Die Entdeckung in „Parasomnia“, dem „Tatort“ aus Dresden: Hannah Schiller Foto: MDR/Daniela Incoronato

Millionen von Zuschauern ließen sich von ihrem geheimnisvollen Spiel hypnotisieren: Hannah Schiller rückte am Sonntag ins Zentrum des Dresdner „Tatorts“. Wer ist die Jungschauspielerin?

Stuttgart - Diese Augen, die schon alles gesehen haben, in einem Gesicht, das viel zu jung dafür ist! Umwölbt von dichten Brauen blicken sie groß und dunkel in die Welt, schreckgeweitet und angstverzerrt ob all der Ungeheuerlichkeiten, die schon auf sie eingestürzt sind. Alt sind diese Augen, gepeinigt von schmerzlicher Erfahrung, doch dann – nur einen Lidschlag später – verjüngen sie sich jäh, werden mädchenhaft warm, glänzen und suchen freundlich Nähe. In diesem magischen Blick, in diesem ernsten Gesicht, hinter dieser hohen, in Falten liegenden Stirn spielt sich das verstörende Paradox eines erwachsenen Kinderdramas ab – und wenn die 20-jährige Hannah Schiller, die noch auf Jahre hinaus jünger spielen kann, als sie ist, mit dieser irritierenden Grundspannung ins Bild tritt, ist sie da. Unverrückbar, unvergesslich – und wenn nicht alles täuscht, ist sie das noch sehr lange. Sie wird Karriere machen.

Millionen von Zuschauern konnten sich am Sonntagabend von Hannah Schiller hypnotisieren lassen. Im Dresdner „Tatort“ spielte die 2000 in Bonn geborene, von braunem Mädchenhaar umflossene Schauspielerin die 16-jährige, mit übersinnlichen Fähigkeiten begabte Talia. Talia sieht Geister, vornehmlich im Schlaf, deshalb der Filmtitel „Parasomnia“ – und als Geisterseherin, die sich mit umgehängter Taschenlampe nachts durchs Spukhaus tastet, hilft sie dem Ermittlerteam bei der Aufklärung eines Serienmords. Wie leicht hätte dieser Mystery-Thriller zur besten Sendezeit in okkulten Schwachsinn abdriften können, in billigen Gespensterkram, hätte da nicht alles gestimmt, vom Drehbuch über die Regie bis hin eben zur Besetzung – und darin, aufsteigend wie ein schwarzer Komet, die faszinierende Frau Schiller, die den Grusel plausibel mit Psychologie grundiert.

Wann kommt das Biopic über Greta Thunberg?

Denn auch das beweist die ins Zentrum von „Parasomnia“ rückende Schauspielerin: Sie geht über äußere Effekte hinaus. In das Verstörende ihrer Figur mischt sie das Anrührende, in das Aufstampfende immer auch das Hilflose, das in diesem außergewöhnlichen „Tatort“ aus einem lange verdrängten Schuldgefühl herrührt: Schillers Talia – wer hier an den Dichter denkt, liegt wohl nicht falsch – fühlt sich verantwortlich für den Tod ihrer Mutter. Das junge Mädchen wird wieder ganz zum Kind, um kurz darauf, mit dem letzten rätselhaften Augen-Blick, den die Kamera einfängt, erneut zum diabolischen Kindgreis zu mutieren, der noch viele Gesichte haben wird. Eine so stupende und intensive Verwandlungskunst fällt freilich nicht vom Himmel, auch nicht bei Schiller, die bereits mit neun Jahren auf der Bühne stand und im Kinderchor ihrer Heimatstadt Bonn in Mozarts „Zauberflöte“ sang. Im Fernsehen wurde sie nach kleineren Rollen etwa in der „Lindenstraße“ mit der Serie „Phoenixsee“ einem breiteren Zuschauerkreis bekannt. Seit Sonntag aber kennt auch das große Primetime-Publikum ihr Ausnahmetalent.

„Parasomnia“ gehört vermutlich zu den Filmen, die einen Nachwuchsschauspieler auf einen Schlag rausbringen: Paula Beer in „Bad Banks“, Franz Rogowski in „Transit“, Volker Bruch und Liv Lisa Fries in „Babylon Berlin“. Auch Hannah Schiller wird bleiben, prädestiniert fürs Rollenfach der schwierigen, intelligenten, komplexen Charaktere aus der Fridays-for-Future-Generation und schon jetzt unser Favorit für ein Biopic über Greta Thunberg. Davor warten aber noch andere Karriereschritte auf sie. Im April kommt Schiller, so Corona will, mit Dominik Grafs Kästner-Verfilmung „Fabian“ in die Kinos. Und in Serie geht sie auch: in einer Neuauflage der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ auf Amazon Prime, wo sie eine der jungen, durch Drogen zerstörten Seelen spielt. Passt!