Brisanter Stoff: Ein Fahnder zeigt eine Handvoll Chrystal Meth. Foto: AP/Michael Probst

Sex unter Drogen ist in manchen Kreisen beliebt. Eine neue Beratungsstelle an der Uniklinik Tübingen will über die Risiken des sogenannten Chemsex aufklären.

Stuttgart - Sex im Drogenrausch – darum geht es bei dem Trend Chemsex, der sich von Großbritannien kommend immer weiter in Europa ausbreitet: Dabei werden vor allem Stimulantien wie das Amphetamin Mephedron oder Crystal Meth konsumiert. Beide Stoffe machen euphorisch, erhöhen den Herzschlag und den Blutdruck – und damit die sexuelle Erregbarkeit. Ebenfalls beliebt sind auch Substanzen, die unter dem Namen k.o.-Tropfen bekannt sind: GHB (Gammahydroxybuttersäure) und seine Vorstufe GBL (Gamma Bytrolacton). Auch sie dienen dazu, Sex enthemmter zu erleben – insbesondere in der Gruppe.

Ist Chemsex ein Jugendphänomen?

Nein. Beliebt ist diese Praxis vor allem in der Schwulen-Szene – „und da auch in allen Altersstufen“, sagt ein Kenner der Berliner Szene, der sich Prakash nennt und früher selbst regelmäßig Chemsex praktiziert hat. Heute arbeitet der 38-Jährige als ehrenamtlicher Berater unter anderem für die schwule Präventionskampagne der Deutschen Aids-Hilfe. Das bestätigten auch wissenschaftliche Daten, ergänzt Carsten Käfer, Mediziner und Suchtforscher an der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uniklinik Tübingen. „Allerdings schwappt der Trend auch in die heterosexuelle Partyszene über.“

Ist Chemsex ein Großstadt-Problem?

Nein. Nicht nur in Berlin, auch in Baden-Württemberg liegen nach Angaben der Universitätsklinik Tübingen Schwerpunkte der sogenannten Chemsex-Szene. Vor allem in den Regionen Reutlingen, Stuttgart, Konstanz und im Zollernalbkreis gibt es ein erhöhtes Aufkommen von Konsumenten.

Wieso wird vor Chemsex gewarnt?

Es sind vor allem die Drogen, die den Ärzten Sorgen machen: Denn sowohl Mephedron als auch Crystal Meth machen schnell abhängig. Auch die Substanzen GHB und GBL bergen ein psychisches und ein körperliches Suchtpotenzial. Oft werden mehrere Drogen miteinander kombiniert, erklärt Szene-Kenner Prakash – etwa um die tagelangen Partys durchzuhalten. Daraus ergeben sich gefährliche Cocktails. „Es gibt in der Szene immer wieder Todesfälle“, warnt auch der Tübinger Mediziner Carsten Käfer. Ein weiteres Problem: Menschen, die Drogen konsumieren, haben ein erhöhtes Risiko, eine Depression, eine Psychose oder eine andere psychische Erkrankung zu entwickeln. Auch die Gefahr, sich mit einer sexuell übertragbaren Krankheit anzustecken ist bei Chemsex-Praktikern höher. „Unter Drogeneinfluss steigt das Ansteckungsrisiko für HIV und andere sexuell übertragene Krankheiten an“, so Käfer.

Was reizt Konsumenten trotz der Gefahren am Chemsex?

„Alles muss schnelllebiger und leistungsfähiger sein“, sagt der Szene-Kenner Prakash. Das wirke sich auch auf den Sex aus – „gerade in der Schwulen-Szene.“ Die Drogen würden einem augenscheinlich die Möglichkeit bieten, mit diesem Anspruch Schritt halten zu können. Auch sei für viele Sex im nüchternen Zustand nicht mehr vorstellbar, sobald sie mit Chemsex angefangen hätten, so Prakash. Ähnliches bestätigt auch eine Studie der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Die Wissenschaftler haben mit Hilfe von Interviews und Online-Befragungen die Motive der Konsumenten untersucht. Dabei kam heraus, dass viele auf Chemsex zurückgreifen, um ihren Mangel an Selbstvertrauen und sexuellem Selbstwertgefühl zu überwinden.

Wie wollen Experten besser aufklären?

Die Uniklinik Tübingen richtet von Dezember an eine Sprechstunde für Chemsex-Betroffene ein. „Wir wollen die Konsumenten dort beraten und wenn nötig medizinisch begleiten“, sagt Carsten Käfer. So können Betroffene etwa einen HIV-Test vornehmen lassen. Sollten gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit dem Drogenkonsum auftauchen, wird ihnen die nötige medizinische Hilfe angeboten. „Wir helfen auch bei der Entgiftung und der Entwöhnung“, sagt Carsten Käfer. Ein Wunsch ist es auch, eine Art Selbsthilfegruppe aufzubauen, wie es sie etwa bei den Anonymen Alkoholikern gibt.

Weitere Infos über die Beratungsstelle für Chemsex gibt es im Netz unter www.medizin.uni-tuebingen.de/de/chemsex. Eine Terminvereinbarung ist möglich per Mail (chemsex@med.uni-tuebingen.de) oder per Telefon ( 070 71/29 82 31 3).