Mehr Gelassenheit und ein anderer Umgang mit Stress im Job? Lässt sich trainieren. Foto: dpa

Die heutige Arbeitswelt trägt zu psychischen Belastungen bei. Doch ein Stück weit lassen sich Resilienz und Gelassenheit trainieren. Und auch das Denken über Stress kann etwas ausmachen. Die wichtigsten Tipps.

Stuttgart - Viele Faktoren in der digitalisierten Arbeitswelt tragen zu einem zunehmenden Überforderungsgefühl bei. Doch ob wir uns von einer Situation überfordert fühlen, hängt auch davon davon ab, wie wir diese Situationen subjektiv bewerten, ob wir Entlastung haben - und wie resilient wir sind. Zwar ist die geistige Widerstandskraft, zu einem Teil Veranlagung - doch man kann sie ein Stück weit auch erlernen, ebenso wie Gelassenheit.

Anders bewerten

Schon die Definition des Begriffs drückt aus: Stress hängt davon, ob man eine Situation selbst als kontrollierbar erachtet oder nicht. “Die subjektive Bewertung ist ganz entscheidend für die körperliche Reaktion”, sagt Stressforscher Mazda Adli. Große Studien haben gezeigt: Wer Stress eher positiv bewertet und annimmt, dass er unproblematisch oder sogar stärkend und sinnvoll sein kann, reagiert auch körperlich ganz anders auf Stressoren. Die Cortisol-Ausschüttung ist gemäßigter und der Herzschlag beruhigt sich schneller als bei jenen die glauben, dass Stress negativ sei und krank mache. Eine gewisse Dosis an Stress - bekannt als positiver Stress oder Eustress - kann mitunter helfen, Herausforderungen zu meistern und gar zu Höchstleistungen aufzulaufen. “Es hilft auch, in einer schwierigen Situation mögliche Konsequenzen nicht überzubewerten”, sagt Adli.

Akzeptieren oder ändern

Man kennt das: Der Zug fährt einem vor der Nase weg oder bei der Arbeit muss man die Aufgabe einer krank gewordenen Kollegin übernehmen. Und eigentlich ist klar, dass es nichts bringt, sich aufzuregen oder panisch zu werden. Im Gegenteil: das eigene Gestresst-sein macht alles nur schlimmer. Es kann daher Wissenschaftlern zufolge helfen, zunächst einmal schlicht zu akzeptieren, dass die Situation so ist, wie sie ist. Wer sich wieder und wieder ärgert, was geschehen ist, oder sich vorstellt, was daraus alles schlimmstenfalls folgen könnte, verschärft das Gefühl von Stress. Hilfreich kann es dabei etwa sein, eine andere Perspektive einzunehmen und zu hinterfragen, warum man sich selbst so viel Druck macht. Ist es der eigene Perfektionismus? Das Gefühl, es allen recht machen zu wollen? “Wer merkt, dass er oder sie ständig gereizt ist, Schlafprobleme hat oder sich im Alltag über jede Kleinigkeit ärgert, sollte nach der Ursache suchen - und etwas verändern”, sagt Matthias Backenstraß, Leiter des Instituts für Klinische Psychologie am Klinikum Stuttgart.

Ausgleich schaffen

Entlastung in Aussicht zu haben, spielt in einer schwierigen Situation eine große Rolle - und verhindert, dass die Belastung chronisch wird. Es sei deshalb hilfreich, sensibel dafür zu sein, wie es um die eigene Belastung steht, sagt Stressforscher Mazda Adli – und wie man sich selbst Erholung verschaffe. “Das ist für jede und jeden etwas anderes: Manchen hilft körperliche Aktivität, anderen hilft es Ruhe zu finden oder etwas Sinnstiftendes zu tun.” Oft helfe auch eine Kombination - abhängig von der eigenen Tagesverfassung. Eine ausgeglichene Work-Life-Balance sei wichtig, wenn der Stress arbeitsbezogen sei, sagt auch Psychologe Backenstraß. Sich das eigene Freizeitverhalten anzugucken, soziale Beziehungen zu pflegen und eigene Freiräume zu schaffen sei sinnvoll.

Gelassenheit trainieren

Meditation und Achtsamkeitsübungen sollen ebenso wie etwa die progressive Muskelentspannung dabei helfen, kurzfristig, aber vor allem auch dauerhaft gelassener zu werden – und zu lernen, akute Stresssituationen zu bewältigen. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass etwa Achtsamkeitsübungen helfen - wenn sie systematisch in den Alltag eingebaut werden”, sagt Matthias Backenstraß. Solche Methoden werden auch in Stressbewältigungskursen eingeübt. Viele Krankenkassen bieten ihren Versicherten inzwischen kostenlose Online-Trainings und Apps an. Auch in manchen Unternehmen gibt es im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements entsprechende Programme. Experten kritisieren, dass sich aber auch die Arbeitsbedingungen ändern müssten.

Schlechte Bewältigungsmechanismen

Viele Menschen greifen bei Stress oder andauernder seelischer Belastung zu ungesundem Essen, Alkohol oder gar Drogen. „Dysfunktionale Bewältigungsstrategien” nennt Matthias Backenstraß das - und warnt: Es sei wichtig, die Ursachen für das Leiden und den Stress zu erkennen und anzugehen. Denn wer etwa zu Alkohol greife, dem gehe es damit letztlich noch schlechter.

Warnzeichen erkennen

Anzeichen für Stress sind schwer zu definieren, weil sich die seelische Belastung sehr unterschiedlich äußern kann. Wer häufig gereizt reagiere, sich über Kleinigkeiten ärgere und sich angespannt oder überfordert fühle, stehe vermutlich unter Stress – und müsse etwas ändern. Auch Nackenschmerzen und -verspannungen oder Zähneknirschen können ein Merkmal sein. Chronischer Stress äußert sich etwa, wenn Betroffene über zwei bis vier Wochen hinweg erhebliche Schlafstörungen haben, permanente Kopfschmerzen, häufigen Schwindel oder Übelkeit empfinden. “Wenn man von außen etwas bemerkt, ist es wahrscheinlich schon zu spät”, sagt Matthias Backenstraß.

Hilfe holen

Wenn der Körper seine Erholungsfähigkeit verliert, können sogenannte Stressfolgeerkrankungen entstehen. Das Burnout zählt dazu, die völlige körperliche oder geistige Erschöpfung, die sich etwa in Antriebsstörungen äußert. Auch Depressionen können durch Überlastung ausgelöst werden. In Kliniken für Psychiatrie, Psychotherapie oder Psychosomatik oder bei psychologischen Psychotherapeuten etwa finden Betroffene in solchen Fällen Hilfe.