgesungen hat.

Längst ist er der Sinatra unserer Zeit geworden

Dieser Vater, adrett im Smoking, kommt dazu leibhaftig auf die Bühne und singt das Stück im Duett mit seinem Sohn. Nicht, dass womöglich noch der Eindruck entstünde, Robbie Williams’ aktuelle Show würde allzu überraschungsarm daherkommen. Aber diese Gefahr besteht ohnehin zu keinem Zeitpunkt. A capella zaubert er zwischendurch ein Melodie-Ratespiel aus dem Hut. Zu „Party like a Russian“ wiederum, ebenfalls vom im Konzertverlauf ansonsten aufreizend stiefmütterlich behandelten neuen Album, erweist er visuell dem russischen Kubofuturismus eine Reverenz und lässt die Tänzerinnen mit einem formvollendeten Spitzentanz grüßen. So weit, so gut. Sehr gut sogar.

Zum Abschluss ist dann Hitparadenzeit. „Come undone“, „Feel“, „Rock DJ“ am Ende, unvermeidlich „Angels“ in der Zugabe, variiert eigens mit Textzeilen, bei denen selbst die wenigen Kerle im Publikum weich werden: ein würdiges Gedenken an die Terroropfer und zugleich ein Appell, sich nicht unterkriegen zu lassen. Ganz weit oben, da bleibt auch Robbie Williams. Mit einer akkuraten und vorzüglich unterhaltsamen Show. Mit dem nach wie vor brillanten und gänzlich unpeinlichen Spagat zwischen überdrehtem Größenwahn und menschelndem Ich-bin-doch einer-von-euch-Seelenstriptease. Mit Burschenherrlichkeit hier und gereifter Künstlerpersönlichkeit dort. Mit dem schelmisch gespielten Brustton der Überzeugung, mit dem er weitere Autogrammbegehrlichkeiten auf der einen Seite abwehrt und den nachdenklichen Worten „Es braucht Mut, jetzt hier zu sein“ auf der anderen, die der Mann, der in der Nähe von Manchester groß geworden ist, längst nicht nur an sich adressiert.

„My Way“ singt jener Sänger zum Abschied, der längst der Sinatra unserer Zeit geworden ist. Schweigend steht der große Entertainer Robbie Williams danach auf der Bühne und blickt andächtig ins weite Riesenrund. Als könne er es selbst kaum fassen. Da ist er nicht der einzige.