Die Notfallretter in Baden-Württemberg haben seit Jahren mit den vorgegebenen Hilfsfristen zu kämpfen. Ein neues Rettungsdienstgesetz soll die Lage verbessern – doch mancher Experte zweifelt daran. Foto: dpa-Zentralbild

Die Notfallrettung in Baden-Württemberg krankt seit Jahren. Ein neues Rettungsdienstgesetz soll jetzt Abhilfe schaffen. Doch Experten üben weiter scharfe Kritik daran und sehen gar „verheerende Fehler“.

Stuttgart - Joachim Spohn erzählt eine kleine Geschichte. Die vom Disponenten auf einer Rettungsleitstelle im Land, der nachts allein im Dienst gewesen ist. Als ein Notruf einging, schlief der Mann tief und fest, übermannt von einer langen Nachtschicht. Ein Kollege, so wie das Land es eigentlich will, war nicht da. Es dauerte schließlich 20 Minuten, bis der Notruf über Umwege doch noch einen Abnehmer fand – bei der Polizei.

Die kleine Episode ist für den Experten von der Bürgerinitiative Rettungsdienst nur ein Beispiel dafür, wie die Notfallrettung im Land nach wie vor krankt. Und das trotz eines neuen Gesetzes, das seit wenigen Wochen gilt. „Man hat versäumt, die eigentlich gewünschte Doppelbesetzung auf den Leitstellen festzuschreiben“, sagt Spohn. Für ihn ist das „ein verheerender Fehler“. Aber nur einer von vielen.

Kurz vor Weihnachten hat der Landtag einstimmig die neuen Regelungen für die Notfallrettung verabschiedet. Die von Innenminister Reinhold Gall (SPD) vorgelegte Reform sieht unter anderem vor, die gesamte Rettungskette vom Eingang des Notrufs bis hin zur Behandlung im Krankenhaus unter die Lupe zu nehmen. Stadt- und Landkreise sollen als Rechtsaufsicht des Rettungsdienstes gestärkt werden. Dafür sollen unter anderem regelmäßige Berichte sorgen, die die Lage in den verschiedenen Rettungsdienstbereichen widerspiegeln sollen.

Fachleute fordern, Notfallrettung der öffentlichen Hand zu übertragen

Den Experten von der Bürgerinitiative gehen die Änderungen nicht weit genug. „Man hätte die Strukturen verändern müssen. Wenn man glaubt, man könnte durch das eine oder andere zusätzliche Protokoll etwas verbessern, lügt man sich selbst in die Tasche“, sagt Spohn. Für ihn ist das Gesetz deshalb schlicht „enttäuschend“. Er fordert – wie zuvor auch schon Experten aus der Ärzteschaft – dass die Zuständigkeit für die Notfallrettung direkt den Stadt- und Landkreisen unterstellt wird, wie das in anderen Bundesländern längst der Fall ist. „Dann könnten die Regierungspräsidien, die mehr Distanz haben, die Aufsicht übernehmen“, so Spohn. Bisher legen Bereichsausschüsse, in denen Krankenkassen und Rettungsorganisationen miteinander verhandeln, die Ausstattung mit Rettungsmitteln fest.

Spohn nennt Beispiele, die für ihn zeigen, dass die Rechtsaufsicht nach jetzigem Muster nicht funktionieren kann. So werde die sogenannte Hilfsfrist, binnen derer die Retter am Einsatzort sein müssen, ganz unterschiedlich bemessen. Die gesetzliche Vorgabe, dass die Zeit vom Eingang der Meldung an laufen müsse, werde vielerorts nicht umgesetzt, auch bei der Ankunftszeit werde der Knopf oft zu früh gedrückt. „Da wird viel getrickst, um die Zeiten zu schönen“, kritisiert Spohn.

Ein Landratsamt räumt Überforderung ein

Was da auf den Leitstellen ablaufe, könne bei der Rechtsaufsicht aber niemand wissen. „Es fehlt an qualifizierten Mitarbeitern dafür.“ So habe ein Landratsamt ihm auf Anfrage unter der Hand bestätigt, dass man keinerlei Kontrolle darüber habe, was tatsächlich im Rettungsdienst passiere. Zum Test hat Spohn Fragen zur Notfallrettung an verschiedene Landratsämter geschickt. „Die meisten Fragen wurden direkt an das Deutsche Rote Kreuz zur Beantwortung weitergeleitet. Der Träger des Rettungsdienstes kontrolliert sich also selbst.“

Beim Innenministerium will man zu den Vorwürfen nicht detailliert Stellung nehmen. „Das neue Rettungsdienstgesetz ist erst seit wenigen Tagen in Kraft. Deshalb können bisher noch kaum Erfahrungen zu den Neuregelungen vorliegen“, sagt ein Sprecher. Wenn es ausreichend Erfahrung damit gebe, „werden gegebenenfalls weitere Überlegungen angestellt“. Zur grundsätzlichen Frage, die Trägerschaft den Stadt- und Landkreisen zu übertragen, hatten sich Experten des Ministeriums in der Vergangenheit immer wieder skeptisch geäußert. Für Spohn kein Wunder: „Die Rettungsdienstpolitik im Land ist keine für die Bürger, sondern für Verbände und Organisationen.“

Info: Rettungsdienstgesetz

Mitte Dezember hat der Landtag eine Neufassung des Rettungsdienstgesetzes für Baden-Württemberg verabschiedet. Die ursprünglich vorgesehene Aufweichung der sogenannten Hilfsfrist, binnen der die Helfer am Einsatzort sein müssen, wurde dabei nach großem Druck von Experten fallengelassen.

Notwendig geworden ist das neue Gesetz in erster Linie, weil das neu geschaffene Berufsbild des Notfallsanitäters untergebracht werden musste.

Mit der Reform ist auch eine landesweit einheitliche Qualitätssicherung durch eine unabhängige Stelle verankert worden. Sie soll regelmäßig Struktur und Ergebnisse im Rettungsdienst prüfen. (jbo)