Zum Beispiel Berlin: in anderen Ländern wird die Messlatte weit häufiger gerissen. Foto: dpa

Noch immer kommen die Rettungswagen Kreis Böblingen zu oft zu spät, unter anderem, weil Personal fehlt. Die Probleme sind Teil des Systems oder Folge von Gesetzen.

Böblingen - Dieses Recht ist ein ungewöhnliches, denn es wird nie vor einem Gericht verhandelt werden. In 95 Prozent der Notfälle muss ein Rettungswagen nach spätestens 15 Minuten vor Ort sein, so schreiben es die landesweit geregelten Hilfsfristen vor. Eine Verspätung kann im Zweifel ein Menschenleben kosten, juristische Konsequenzen hätte aber auch der schlimmste Fall nicht. „Die Frist ist nicht einklagbar“, sagt Udo Bangerter, der Sprecher des DRK-Landesverbandes. Denn wegen eines Staus oder gar eines technischen Defekts kann niemand verurteilt werden.

In anderen Bundesländern gelten andere Hilfsfristen

Dies ist nur eine der Denkwürdigkeiten, die der Gesetzgeber für den Rettungsdienst beschloss. Jene 15 Minuten gelten in Baden-Württemberg. Andere Bundesländer halten schon eine Viertelstunde des Wartens für lebensbedrohlich. Dort gelten zwölf, zehn oder nur acht Minuten für die längste vertretbare Zeit. Vergleichende Statistiken, ob die unterschiedlichen Fristen zu unterschiedlichen Sterberaten führen, erhebt niemand. Aber „wenn jemand reanimiert werden muss, ist er nach acht Minuten auch schon tot“, sagt Bangerter.

Im Kreis Böblingen schafften die Notfallhelfer es 2014 nur in 90 Prozent der Fälle, die Vorgabe zu erfüllen. Die Zahlen für 2015 sind noch nicht ausgewertet. Dennoch waren die Verspätungen jüngst Thema bei einem Treffen des Bereichsausschusses für den Rettungsdienst, nebst einer Kuriosität: Um sich der 95-Prozent-Quote anzunähern, sollten seit dem 1. April zwei weitere Rettungsfahrzeuge im Einsatz sein. Sind sie aber nicht. Das DRK findet kein Personal, das im Notfall ausrücken darf.

Personalprobleme plagen alle Rettungsdienste bundesweit

Auch dies ist Folge gesetzlicher Vorgaben. Personalprobleme plagen alle Rettungsdienste bundesweit. Für Verdienstmöglichkeiten von höchstens 2100 Euro monatlich – im Schichtdienst – ist der Nachwuchs ohnehin schwer zu begeistern. Zudem hat der Gesetzgeber die bisherige Ausbildung zum Rettungsassistenten für unzureichend erklärt und den neuen Beruf des Notfallsanitäters erdacht. Erstens dauert dessen Ausbildung statt wie bisher eines nun drei Jahre, weshalb es länger dauert, bis der Nachwuchs eingesetzt werden kann. Zweitens „müssen bis 2020 alle Rettungsassistenten fortgebildet sein“, sagt Bangerter – womit sie für den Dienst ausfallen. Eine höhere Vergütung fürs besser ausgebildete Personal ist, nebenbei bemerkt, bisher nicht beschlossen.

Der Kreis liegt bei den Rettungszeiten im Mittelfeld

Andererseits sind die Wartezeiten für Patienten im Kreis Böblingen gemessen an der Hilfsfrist zwar zu oft zu lang. Doch in Berlin und Teilen Ostdeutschlands erreichen Retter ihren Einsatzort nur in 60 Prozent der Fälle rechtzeitig. Im baden-württembergischen Vergleich liegt der Landkreis im Mittelfeld. Zwar gibt es vereinzelt Gegenden, in denen das Soll sogar übererfüllt wird. Aber zumeist „nähert man sich den 95 Prozent immer von unten an“, sagt Bangerter.

Den Rettungsdienst fianzieren die Krankenkassen. Bei ihnen gilt für die Notfallretter nichts anderes als für die Patienten: Bezahlt wird, was nötig ist, mehr nicht. Sind die magischen 95 Prozent nur knapp verfehlt, wird zunächst versucht, die Zeiten organisatorisch zu verkürzen. Erst wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, genehmigen die Kassen mehr Geld.

Nicht zuletzt sind die Patienten selbst verantwortlich für das Dauerdilemma. Die Zahl der „Bagatellfälle“ genannten Fahrten steigt stetig. Offenbar wird mittlerweile zu oft wegen Wehwehchen nach einem Rettungswagen gerufen. Immer häufiger „sagt man sich, da hätten wir wirklich nicht hingemusst“, sagt der DRK-Sprecher. So lange sich dieser Trend fortsetze, fahren die Notfallhelfer dem gesetzlichen Ziel hinterher. „Verbesserungen brauchen Zeit“, sagt Udo Bangerter. „Wenn sie nach einem Jahr durchgesetzt sind, hat man wieder fünf Prozent mehr Fälle.“