Sebastian Sigle hat eine höchsten Standards genügende Messstation für Geräuschimmissionen auf seiner Terrasse. Foto: Werner Kuhnle

Der Rettungshubschrauber bei Pattonville (Kreis Ludwigsburg) soll in Zukunft auch nachts starten dürfen. Anwohner befürchten gesundheitliche Schäden durch den Lärm. Sie werfen dem Land vor, ein fehlerhaftes Gutachten zu nutzen und Alternativen zu ignorieren.

Wenn der Hubschrauber am Flugplatz Pattonville startet, stocken die Gespräche in den Gärten der Nebraskastraße. Keine 200 Meter liegen zwischen dem Flugplatz und den relativ neuen Häusern dort. Tagsüber ist das schon eine gewohnte Szenerie für die Anwohner. Das wussten sie, als sie dorthin zogen. Geht es aber nach den Plänen des Landes, soll der Rettungshubschrauber künftig regelmäßig auch zu Nachteinsätzen starten. Hintergrund ist ein neues Luftrettungskonzept. Bisher ist von 22  bis 6 Uhr maximal eine Landung gestattet, fortan wären jährlich bis zu 800 sogenannte Flugbewegungen zulässig. Zudem wollen die Hobbyflieger von der Flugbetriebsgemeinschaft Pattonville erreichen, dass die Begrenzung auf 2500 Starts pro Jahr aufgehoben wird.

In Sicht- und Hörweite: Die Bebauung in Pattonville ist keine 200 Meter vom Flugplatz entfernt. /Werner Kuhnle

Anwohner aus der Nebraskastraße wollen gegen die Pläne vorgehen, gleichzeitig aber klar machen, dass sie nichts gegen den Rettungshubschrauber an sich haben – und das alles vor dem Hintergrund, dass sie sich nur geringe Erfolgsaussichten einräumen, weil sie eine große Selbstsicherheit auf der Seite des Landes festgestellt haben. Sebastian Sigle war einer von den Anwohner, die sich bei der Bürgerinfoveranstaltung zur Ausweitung des Flugbetriebs im Juni kritisch beteiligten.

Anwohner befürchten Schlafstörungen

„Das habt ihr doch gewusst“, sei häufig ein Vorwurf, der den Anwohner entgegengebracht werde. Nach dem Motto: „Wer am Flugplatz baut, darf sich nicht über Fluglärm beschweren.“ Wie alle Anwohner haben Sigle und Nachbarin Jasmine Schrägle den Rettungshubschrauber als Nachbarn akzeptiert – zumindest tagsüber. „Unser Bauträger hat uns damals zugesichert, dass es keine Nachtflüge geben wird“, sagt Jochen Siers, ein weiterer Anwohner aus Pattonville, der sich mit seinen Nachbarn zusammengetan hat, um das Verfahren kritisch zu begleiten.

Auch von Seiten der Stadt Kornwestheim habe man in der Vergangenheit immer die Zusicherung erhalten, sich gegen Nachtflüge auszusprechen. Aktuell sei es so, dass der Hubschrauber immer mal wieder in der Nacht starte oder lande. Davon werde man auch wach, je nachdem wie tief der eigene Schlaf sei. Sollte dies zur Dauereinrichtung werden, befürchten die Nachbarn Gesundheitsschäden. „Regelmäßige Aufwachreaktionen haben einen negativen Impact auf die Psyche“, fasst Sigle wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Thema zusammen.

Die Anwohner halten das Gutachten, das das Regierungspräsidium Stuttgart beauftragt hat, und das einen Nachtbetrieb als lärmtechnisch unbedenklich für Anwohner einstuft, für fehlerhaft. „Da wurden theoretische Werte fehlerhaft berechnet und nicht unter den tatsächlichen realen Bedingungen gemessen“, so Jochen Siers. Die Anwohner haben sich hierzu bereits juristischen und sachverständigen Beistand geholt. Eine hoch entwickelte Messstation der Dekra misst seit Anfang Mai den Lärm von einer Dachterrasse in der Nebraskastraße aus. „Die gemessenen Werte sind deutlich höher, als das was im Gutachten berechnet wurde“, sagt Sigle. Erste Zahlen deuten daraufhin, dass Grenzwerte überschritten werden, wenn der Hubschrauber startet oder landet. Im Gutachten, das das Regierungspräsidium Stuttgart in Auftrag gegeben hat, wird ein Maximalschallpegel von 71 Dezibel errechnet, in den vorläufigen Messungen durch die Dekra auf der Terrasse von Sigle liegt der Maximalschallpegel bei 85 Dezibel.

Zum Vergleich, ein Staubsauger liegt im Schnitt bei 70, ein Saxofon bei 85 Dezibel. Laut Weltgesundheitsorganisation stellen sich bei nächtlichem Fluglärm oberhalb von durchschnittlich 40 Dezibel negative Auswirkungen auf den Schlaf ein.

Ein Rettungshubschrauber startet am Flugplatz in Pattonville. /Simon Granville

Ein Knackpunkt ist darüber hinaus, dass die errechneten Werte auch deshalb nicht zu einem Verbot von nächtlichen Starts führen, weil erst ab sechs solcher erhöhten Werte pro Nacht von einer Störung die Rede ist, und das laut Gutachten in Pattonville nicht vorliegt. Die Anwohner sagen, dass der Hubschrauber lauter ist, und auch schon unter der Schwelle von sechs Flugbewegungen pro Nacht eine Schlafstörung eintritt. Dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann erst kürzlich in anderem Zusammenhang sagte „Lärm ist eine große und eine der am meisten unterschätzte Umweltbelastungen für Menschen. Er kann regelrecht krank machen“, und gleichzeitig den Anwohnern in Pattonville so viel zugemutet werde, ärgert diese.

Die Bürgerinformationsveranstaltung im Juni hat nicht zur Beruhigung beigetragen. Es habe sich der Eindruck durchgesetzt, dass die Ausweitung durchgedrückt werden solle und die Einwände der Bürger nicht wirklich ernst genommen würden. Dabei sind die Anwohner kompromissbereit. Sie halten den Standort in Leonberg zwar für geeigneter, aber wenn es Pattonville sein soll, regen sie zumindest eine Verlagerung des Helikopters auf den hinteren, weiter von der Bebauung entfernten Teil des Flugplatzes an.

Landrat wirbt offensiv für Nachtflüge ab Pattonville

Verfahren
Noch bis 19. Juli sind Einwendungen gegen den Antrag zur Ausweitung des Flugbetriebs in Pattonville möglich. Danach entscheidet das Regierungspräsidium. Dort will man den Antrag zügig bearbeiten, Genaueres aber nicht verraten.

Landrat
Dietmar Allgaier, Landrat im Kreis Ludwigsburg, hat sich mit einem Schreiben an Räte und Bürgermeister in Kornwestheim und Remseck gewandt. Laut diesem sieht er ohne Nachtflüge die Versorgungssicherheit der Patienten im Kreis gefährdet. Dieser Aussage treten die Anwohner entschieden entgegen. Die Stadtverwaltung Kornwestheim empfiehlt einen Mittelweg und spricht sich für eine Lärmschutzwand und einen größeren Abstand zur Wohnbebauung aus.