Die Autobranche braucht den Diesel, die Politik ebenfalls. Wer braucht ihn mehr? Foto: dpa-Zentralbild

Tapfer verteidigt die Landesregierung den Dieselmotor, von dem so viele Arbeitsplätze abhängen. Doch was tut eigentlich die Autobranche selbst, um ihre Fehler auszumerzen?

Stuttgart -

Stuttgart - Warum sich die Autobauer so schwer damit tun, den Diesel zu retten, den sie so dringend brauchen:

Die Richter

Man kann sich an vieles gewöhnen, auch an die Krise: Seit 2005 wird in Stuttgart vor Gericht gestritten, weil die Atemluft viel mehr Schadstoffe enthält als erlaubt. Ein ums andere Mal verpflichteten die Richter die Politik, nun aber wirklich Pläne vorzulegen, die die Luft sauber machen – doch genauso häufig, wie Pläne aufgestellt wurden, verfehlten sie auch ihr Ziel.

Aus Sicht mancher Autobauer könnte das noch lange so weitergehen. Doch nun deutet vieles darauf hin, dass es ernst wird. Der VW-Skandal, die fragwürdigen Abgaswerte auch bei anderen Herstellern und nicht zuletzt das zuweilen selbstgerechte Auftreten der Autobauer, die extrem hohe Schadstoffwerte kurzerhand für legal erklären, haben die Stimmung kippen lassen. 59 Prozent der Deutschen sind inzwischen für Fahrverbote, nur noch 18 Prozent würden heute einen Diesel kaufen – in einem Land, in dem bis vor Kurzem fast jedes zweite neue Auto einen solchen Motor hatte.

Mindestens genauso beunruhigend ist für die Branche, dass auch die Stuttgarter Justiz, die dem Treiben 12 Jahre lang eher geduldig zugeschaut hat, nun ihre Gangart verschärft. Die Vorschläge des Landes, Dieselautos nachbessern zu lassen, kämen nicht als Alternative zu den Fahrverboten in Betracht, die das Land unbedingt vermeiden will, ließ Richter Wolfgang Kern vom Verwaltungsgericht Stuttgart erkennen und löcherte die Vertreter des Landes mit bohrenden Fragen: Von wem sollen die Zusagen für bessere Abgaswerte genau kommen? Ab wann wird die Luft besser und um wie viel? Das Land stützte sich auf Zusagen der Branche, die ihr vor Gericht kaum Halt gaben.

Die Hersteller

Als hätte die Branche geahnt, dass es dieses Mal eng werden könnte, zog sie am Tag vor der entscheidenden Verhandlung alle Register. In Stuttgart kündigte Daimler an, drei Millionen Dieselfahrzeuge nachrüsten zu lassen – ein freiwilliger Rückruf in einer Größenordnung, die selbst im Weltmaßstab nur selten vorkommt. Doch dieser Steilpass für die Landesregierung ließ den Richter sichtlich unbeeindruckt. Schließlich erklärt auch Daimler nicht, welche Abgaswerte man durch die Nachrüstung erreichen will. Im Gegenzug skizzierte der Richter schon einmal, wie er sich rechtlich saubere Fahrverbote vorstellen kann. Das lässt für die Branche nichts Gutes erwarten.

Da die Autobranche juristisch hochkarätig beraten ist, stellt sich die Frage, warum sie es überhaupt so weit hat kommen lassen. Ist das Dieseldesaster ein Betriebsunfall oder kühles Kalkül? Die Informationen von Brancheninsidern, die unserer Zeitung dazu vorliegen, deuten darauf hin, dass dahinter mehr Kalkül steht, als auf Anhieb zu vermuten ist. Denn einerseits hat die Branche ein immenses Interesse daran, den Diesel zu retten, den sie benötigt, um horrende Strafzahlungen der EU wegen der Verletzung von Klimaschutzvorgaben zu vermeiden. Andererseits aber will sie ihr Geld lieber in selbstfahrende Elektroautos stecken als in Autos, die längst die Kassen haben klingeln lassen.

Die Landesregierung

Dieses Kalkül tritt umso stärker in den Vordergrund, als es neben der Autobranche noch eine weitere Instanz gibt, die ein immenses Interesse am Erhalt des Dieselautos hat: die Landesregierung. An der Autobranche und ihren Hunderttausenden Arbeitsplätzen kommt kein Regierungschef vorbei, auch kein grüner. Die Branche ist für das Land gewissermaßen „systemrelevant“.

An diesen Begriff fühlen sich manche Führungskräfte der Branche nun auch in der Dieseldebatte erinnert. „Systemrelevant“ – dieses zweifelhafte Prädikat war in der Finanzkrise für einige Banken eine Art Lebensversicherung. Es setzte die Staaten unter massiven Druck, für die Fehler von Banken geradezustehen, um Schaden von der Allgemeinheit abzuwenden. Auch beim Diesel hat die Branche gravierende Fehler begangen – und auch hier stehen gewichtige Interessen der Allgemeinheit auf dem Spiel. Entsprechend groß ist die Versuchung für die Hersteller, ihre eigenen Probleme bei der Politik abzugeben, wie dies seinerzeit die Banken erfolgreich vorexerziert haben.

Monatelang beharrte die Autobranche darauf, eine Nachrüstung sei ausgeschlossen, Fahrverbote ebenso. Wohl auch um diese Front aufzuweichen, entschied sich die Landesregierung im Februar dafür, in den neuen Luftreinhalteplan ausdrücklich Fahrverbote aufzunehmen. Und siehe da – die Branche bewegte sich tatsächlich. Gegenüber dem Verkehrsministerium gab sie Zusagen, durch Änderungen der Software das Abgasverhalten so zu verbessern, dass Fahrverbote nicht mehr nötig seien. Doch welche Verbesserungen ließen sich damit bei welchem Hersteller erzielen? Wie könnte sichergestellt werden, dass genügend Autohalter mitmachen? Wie groß sind die Verbesserungen durch eine neue Software im Vergleich zu einer neuen Abgasreinigungsanlage? Viele Antworten blieb die Branche schuldig. Hauptsache, keine Fahrverbote. Dass die Landesregierung damit vor Gericht Schiffbruch erleiden könnte, nahm sie offenbar in Kauf.

Die Amerikaner

Allerdings gibt es außer dem Kostensparen noch einen weiteren gravierenden Grund, warum die Autoindustrie so auf der Bremse steht: Die USA, deren Justiz mit Produzenten oft sehr viel härter ins Gericht geht als die deutsche. „Jede freiwillige Nachbesserung könnte in den USA als Schuldeingeständnis gewertet werden“, sagt ein Brancheninsider. „Die Anwälte lauern nur auf Aussagen in Deutschland, die sie in Europa verwerten können.“ Der Autobranche gehe es somit wie einem Boxer im Ring, dem aber die Hände auf den Rücken gebunden seien. Auf einen solchen Boxer lasse sich dann leicht einprügeln, weil er nichts unternehme. Auch Uwe Wolff, Inhaber der Berliner Beratungsfirma Naïma, die auf das öffentliche Auftreten in juristischen Auseinandersetzungen spezialisiert ist, erklärt: „Die Außendarstellung der Autobranche wird heute von den Juristen bestimmt und nicht mehr von denen, die dafür zuständig sind.“ Um ihre Rechtsposition zu wahren, nähmen die Konzerne sogar in Kauf, sich in einer Weise zu präsentieren, die die Marken beschädigt.

. . . und das iPhone

Bei der Debatte über die Nachrüstung spielen juristische Überlegungen somit eine wichtige Rolle. Wenn diese kommt, dann wohl eher nicht wegen eines staatlich angeordneten Rückrufs, sondern aufgrund einer Vereinbarung mit der Politik. Doch enthält nicht auch eine solche Vereinbarung ein unausgesprochenes Schuldeingeständnis? In einer Zeit, in der Daimler und andere Gegenstand von Ermittlungen und Razzien sind, ist diese Frage besonders heikel.

In dieser Lage gewinnt sogar die Wahl der Reparaturmethode rechtliche Bedeutung. Denn eine Abgasanlage reißt man nur heraus, wenn sie mangelhaft ist. Aber wie sieht das bei einer Software aus? „Auf dem iPhone wird jeden Tag neue Software für Apps aufgespielt, da käme niemand auf die Idee zu behaupten, damit sei ein Schuldeingeständnis verbunden“, sagt ein Manager der Branche. Deshalb hat eine neue Software fürs Abgassystem aus Sicht der Branche Charme: „Man kann argumentieren, dass man schnell mal etwas Gutes durch etwas Besseres ersetzt, weil man eben ständig dazulernt.“ Ist das noch ein Schuldeingeständnis? Dass die Softwarelösung nur einen Bruchteil kostet, weil Teile weder gekauft noch eingebaut werden müssen, ist ebenfalls ein gewichtiger Grund für diese Lösung, über deren Wirksamkeit es allerdings kaum belastbare Erkenntnisse gibt.

Auf die Öffentlichkeit wirken die Bremsmanöver der Branche befremdlich. Dabei ist der Dieselskandal nicht der erste Anlass, der Autobauer in Misskredit brachte. Vor Jahren geriet Opel wegen Qualitätsmängeln in die Krise und schuf den Werbespruch: „Wir haben verstanden.“ Auf dieses Signal der Branche wartet die Öffentlichkeit in der Dieselkrise bis heute. Aber vielleicht sollte es auch eher aus der Politik kommen. „Wenn der Rückruf nicht freiwillig ist, sondern vom Staat angeordnet wird, könnte das für die Hersteller sogar eine Erleichterung sein“, sagt ein Insider. „Denn dann könnte niemand behaupten, sie hätten ihre Schuld an den hohen Abgaswerten zugegeben.“