Es geht um riskante Finanzgeschäfte, dubiose Bankberatungen und einen kritischen Oberbürgermeister: Die Stadt Pforzheim muss sich gegen den Verdacht der Untreue wehren.

Pforzheim - Es geht um riskante Finanzgeschäfte, dubiose Bankberatungen und einen kritischen Oberbürgermeister: Die Stadt Pforzheim muss sich gegen den Verdacht der Untreue wehren. Doch Finanzexperten sind überzeugt, dass die Schuldigen ganz woanders sitzen.

Um zehn Uhr morgens fuhren sie vor. Drei Staatsanwälte aus Mannheim parkten ihren Wagen in der Nähe des Marktplatzes und gingen die letzten Schritte zu Fuß. Im Rathaus nahmen sie den direkten Weg zum Büro von Oberbürgermeister Gert Hager und legten ihm einen Durchsuchungsbeschluss vor. "Ich war völlig überrascht", sagte Hager am Dienstagnachmittag. Denn angekündigt hatten sich die Herren nicht. Dass es einmal so weit kommen würde, diese Ahnung hatte Hager schon seit mehreren Wochen mit sich herumgetragen. Denn vor einiger Zeit war bei der Pforzheimer Polizei eine anonyme Anzeige eingegangen.

Der Vorwurf, den der anonyme Schreiber der Stadt machte: Untreue, und zwar im Zusammenhang mit riskanten Derivatgeschäften. Das sind Finanzgeschäfte, bei denen vereinbart wird, Güter, zum Beispiel Aktien, zu einem bestimmten Zeitpunkt und zu einem bestimmten Preis zu kaufen oder zu verkaufen. Ein hochkomplexes Thema. Und so hatten die Staatsanwälte auch Verstärkung mitgebracht, in Person von Beamten der Landespolizeidirektion Karlsruhe.

Lange blieb der Besuch aus Mannheim am Dienstag nicht geheim. Die Stadt selbst setzte noch am Vormittag eine Presseerklärung ab und teilte mit, im Zentrum der Ermittlungen stünden die ehemalige Oberbürgermeisterin Christel Augenstein und "die Verantwortlichen der Kämmerei". Wer damit gemeint war, dürfte allen Beteiligten klar gewesen sein: die frühere Kämmerin Susanne Weishaar. Sie hatte bereits Anfang vergangener Woche ihren Rückzug erklärt. Beim Thema Finanzgeschäfte hatten die Kämmerin und der Gemeinderat keine gemeinsame Basis mehr gefunden.

Was war geschehen? Die Stadt Pforzheim hatte Schulden von fast 130 Millionen Euro angehäuft - eine schwere Zinsbelastung. Diese Belastung wollte sie loswerden und kaufte deshalb Zinsderivate. Dabei werden zum Beispiel Festzinsdarlehen in ein Darlehen mit variablem Zinssatz umgewandelt. Beraten ließ sich die Stadt von der Deutschen Bank und der US-Bank J.P.Morgan. Doch statt finanzieller Erleichterung verschaffte sich die Stadt das Gegenteil: Die Rede ist von 77,5 Millionen Euro Verlust durch die Anlagegeschäfte. "Ich habe diese Geschäfte nie für richtig gehalten", sagte Hans-Ulrich Rülke, FDP-Fraktionschef im Pforzheimer Gemeinderat am Dienstag. Deshalb habe er Anfang Oktober auch die Suspendierung von Kämmerin Weishaar gefordert. Dass sie Fehler gemacht hat bei den Zinsgeschäften oder gar sich selbst bereichert, daran glaubt in Pforzheim kaum jemand. Weishaar hatte in den vergangenen Jahren die Privatisierungen des städtischen Klinikums und der Verkehrsbetriebe abgewickelt. "Das hat sie hoch professionell gemacht", sagt eine Gemeinderätin.

Probleme mit riskanten Anlagegeschäften: Dieses Schicksal teilt Pforzheim mit etlichen anderen Städten im Südwesten. Dieser Meinung ist zumindest der Pforzheimer OB Hager. Mit der weltweiten Finanzkrise hätten viele Kommunen versucht, ihre anwachsenden Schulden abzufedern. Als geeignetes Mittel erschienen ihnen dabei Zinsderivate. "Viele wissen gar nicht, auf was für tickenden Zeitbomben sie da sitzen", sagte Hager. Die juristischen Berater der Stadt Pforzheim, die Anwälte der Münchner Kanzlei Rössner, sind überzeugt: Es gibt etwa zehn bis 15 weitere betroffene Kommunen in Baden-Württemberg. Auch sie seien durch die Berater der Deutschen Bank "getäuscht" worden, wie es ein Anwalt ausdrückt. Die Kommunen stellten also die Opfer dar, die Bankberater die Schuldigen. Warum nun die Stadt Pforzheim an den Pranger gestellt werde, das könne er nicht verstehen. "Wir sind schockiert vom Vorgehen der Staatsanwaltschaft."

Pforzheims OB Hager setzt weiter auf Offenheit. "Ich bin für absolute Transparenz", sagte er. Eine Überprüfung der Anlagegeschäfte hatte er bereits Ende Juni angeordnet. Der Abschlussbericht der Gemeindeprüfungsanstalt soll in einigen Tagen vorliegen.