Bei der Umgestaltung werden die hohen Dämme abgetragen, die Rems darf sich bis auf eine Breite von 100 Metern ausdehnen. Foto: Gottfried Stoppel

Mit ersten Baumfällungen beginnen demnächst die Arbeiten an der naturnahen Umgestaltung der Rems zwischen Remshalden und Winterbach. Im Oktober soll die Maßnahme abgeschlossen sein.

Winterbach - Es ist fast 100 Jahre her, dass die Rems so fließen durfte, wie sie wollte: in Kurven und Schleifen, in jedem Jahr ein bisschen anders. In vielen Bereichen des Remstals wird der Fluss eingezwängt zwischen Deichen, die teilweise so hoch sind, dass man den Fluss selbst im Vorbeilaufen nicht sieht.

Das soll sich im kommenden Jahr zwischen Winterbach und Remshalden ändern. Auf einer Länge von 1,1 Kilometern wird der Fluss naturnah umgestaltet und darf sich bis auf eine Breite von knapp 100 Metern ausbreiten. „Die Renaturierung der Rems ist landesweit etwas Besonderes, insbesondere in so einem dicht besiedelten Bereich wie dem Remstal“, teilt das Umweltministeriums des Landes auf Anfrage mit. Auch eine aktuelle Übersicht der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg zeigt, dass in der Region Stuttgart meist eher kleinere Bach- oder Flussläufe renaturiert wurden und das kaum in dieser Länge.

Fast alle Grundstücke gehören der Gemeinde

„Das ist eine einmalige Chance“, sagt auch Hans-Peter Sieg. Der technische Geschäftsführer des Wasserverbands Rems hat das Projekt geplant – und sich immer wieder dafür stark gemacht. Weil es in gewisser Weise ein Höhepunkt seines Berufslebens ist, aber auch, weil die Rahmenbedingungen nahezu perfekt sind.

„Die Renaturierung ist nur möglich, weil fast alle Grundstücke der Gemeinde gehören“, erläutert er. Nur deswegen kann die Rems in diesem Ausmaß aufgeweitet werden. Ein Glücksfall ist auch, dass das Land sich bereit erklärt hat, das Projekt komplett zu finanzieren. Die genauen Kosten stehen noch nicht fest, aber frühere Schätzungen gingen von 2,6 Millionen Euro für die Renaturierung aus.

Dieses Wort gefällt Hans-Peter Sieg eigentlich nicht so gut. „Wir machen eine naturnahe Umgestaltung“, sagt er. Denn das Gelände wird zwar modelliert, aber letztendlich darf sich die Rems ihren Weg selbst suchen. Ende Dezember wird es mit den Fällarbeiten losgehen, „wobei wir keinen Kahlschlag vorhaben, sondern etwa die Hälfte der Bäume stehen lassen. Wir möchten, dass die bisherige Optik erhalten bleibt“, sagt Sieg. Gleichzeitig müssen einige Strom- und Telekommunikationsleitungen verlegt werden.

Vermutlich im März beginnen dann die eigentlichen Erdarbeiten. In sechs Abschnitten werden die Deiche abgetragen, gestartet wird bei Winterbach. Dämme sollen dann dafür sorgen, dass während der Bauarbeiten nicht zuviel Material den Fluss verschmutzt. An manchen Stellen sollen Steilufer entstehen, an anderen Flachwasserzonen. Mal wird ein wenig Kies aufgeschüttet, mal eine Insel angelegt. „Das ist aber alles nur als Initial zu sehen. Im Grund darf die Rems selbst schaffen. Und das wird sie auch – sie hat ein starkes Geschiebe“, erläutert Sieg. Das von der Rems transportierte Material wird das Gelände verändern. Auch angepflanzt wird nur wenig. Röhricht, Schilf und Co. sollen von selbst kommen. „Das geht wirklich schnell, das haben andere Renaturierungen gezeigt. Auch Tiere siedeln sich zügig an“, sagt Hans-Peter Sieg.

Etwa 80 000 Kubikmeter Erde werden übrig bleiben. Der Großteil wird nach Plüderhausen gebracht und soll dort ein Gewerbegebiet auffüllen. Mit dem wertvollen Oberboden soll die Qualität landwirtschaftlich genutzter Flächen bei Manolzweiler verbessert werden. Der Abtransport ist eine logistische Herausforderung – denn die beiden vorhandenen Brücken sind für die Lasten nicht geeignet. „Deswegen werden wir wohl eine Furt durch die Rems anlegen“, erläutert Sieg.

Natur soll in Ruhe gelassen werden

Im kommenden Oktober sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein. Inbegriffen ist eine teilweise Verlegung und der Ausbau des Remsradweges. Von diesem wird man in Zukunft die Rems tatsächlich sehen können. Eine neue Partyzone soll der Fluss jedoch nicht werden: „Es gibt nur zwei Zugänge mit Bänken und Infotafeln“, sagt Sieg. Dazwischen soll die Natur in Ruhe gelassen werden, auch von den Landschaftspflegern: „Wir möchten zwei Jahre lang gar nichts machen, sondern nur beobachten. Auch ein wissenschaftliches Monitoring soll es geben“, erläutert Sieg. Er ist zuversichtlich, dass das Gelände zur Remstal-Gartenschau 2019 wieder begrünt ist. „Die renaturierte Rems kann ein echtes Highlightprojekt werden.“

Geschichte des Projekts

Anfänge
Die Pläne für die Remsrenaturierung wurden im Sommer 2014 zum ersten Mal im Gemeinderat Winterbach vorgestellt. Ziel der Maßnahme war nicht nur der ökologische Mehrwert. Vor allem sollte damit auf einen Schlag viel Retentionsraum geschaffen werden. Denn die Kommune hatte das Problem, dass sich der gesamte Ort nach den neuen Hochwassergefahrenkarten im Überschwemmungsgebiet befand und kein Bauvorhaben mehr genehmigt werden konnte.

Finanzierungsprobleme
Im Herbst 2016 beschloss die Gemeinde, das Projekt aus Kostengründen zu verschieben. Zudem war der Druck, Retentionsausgleich zu schaffen, nicht mehr so groß: Die Hochwasserkarten waren geändert worden. Die Gesamtkosten des Projekts wurden damals mit 2,6 Millionen Euro veranschlagt, das Land Baden-Württemberg hätte 85 Prozent der Kosten übernommen. Vor einigen Monaten hat das Land beschlossen, das Projekt komplett zu finanzieren.

Hochwasserschutz
Durch die renaturierte Rems soll die Überflutungsfläche am Fluss vergrößert werden. In absehbarer Zeit soll das sogenannte Hochwasserrückhaltebecken 7 geschaffen werden. Der gesteuerte Flutpolder erstreckt sich auf den Flächen in Richtung Bundesstraße 29. Ein Einlauf- und Auslaufbauwerk sind bereits geplant, die Maßnahme kann allerdings erst angegangen werden, wenn das Rückhaltebecken 5 zwischen Urbach und Schorndorf realisiert ist.