Foto: Daniel Moritz

Bummel-Alarm: Nicht nur in Stuttgart, auch in der Region kommen Lebensretter oft zu spät.

Stuttgart - Nicht bei jedem Notarzt-Einsatz geht es um Leben und Tod. Doch im Ernstfall entscheiden wenige Minuten über das Schicksal verunglückter Patienten. Um so alarmierender ist, dass es erhebliche Zeitverluste im Rettungsdienst gibt. Nicht nur in Stuttgart, auch in der Region kommen Lebensretter oft zu spät.

Die Stadt Bönnigheim liegt zwar nur am ländlich geprägten Rand der Region. Doch hinter dem Mond befindet sich der 7600 Einwohner zählende Weinbauort auch wieder nicht. Nach Bietigheim sind es elf Kilometer, bei einer Fahrt in die Kreishauptstadt Ludwigsburg stehen nur 20 Kilometer auf dem Zähler. So weit vom Schuss, dass man nicht mehr auf ärztliche Betreuung hoffen dürfte, ist das wahrlich nicht.

Um so betroffener sind die Bönnigheimer deshalb über eine aktuelle Rettungsdienst-Panne, die erhebliche Zweifel am Wert der medizinischen Soforthilfe aufkeimen lässt: Als Anfang September ein Patient in der Karlstraße zusammenklappte, dauerte es eine geschlagene Dreiviertelstunde, bis der alarmierte Notarzt auch am Einsatzort war - dafür allerdings mit dem Helikopter. "Hätte es sich um einen Herzinfarkt statt um einen Schwächeanfall gehandelt, hätte der Betroffene in dieser Zeit gleich drei mal sterben können", ereifert sich Heinz Winterhalter über den bedenklichen Zeitverzug.

Auch wenn der Bönnigheimer Vorfall in Behördenkreisen als ebenso bedauerliche wie krasse Ausnahme gilt, stellt sich die Frage, wie es um Hilfsfristen im Rettungsdienst bestellt ist. Gesetzliche Vorgabe ist, dass Rettungswagen und Notarzt binnen zehn, spätestens aber 15 Minuten nach dem Eingang eines Hilferufs am Einsatzort sein müssen. Weil das in der Praxis kaum zu schaffen ist, hat das Land ein Schlupfloch gelassen - die Vorgaben gelten als erfüllt, wenn Helfer in 95 Prozent der Fälle binnen einer Viertelstunde beim Patienten sind.

In Esslingen Bummel-Alarm bei 1114 Patienten

Doch selbst diese Quote wird oft genug nicht erfüllt: Wie aus dem Qualitätsbericht für den Rettungsdienst in Baden-Württemberg 2009 hervorgeht, schaffen zwölf von 37 Land- und Stadtkreisen schon bei der Hilfsfrist für Rettungswagen die Vorgabe nicht. Noch weitaus deutlicher wird das Scheitern beim Blick auf die Einsatzbilanz der Notärzte: Nur vier Kreise liegen überm gesetzlich vorgeschriebenen Soll, in der Region Stuttgart wird die Vorgabe in keinem einzigen Landkreis erfüllt. Konkret bedeutet das, dass der Notarzt allein in der Stadt Stuttgart vergangenes Jahr in 620 Fällen zu spät am Einsatzort war. Im Kreis Esslingen summiert sich der Bummel-Alarm auf 1114 Patienten. Schlusslicht in der Region ist der Rems-Murr-Kreis mit einer Quote von 88,3 Prozent - bei 6118 Einsätzen packte der Notarzt sein Täschchen 716 mal zu spät aus.

Allerdings: Selbst wenn ein Landkreis eine gute Quote vorweisen kann, sagt das noch nicht allzuviel über die Versorgung der Randgebiete aus. So hat Sozialministerin Monika Stolz jetzt eingeräumt, dass es im Kreis Ludwigsburg trotz ordentlicher Durchschnittswerte auch Gebiete mit deutlichem Nachholbedarf gibt. Sowohl im Strohgäu als auch im Bottwartal und im Raum Vaihingen werde die notärztliche Hilfsfrist nicht eingehalten. Und: Bei den Rettungswagen drohe die Einsatzbilanz erstmals seit Jahren unter 95 Prozent zu fallen.

"Es nützt betroffenen Bürgern herzlich wenig, wenn die Versorgung nur in der Nachbarschaft der Kreiskliniken stimmt", fordert der Hemminger Landtagsabgeordnete Wolfgang Stehmer (SPD) eine spürbare Verbesserung ein. In kleineren Randorten würden nicht einmal 70 Prozent erreicht. Stehmer wirft den Krankenkassen vor, bei der medizinischen Versorgung zu sparen.

Um die Situation zu verbessern, soll nun im Strohgäu eine stärkere Kooperation mit Leonberger Notärzten vereinbart werden. Auch mit der Klinik in Mühlacker gibt es laut einer für November erwarteten Studie Gesprächsbedarf. Im Kreis Esslingen, der mit der Versorgung am Albtrauf, im Schurwald und im Westen der Filder ähnliche Probleme hat, wird aktuell ebenfalls an einer Lösung gearbeitet: Eine Expertise sieht nach Informationen unserer Zeitung einen zusätzlichen Notarzt-Standort im Neckartal vor - sechs Alternativen stehen zur Auswahl. Erhalten werden sollen die Rettungswachen Esslingen, Nürtingen, Kirchheim und Ostfildern-Ruit, den Standort Filderklinik will der Gutachter noch stärken und nachts dauerhaft ein Rettungsfahrzeug bereitstellen. Nächste Woche soll über die Situation beraten werden.