Bademeisterin Christine Müller und ihr Kollege Gerald Wanner sehen sich im Freibad Sindelfingen zunehmend mit Respektlosigkeiten konfrontiert. Foto: Stefanie Schlecht

Das Freibad als Brennpunkt: Zwischen unbeaufsichtigten Kindern und Schlägereien halten Christine Müller und ihr Kollege in Sindelfingen die Sicherheit aufrecht.

Die Temperaturanzeige auf der großen Schalttafel des Sindelfinger Freibads klettert weiter hinauf, nähert sich den 30 Grad. In der Luft liegt der beißende Geruch von Chlor. Aus dem Schwimmbecken ist immer mal wieder ein Plätschern zu vernehmen, einige Meter entfernt kreischen Kinder, als sie die Rutsche hinunter ins Wasser sausen. Am Beckenrand steht Bademeisterin Christine Müller. Mit verschränkten Armen und wachem Blick beobachtet sie das Geschehen.

 

Plötzlich richtet sie sich auf, kneift konzentriert die Augen zusammen – eine subtile Veränderung ihrer Haltung, die auch ihren Kollegen Gerald Wanner aufmerksam werden lässt. Er kommt zu ihr herüber. Ein Kind, etwa drei oder vier Jahre alt, mit Schwimmflügeln an den schmalen Armen, möchte allein die große Rutsche hinunterrutschen. Sofort sind beide auf der Hut.


„Manche reagieren dann richtig patzig“

Doch dann sieht Müller, dass die Mutter des Kindes sich unten im Wasser bereit macht, es aufzufangen. Ein kurzer Blick zwischen Müller und Wanner zeigt Erleichterung.„Erst vor zwei Wochen hatte ich hier oben im Nichtschwimmerbecken wieder mehrere Situationen, in denen Kinder mit Schwimmflügeln allein unterwegs waren“, erzählt Müller. „Ich habe sie rausgeholt und die Eltern gebeten, dazu zu kommen. Manche reagieren dann richtig patzig, verstehen nicht, was das soll.“

Von Zeit zu Zeit müsse sie erst einmal deutlich machen, dass sie keine Kindergärtnerin, sondern für die Sicherheit am Beckenrand zuständig sei. „Wenn’s sein muss, kündige ich an, die Security zu rufen – und meistens reicht das dann auch.“ Solche Auseinandersetzungen, sagt sie, gehören inzwischen zum Alltag. Wanner nickt zustimmend.

Hinzu komme, dass manche der Eltern kaum oder gar kein Deutsch sprächen – meistens weil sie erst seit kurzer Zeit in Deutschland seien. „Oft wissen sie gar nicht genau, welche Aufgabe ich hier habe“, sagt Müller. Das Verständnis für die Regeln im Freibad fehle manchmal, zudem könnten einige selbst nicht schwimmen. „Dann ist es schwierig, ihnen klarzumachen, wie gefährlich so eine Situation sein kann – gerade für kleine Kinder.“

Respektlosigkeit im Sindelfinger Freibad

Müller selbst kann aus einem unerschöpflichen Fundus an Freibaderinnerungen schöpfen. „Eigentlich bin ich dort aufgewachsen“, sagt die 40-Jährige, während sie ihre Augen zum Schutz vor der Sonne abschirmt und weiterhin aufmerksam das Schwimmbecken beobachtet. Kein Wunder – schließlich sind ihre Eltern Schwimmmeister. Vielleicht als logische Konsequenz daraus beschloss Müller 2003, in ihre Fußstapfen zu treten – und ließ sich als Fachangestellte für Bäderbetriebe ausbilden. Inzwischen verfügt sie über langjährige Erfahrungen am Beckenrand.

„Der Umgang miteinander hat sich verändert“, sagt Müller nachdenklich, betrachtet nun einige Jugendliche, die in einer kleinen Gruppe am Beckenrand an ihr vorbeigehen. „Manche reden mit einem, als wäre man der letzte Fußabtreter – kein Respekt, keine Toleranz.“ So etwas habe es früher nicht gegeben, erzählt sie. Zu der Zeit, als ihr Vater im Freibad gearbeitet habe, sei das ganz anders gewesen. „Damals war der Schwimmmeister noch eine Respektsperson.“ In ihrem Heimatbad habe die Badeaufsicht bei Fehlverhalten sogar bei den Eltern angerufen. „Wirklich, der hat dann gesagt: Ihre Tochter hat heute Scheiße gebaut“, erzählt Müller und lacht bei der Erinnerung.

Eskalation mit Hitze und Alkohol im Freibad

Nicht alle Besucher halten sich freiwillig an die Regeln. Christine Müllers Beruf ist einer, in dem man sich behaupten muss – als Frau ganz besonders. „Es gibt Männer, die einem deutlich signalisieren: ‚Du hast mir nichts zu sagen, du bist eine Frau’“, sagt sie. Doch davon lässt sich die Mutter eines 13-jährigen Sohnes nicht beirren. „Dann bin ich eben die spießige Schwimmmeisterin – das ist mir egal.“

Schlägerei im Freibad

Manche Situationen eskalieren. Als es kürzlich einmal sehr heiß war, kam es sogar zu einer Schlägerei im Bad, erinnert sich die 40-Jährige. „Das war eine Gruppe von sechs Leuten, so um die 20 Jahre alt. Die haben sich da unten geprügelt“, sagt Müller und zeigt auf eines der Becken. „Keiner weiß genau, warum. Sie haben obendrein Pfefferspray versprüht – das hat auch andere Gäste getroffen.“ Am Ende habe die Polizei kommen müssen.

„Manchmal kommt so was wie aus dem Nichts“, meint Müller. „Das Problem ist auch: Viele trinken hier Alkohol. Und bei der Hitze steigt das doppelt schnell zu Kopf. Wir nennen das immer: Alkoholhitze.“ Gerade in Gruppen entstehe dann schnell eine Eigendynamik, die schwer zu bremsen sei.

Intensiv-Täter im Freibad

„Es gibt ein paar, die immer wieder auffallen. Wiederholungstäter. Die testen jeden von uns“, erzählt Müller. Gegen solche Gäste vorzugehen, sei aber schwer. Hausverbote ließen sich kaum durchsetzen – denn Fotos der Betroffenen dürften bei den Kassen nicht aufgehängt werden, wodurch es schwerfalle nachzuvollziehen, wer das Gelände betrete. „Eigentlich müsste man Ausweise prüfen, aber das ist in der Praxis kaum machbar.“

Ein Kollege läuft vorbei – grinsend, einen Kescher locker über die Schulter geschwungen. Gerald Wanner zieht die Augenbrauen hoch. „Was Verdächtiges im Wasser gefunden?“, fragt er trocken, was mit einem Schulterzucken quittiert wird, das alles oder nichts heißen kann. „Na ja“, sagt Wanner, „manchmal schwimmt da was, das nicht ins Wasser gehört.“ Hier im Freibad gibt es dafür sogar ein Codewort: Snickers.

Er ist eben unvorhersehbar, der Alltag als Bademeister – mal löst man Konflikte, mal sucht man das Wasser nach unerwünschten Hinterlassenschaften ab. „Die Leute sagen immer: ‚Ihr habt’s ja schön entspannt hier’“, meint Wanner. Doch was sie nicht sehen: Wie viel Verantwortung hinter diesem Beruf steckt, wie viel Arbeit vor und nach den offiziellen Öffnungszeiten noch zu tun ist. „Du bist hier alles auf einmal: Kindergärtner, Techniker, Hobbypsychologe“, sagt Müller. „Und nebenbei auch noch Ordnungsamt und Polizeibehörde“, ergänzt ihr Kollege.

Freibäder suchen händeringend Bademeister

Das Pensum ist groß – und das bei knapper Personaldecke. Freibäder suchen vielerorts dringend nach Verstärkung. Auch in Sindelfingen ist das nicht anders. An heißen Sommertagen strömen hier schon mal bis zu 9000 Besucher ins Freibad. „Da kommt man einfach nicht hin, selbst wenn man zu dritt ist“, sagt Müller. Die Gründe für den Personalmangel seien bekannt: schlechte Bezahlung, Schichtdienste, Wochenend- und Feiertagsarbeit und die große Verantwortung. Kollege Wanner fügt hinzu: „Man muss halt Anreize schaffen – mehr zahlen, Zulagen anbieten. Wenn der Beruf entsprechend wertgeschätzt und bezahlt wird, kriegt man auch die Leute.“

Bisher verläuft der Arbeitstag von Christine Müller und Gerald Wanner relativ ruhig. Eine Platzwunde habe er heute schon versorgt, erzählt Wanner – und hofft, dass es dabei bleibt. An solchen Tagen bleibt hin und wieder sogar Zeit für einen kurzen Plausch. Wanner entdeckt einen Stammgast und geht hinüber, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Es gibt eben auch viele schöne Seiten an diesem Job: Kindern das Schwimmen beizubringen zum Beispiel – oder einfach mit Menschen ins Gespräch zu kommen, so wie jetzt. „In so einem Freibad hat man eben das komplette Abbild der Gesellschaft“, stellt Wanner wenig später fest. „Mit all seinen positiven, aber auch negativen Seiten.“

Personal in Freibädern

Fachkräftemangel
In vielen Regionen Deutschlands kämpfen Freibäder mit einem Mangel an qualifizierten Rettungsschwimmern. Rund 3000 Fachkräfte fehlen laut dem Bundesverband der Deutschen Schwimmmeister in deutschen Schwimmbädern. Dieser Engpass führt dazu, dass viele Freibäder ihre Öffnungszeiten reduzieren oder sogar ganz schließen müssen.

Dieser Artikel erschien erstmals am 25. Juli 2025 und wurde am 15. August aktualisiert.