Die Autostadt Stuttgart und ihre Menschen: Oft ließ sich das eine ohne das andere nicht denken – aber nun gibt es immer mehr Momente, in denen der Zweifel den Stolz verdrängt Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

In Stuttgart herrscht Verunsicherung. Das Auto spaltet eine Gesellschaft. Auslöser sind Stichworte wie Feinstaub, Dieselgate, Kartell, Fahrverbote, autofreie Innenstadt. Das Symbol der Stadt, das auf dem Bahnhofsturm thront, vereint nicht mehr.

Stuttgart - Wohin führt der Opa in den Ferien seinen Enkel? Wohin schleppen wir unsere Gäste aus den USA? Auf den Fernsehturm, die Wilhelma und natürlich ins Mercedes-Museum. Alternativ ins Porsche-Museum. Aber vor allem der Stern ist ein mächtiges Symbol. Er macht viele Stuttgarter stolz. Groß und Klein – wie eine Episode am Bahnhof zeigt: „Opa“, sagt ein Dreikäsehoch, „weißt du warum da oben ein Stern ist?“ Opa fragt unwissend „warum?“. „Weil es die Kirche vom Daimler ist.“

Die Autostadt und ihre Menschen. Oft ließ sich das eine ohne das andere nicht denken. Wie in einer Symbiose. Aber nun gibt es immer mehr Momente, in denen der Zweifel den Stolz verdrängt und sich die Ahnung verfestigt: das Auto ist nicht nur ein Segen für die Stadt. Das große Symbol auf dem Bahnhofsturm hat seine integrative Kraft verloren. In der Stadt ist eine Verunsicherung greifbar. Das Auto wird zum Thema eines Kulturkampfes.

Auslöser sind Stichworte wie Feinstaub-Alarm, Stickoxide, Dieselgate, Kartell, Fahrverbote, autofreie Innenstadt. „Ja“, sagt Dieter Roßkopf, Vorsitzender des ADAC Württemberg, „das Automobil bewegt alle. Aber im Gegensatz zu vielen anderen Gebrauchsgegenständen löst es eben positive wie negative Emotionen aus.“ Roßkopf beobachtet das in Stuttgart, „der Welthauptstadt des Automoblis“ besonders: „In keiner anderen Stadt werden die Nachteile des Auto deutlicher. Mit entsprechendem Herzblut wird darüber diskutiert.“

Roßkopf: „In keiner anderen Stadt werden die Nachteile des Autos deutlicher.“

Im Gemeinderat gehen die Diskussionen um höhere Parkgebühren und die Abschaffung von Parkplätzen inzwischen sogar unter die Gürtellinie. Weil Hannes Rockenbauch, Stadtrat der Linken, von den Bürgerlichen als ideologischer Betonkopf gegen das Auto ausgemacht wird, rief ihm neulich ein politischer Gegner mit finsterer Miene zu: „Gugget Sie noa, dass sie endlich selber mal Geld verdienen.“ Das Niveau der Streitkultur sinkt unverkennbar. Doch am Weg der Rats-Mehrheit ändert das nichts: Das Auto mit Verbrennungsmotor soll aus der Innenstadt verschwinden.

Michael Zwick sieht die Sache etwas differenzierter. Nämlich aus der Perspektive des Technik- und Umweltsoziologen an der Uni Stuttgart. Aus seiner Sicht rast Stuttgart direkt auf einen Bruch in der Gesellschaft zu. Die Stadt, die Topografie, die Enge provoziere tägliche Konflikte zwischen Radlern, Autofahrern und Fußgängern. Um dies grundlegend zu ändern, brauche jeder seinen Verkehrsraum. „Man müsste diese drei Verkehrssysteme voneinander trennen“, sagt Zwick. Als gescheitert sieht er daher die Mischverkehrsfläche in der Tübinger Straße an: „Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten harmonieren nicht. Man müsste dem Autoverkehr generell Spuren wegnehmen und dem Radverkehr zuschlagen.“ Doch dieser radikale Umbau der Stadt braucht aus seiner Sicht eine repräsentative Mehrheit in der Bürgerschaft: „So etwas kann nur ein Volksentscheid bringen.“

Hü oder hott Auto in der Stadt.

1000 Radler blockieren den Verkehr

Damit wäre Alban Manz am Ziel. Der Initiator der monatlichen Fahrrad-Demo „Critical Mass“ wünscht sich nichts sehnlicher als mehr Radverkehr. Auch am Freitag blockierten rund 1000 Radler wieder zeitweise den Verkehr in der City. Wieder tippten sich genervte Autofahrer mit Zeigefinder gegen die Stirn.

Im Alltag zwischen Radlern und Autofahrern geht es da schon robuster zu. Manz will nicht vom „Fahrradkrieg“ sprechen, aber wenn das Auto seinen Platz behauptet, knirscht es halt. „Noch sind wir in der Minderheit“, sagt Manz, „aber der Wind in der Stadt dreht sich gerade. Von diesem Stimmungswandel wollen wir profitieren.“ Jeder kapiere so langsam, dass die Stauhauptstadt so nicht mehr lebensfähig sei.

Davon ist Seif, Student aus Tunesien, längst überzeugt. Seif wohnt am Neckartor, dem deutschen Epizentrum von Stickoxiden und Feinstaub in Deutschland. „Mein Fenster ist zur Neckarstraße hin“, sagt er, „wenn ich es öffne, riecht es nach Krebs.“ In seiner Heimat hat Seif Fahrzeugtechnik studiert. Er liebt Autos. Aber die Auto-Liebe der Stuttgarter versteht er nicht: „Hier machen alle, alles mit dem Auto. Warum nehmen sie nicht ab und zu die Bahn?“

Manchen ist dieses Verhalten, das der Tunesier anspricht, bewusst. Manchen nicht. Und den meisten scheint es einfach egal zu sein. Wer wartende Autofahrer an der Ampel vor der Schwabengarage auf ihr ökologisches Gewissen anspricht, erntet entweder böse Blicke oder knappe Antworten: „Ich muss hier durch“, sagen die meisten, „ich muss schließlich schaffen.“ Nur eine Mutter, die ihren Sohn durch die Gegend kutschieren muss, sagt: „Ich fahre generell nicht mehr gerne Auto. Und am Neckarttor fahre ich sehr ungern vorbei.“

Der feine Riss ist an jeder Ecke spürbar

Da ist er wieder: Dieser feine Riss, der sich durch die Stadt zieht. Es ist an jeder Ecke spürbar. Es ist dieses Unbehagen beim Thema Zukunft des Autos in der Stadt. Und noch ist unklar welche Folgen alles hat. Ortwin Renn, bis zuletzt Professor für Umwelt- und Techniksoziologie an der Uni Stuttgart und jetzt in Potsdam, kennt sich mit solchen Konfliktpotenzialen aus. Damals, mitten in den Hochzeiten des Bahn-Projekt S 21, sagte er: „Konflikte sind nichts Schlechtes. Es bedarf aber einer Kultur des Zuhörens und des Dialogs, nicht der Inszenierung von Positionen.“ Doch genau letzteres findet derzeit statt. Ellbogen-Argumetation. Nicht nur zwischen Radlern und Autofahrern. Nicht nur zwischen Links und Rechts im Gemeinderat. Nicht nur zwischen Handel und Politik. Oder zwischen der Deutschen Umwelthilfe und der Automobilindustrie.

Der kleinste gemeinsame Nenner ist kaum zu finden. Professor Renn ahnt daher größeres Ungemach auf die Stadt zukommen: „Es ist offensichtlich, dass sich die Besitzer von Dieselfahrzeugen mit einem Fahrverbot in Stuttgart kaum abfinden werden. Ich rechne mit entsprechenden Klagen vor Gericht, sollte es soweit kommen.“ Und: „Größere soziale Konflikte gibt es aber in der Frage, wie die Politik auf diese Krise reagieren soll und ob man auf die Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie mehr Gewicht legen soll, als auf die lückenlose Verfolgung von gesetzlichen Übertretungen. In dieser Frage sind, soweit ich es sehe, gerade in Stuttgart die Gemüter sehr gespalten.“

Daimler-Mitarbeiter sind verunsichert

Mitten drin in diesem Wirbel sind die Beschäftigen der Automobilindustrie und deren Zulieferer. Die Schaffer von Bosch, Porsche oder Daimler. Thomas Wegert ist einer von ihnen. Seit 34 Jahren arbeitet er dort, wo das Mercedes-Herz schlägt. Im Werk 10, Untertürkheim, der Motorenschmiede des Konzerns. Bis zuletzt war in dieser Welt alles in Ordnung. Doch der Diesel-Abgas-Skandal sowie der Transformationsprozess in Richtung E-Mobilität verunsichert alle. „Bei uns hat’s lange gebrodelt“, sagt Wegert. Nun habe Daimler-Chef Dieter Zetsche zwar Zusagen gemacht, aber bei manchen Kollegen sei die Zukunftsangst nicht verflogen.

Zudem fürchten alle das Damoklesschwert: „Wenn nur ein Motor von uns so ein Zulassungsverbot bekäme wie der Cayenne, wäre das eine Katastrophe. Deshalb wollen viele Mitarbeiter darüber gar nicht nachdenken“, weiß Wegert. Es wäre ein Vertrauens- und Identifikationsverlust. Nicht nur im Werk 10.

So eine „Katastrophe“ würde die Unsicherheit und den Riss in der Autostadt wohl verstärken. Manche in der Stadt zitieren in diesen Zeiten daher gerne den Slogan einer VW-Werbung. „Es geht um mehr als ein Auto. Es geht darum, wohin es dich führt.“ In eine Sackgasse oder in eine neue Zukunft?

Die einen sagen so, die anderen so.