Ob May die nächsten Tage politisch übersteht, ist unklar. Foto: AFP

Die Abstimmungen dieser Woche bedeuten für Theresa May eine Sackgasse. Alle Seiten wird sie kaum zufriedenstellen können.

London - Angesichts stockender Verhandlungen in Brüssel ist die britische Premierministerin 17 Tage vor dem Austritt ihres Landes aus der EU in ernste Bedrängnis geraten. Immer mehr Tory-Politiker fordern jetzt den Rücktritt Theresa Mays.   Brexit-Hardliner ihrer Partei drohen ihr für die Brexit-Abstimmung an diesem Dienstag erneut eine schwere Niederlage im britischen Unterhaus an – und einen regelrechten Aufstand, so sie eine Verzögerung des auf den 29. März terminierten Austritts bei einer separaten Abstimmung in der zweiten Wochenhälfte zulässt. Andererseits haben auch proeuropäische Minister ihres Kabinetts deutlich gemacht, dass sie weitere Ausweichmanöver Mays nicht länger tolerieren wollen.  

May findet sich bedrängt von beiden Seiten. Sie hatte dem Parlament für diesen Dienstag erneut ein Urteil über „ihren“ Brexit-Deal mit der EU, dem im Vorjahr ausgehandelten Austrittsvertrag, versprochen. Bei der ersten Abstimmungsrunde Mitte Januar war dieser Deal mit 432 zu 202 Stimmen abgeschmettert worden.   Angetrieben von ihren Hardlinern, hatte May in der Folge von der EU grundlegende Änderungen am Vertrag gefordert. Diese verweigerte Brüssel aber mit dem Argument, dass an der bereits vereinbarten Garantie offener Grenzen in Irland, dem sogenannten Backstop, unter keinen Umständen gerührt werden dürfe.   Damit zerschlug sich die Hoffnung Mays, dem Unterhaus diese Woche einen revidierten Vertrag vorlegen zu können.

Die Brexit-Gespräche sind festgefahren

Am Montag räumte die Regierungszentrale ein, dass die Gespräche festgefahren waren – wiewohl London daran festhielt, dass May der EU noch „Zugeständnisse“ abringen könne.   Zu diesem Zweck hielt sich eine Maschine der Royal Air Force am Montag für eine „Mission der letzten Minute“ bereit. Nach Informationen aus Dublin plante May für den Abend einen Blitztrip nach Straßburg, um sich mit dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zu treffen.  

In der Konservativen Partei ging man aber davon aus, dass es bei der für diesen Dienstag geplanten Abstimmung so oder so erneut zu einer Niederlage für May kommen wird. Unterdessen lösten zeitweise kursierende Gerüchte, May wolle die Abstimmung absagen oder auf irgendeine Weise entschärfen, zornige Reaktionen bei Proeuropäern aller Fraktionen im Parlament aus.   Yvette Cooper, die Labour-Vorsitzende des innenpolitischen Ausschusses, erklärte, wenn diese und zwei andere wichtige Abstimmungen diese Woche nicht stattfänden, hätte May das Parlament „belogen“. Der frühere Tory-Staatssekretär Nick Boles warnte, falls sich May nicht an ihre eigenen Gelöbnisse halte, habe sie „das Vertrauen des Unterhauses verwirkt“.   Zu den Abstimmungen, die May den Parlamentariern für diese Woche zugesagt hatte, gehörte auch eine zur Frage, ob ein Abgang aus der EU ohne Vertrag – ein No-Deal-Brexit – akzeptabel oder nicht akzeptabel wäre. Diese Abstimmung war von einer Reihe von Ministern im Januar ultimativ gefordert und für diesen Mittwoch geplant worden.   Sollte das Unterhaus auch einen No-Deal-Brexit ablehnen, hatte May für Donnerstag eine dritte Abstimmung zur Verschiebung des Austrittsdatums versprochen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wollen die Brexiteers in der Regierung und in der Fraktion rebellieren.   Ein Aufschub bedeutet für sie, dass sich die Regierung auf eine „Verwässerung“ des Deals oder gar auf ein neues EU-Referendum vorbereitet. May selbst hatte unzählige Male versprochen, dass es keine Verzögerung beim Brexit geben werde. „Am 29. März um 23 Uhr“, hatte sie immer wieder beteuert, „treten wir aus der EU aus.“

Brexit-Hardlinder könnten May das Leben schwermachen

Mittlerweile sieht sich May von ihren Brexit-Hardlinern schon derart angefeindet, dass man sich in London fragt, wie lange sie sich noch wird halten können. Wenn May die für Dienstag angesetzte Abstimmung über ihren Deal erneut verliere, werde es ihr sehr schwerfallen, „noch wesentlich länger“ im Amt zu bleiben, erklärte jetzt Nicky Morgan, die frühere Tory-Bildungsministerin.   Ex-Brexit-Minister Dominic Raab, der sich selbst Hoffnungen auf die May-Nachfolge macht, sieht die Regierung schon jetzt „in einer heiklen Lage“.

Sollte May das Austrittsdatum fallen lassen oder sich von den Forderungen der Brexiteers distanzieren, würde ihre Situation „noch viel schwieriger“ werden, sagte er.   Die Hardliner, denen Raab angehört, verlangen auch, dass May bei einer No-Deal-Abstimmung weiter zu ihrer Überzeugung steht, dass es im Zweifelsfall besser sei, ganz ohne Vereinbarung aus der EU auszuscheiden. Nun drohen ihr aber auch proeuropäische Regierungsmitglieder mit dem Aufstand, falls die Regierungschefin ihnen nicht erlaubt, diese Woche gegen einen No-Deal-Brexit zu stimmen.  

Kommt doch noch ein zweites Referendum?

Weitere Unklarheit herrschte am Montag in der Frage eines möglichen zweiten Brexit-Referendums. Die Befürworter eines solchen „Peoples Vote“ halten sich bislang zurück. Sie glauben, dass ihre Chance am besten kurz vorm aktuellen Austrittsdatum ist – wenn alle anderen Möglichkeiten erschöpft sind.   Die Schottische Nationalpartei (SNP) hat allerdings angekündigt, dass sie einen Antrag im Unterhaus einbringen will, der Schottland das Recht zu einem erneuten schottischen Unabhängigkeitsreferendum verschaffen soll. Den ersten Volksentscheid zu dieser Frage, im Jahr 2014, verloren die Befürworter schottischer Souveränität mit 45 zu 55 Prozent.