Die Erinnerungen sind immer noch präsent: Martina Winkelhock Foto: Baumann

Es geschieht am 11. August 1985: Der Waiblinger Rennfahrer Manfred Winkelhock verunglückt in Kanada. Einen Tag später stirbt er. „Ich habe sehr lange benötigt, um ohne ihn leben zu können“, sagt seine Frau Martina 30 Jahre nach dem schrecklichen Unfall.

BerglenFrau Winkelhock, ein trauriger Anlass für ein Interview an einem so wunderschönen Tag.

So war es damals auch, sehr heiß, sonnig.
Was geht an diesem 12. August in Ihnen vor?
Man denkt viel nach, aber es ist nicht so, dass ich 24 Stunden lang tieftraurig wäre. In den ersten Jahren war das schon so, aber jetzt nicht mehr. Wir gehen mit der Familie auf den Friedhof nach Waiblingen, und danach sitzen wir zusammen. Aber das ist keine traurige Veranstaltung, wir unterhalten uns, sind fröhlich – ganz so wie es Manfred gewollt hätte.
Hatten Sie früher Angst vor diesem Tag?
Die ersten Jahre war es richtig schlimm, da hatte ich richtig Angst, weil all das Erlebte wieder in mir hochgekommen ist. Mit der Zeit hat sich das beruhigt (Pause). Aber jetzt, mit dem 30. Jahrestag, wird alles noch einmal sehr präsent – besonders durch den SWR-Dokufilm; bisher kannte ich nur Fotos, jetzt sah ich zum ersten Mal einen Film, in dem sich Manfred bewegt, in dem er spricht. Besonders seine Stimme, die weckte sehr tiefe Erinnerungen.
Kurz nach Manfreds Tod, als Sie registrierten, mein Mann ist tot – was lief da in Ihnen ab?
Ich habe meine kleinen Kinder bei meinen Geschwistern untergebracht, ich lebte zunächst bei meinen Eltern. Meine Schwester wohnte in einer Einliegerwohnung in unserem Haus, das war gut so, denn es war jemand anwesend. Monatelang habe ich nur funktioniert, mich eben, so gut es ging, um die Kinder gekümmert. Ich sagte mir: Manfred würde das von dir erwarten.
Wie kehrten Sie in die Normalität zurück?
Manfred hatte einen Sponsor in Ulm, der nahm mich und die Kinder für acht Wochen auf. Dort habe ich Abstand gewonnen, Abstand zu unserem Haus in Berglen. Das war ganz wichtig, in dieser Zeit kehrte meine Kraft fürs Leben zurück.
War es denn nicht schwierig, in Ihr Haus zurückzukehren?
Natürlich, denn dieses Haus stand für unsere Partnerschaft, für unsere Familie. Die Rückkehr war sehr belastend, denn ich wusste: Jetzt beginnt dein Leben ohne Manfred. Und ich habe sehr lange benötigt, um ohne ihn leben zu können.
Sie wussten, dass Sie einen Rennfahrer als Partner hatten, sie wussten um die Risiken in seinem Beruf.
Man verdrängt das, heute würde ich fast sagen: Mensch, warst du naiv damals. Ich habe mir einfach immer gesagt: Manfred passiert nichts. Deswegen habe ich bei meinem Sohn so große Angst, weil ich heute genau weiß, was passieren kann (Pause), auch wenn er mir immer wieder erklärt, dass heute alles viel, viel sicherer ist im Motorsport.
Haben Sie jemals bereut, einen Rennfahrer geheiratet zu haben?
Nein, niemals! Ich hab’ ihn abgöttisch geliebt, deshalb habe ich es respektiert, dass er seinen Sport ausgeübt hat.
Mussten Sie sich nach Manfreds Tod finanzielle Sorgen machen?
Nein, er war ein sehr guter, zuverlässiger Familienvater. Er wusste um das Risiko seines Berufs, und er hatte deshalb vorgesorgt.
Wie sind Ihre Kinder mit der Situation umgegangen?
Marina war 18 Monate, sie konnte sich an ihren Vater gar nicht erinnern. Zu Beginn hat sie zu Männern, die Manfred ähnlich sahen, Papa gesagt. Aber das hat sich verloren nach ein paar Wochen. Markus wurde mit der Zeit sehr introvertiert, davor war er ganz fröhlich – er hatte einen engen Bezug zum Vater. Wenn Manfred zu Hause war, haben sie oft miteinander gespielt. Markus hat den Verlust des Vaters mit sich selbst ausgemacht, es war schwierig für ihn.
Ich kenne ihn als immer gut gelaunten Kerl.
Absolut, Markus hat den gleichen Humor und gleichen Witz wie Manfred, das ist für mich unheimlich schön. Das genieße ich. Er sagt manchmal Dinge, da denke ich: Das hätte Manfred genauso gesagt, mit dem gleichen Schalk im Nacken.
Wie haben Sie den Kindern vermittelt, dass ihr Vater tot ist?
Ich habe versucht, das kindgerecht zu erklären. Ich sagte immer: Der Papa kommt nicht mehr, er ist jetzt da oben. Markus hat dann immer nach oben geschaut.
Der Satz „der Papa ist tot“ kommt einem nicht über die Lippen, das geht nicht, oder?
Nein, das will man nicht sagen.
Wie hat Marina die Wahrheit erfahren?
Sie ist ohne Vater aufgewachsen, für sie war das normal.
Nach dem Unfall wurde über die Ursache spekuliert. Haben Sie sich daran nicht beteiligt?
Leider nicht. Heute würde ich es anders machen, heute würde ich wissen wollen, was da los war. Damals war ich jung, hatte zwei kleine Kinder – ich war zu so einer Diskussion gar nicht imstande. Ich bereue es, dass ich damals nichts in die Hand genommen habe, da ist sicher etwas gelaufen, was nicht so sein sollte. Ich habe später immer wieder gehört, dass etwas vertuscht worden sein soll. Einer der Teamchefs sagte mir: Manfred hatte einen Blackout. Ich wusste genau, das konnte nicht stimmen. Er war kerngesund. Dieser Satz geht mir heute immer noch nach.
Haben Sie sich nicht geärgert, dass der Tod Ihres Mannes von der Szene eben hingenommen wurde, ohne dass sich Konsequenzen ergeben haben? Zum Beispiel eine Diskussion über die Sicherheit.
Ärger? Bei Manfred hatte ich diese Gedanken nicht, das war damals so. Es ist aber gut, dass diese Fragen später gestellt worden sind. Für Markus. Das Risiko in seinem Beruf ist nicht mehr ganz so hoch.
Es hat sich schon etwas getan. Wenn man an die Bilder von Niki Laudas Feuerunfall denkt.
Unglaublich, ja. Zum Glück ist das nicht mehr so.
Oder der Unfall von Manfred am Nürburgring, als sein Auto abhob und sich achtmal überschlagen hat.
Damals war ich mit Markus schwanger. Er rief nur an und sagte: Schau nicht Fernsehen, ich hatte einen Unfall, der war ziemlich heftig. Ich bin wohlauf und komme bald heim. Als er dann hier war, haben wir den Unfall gemeinsam angeschaut. Da ist mir dann schon bewusst geworden, welche Gefahr im Motorsport steckt und dass er viele Schutzengel hatte.
Lag es Ihnen nicht auf der Zunge, ihn zum Rücktritt zu bewegen?
Nein. Nein, das hätte nichts gebracht. Ich habe es vielleicht gedacht, ja, aber geäußert habe ich nichts. Ich hätte nie sagen können: Hör auf! Ich könnte auch zu Markus nicht sagen, er solle aufhören.
Dass er auch Rennfahrer wird, war nicht zu verhindern.
Ich habe es versucht, habe ihn zum Fußball angemeldet, zum Tennis. Da war er nicht schlecht, aber es sollte nicht sein.
Sie mussten sicher schlucken, als er Ihnen eröffnet hat, dass er Rennen fahren möchte.
Am schlimmsten war, als ich das erste Mal dabei war in Oschersleben. Davor hatte ich ihn nie in einem Rennauto gesehen, und dann ist er mit diesem kleinen Formel-Auto aus dem Boxenzelt rausgefahren – gleiches Helmdesign wie Manfred und dann diese Augen. Das war schon heftig, das werde ich nie vergessen. Ich dachte: Oh mein Gott, wie konntest du das zulassen. Und dann dachte ich: Wenn das der Manfred sehen würde. Es hat sich alles so wiederholt.
Vater und Sohn sind sich sehr ähnlich.
Nicht nur das Aussehen, auch der gleiche Körper, die gleichen Bewegungen. Wenn er ins Auto einsteigt vor unserem Haus und sich zum Abschied noch einmal umdreht, das ist unglaublich. Auch als er einmal in den Rennoverall von Manfred angezogen hat, das sind ja Maßanfertigungen – der Overall hat an jeder Stelle des Körpers exakt gepasst. Die Schultern, der Po, wie für ihn gemacht. Ich habe nur gesagt: Das gibt’s doch nicht.
Ist das ein Trost?
Ja, ich genieße das. Aber manchmal tut das weh. Es ist ein sehr zwiespältiges Gefühl.
Sie haben gelernt, damit zu leben.
Das muss ich – was bleibt mir übrig? Ich hoffe eben immer, es möge alles gutgehen. Ich kann auch kein Rennen im Fernsehen anschauen. Wenn das Rennen läuft, marschiere ich unruhig durch die Wohnung. Ich bin immer wieder glücklich, wenn ich sein Auto den Hof reinfahren sehe.
Frau Winkelhock, heilt die Zeit alle Wunden?
Nein, sie heilt viele, aber nicht alle Wunden. Manfred war ein Teil meines Lebens, er wird mich immer begleiten – ich will das auch gar nicht anders.