Er übernimmt die Kultbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin: René Pollesch. Foto: dpa

Er ist wieder da: Der Autor und Regisseur René Pollesch wird 2021 neuer Intendant der Berliner Volksbühne. Er wird an die Tradition seines Vor-Vorgängers Frank Castorf anknüpfen – und doch manches anders machen müssen.

Berlin - Eine der wichtigsten Personalien nicht nur der Berliner Kulturpolitik ist entschieden: René Pollesch wird Intendant der Berliner Volksbühne. Der 56-jährige Autor und Regisseur soll das Haus zur Spielzeit 2021/22 übernehmen, wie der Kultursenator Klaus Lederer (Linke) bekannt gab. Damit kehrt ein bekanntes Gesicht ans Theater am Rosa-Luxemburg-Platz zurück. Pollesch hat bereits unter dem Intendanten Frank Castorf, der die Volksbühne zur Kultbühne machte, an dem Haus gearbeitet. Er leitete eine Nebenbühne, den Prater, und inszenierte eine Vielzahl eigener Stücke.

Die Entscheidung für Pollesch könnte der Schlusspunkt hinter einer Geschichte sein, die das Publikum der ganzen Republik in Atem gehalten hat – sofern nichts dazwischen kommt, was man im häufig dilettantisch regierten, zu Fehlentscheidungen neigenden Berlin nie weiß. Was in den vergangenen drei Jahren an der Volksbühne kulturpolitisch gelaufen ist, war ein Trauerspiel: Ein Vierteljahrhundert hatte Castorf das Theater durch alle Höhen und Tiefen geführt. Auch wenn nicht jede ästhetische Tollheit glückte, wurde das wie ein Tanker am Rosa-Luxemburg-Platz liegende Haus zur Pilgerstätte der Theaterfans – mit einem breiten Repertoire und einem Ensemble, das die besten und durchgeknalltesten Spieler und Spielerinnen versammelte: Corinna Harfouch, Kathrin Angerer, Astrid Meyerfeldt, Sophie Rois, Martin Wuttke, Henry Hübchen, Bernhard Schütz, Fabian Hinrichs und so fort. Der damalige Kultursenator Tim Renner aber beendete die schillernde Ära abrupt: Im Herbst 2017 übernahm Chris Dercon das Haus. Allerdings war der Museumsmann aus Belgien schneller weg, als er gekommen war. Im Frühjahr 2018 gab er auf, zermürbt vom Protest der Berliner Szene, vom Liebesentzug durch den Renner-Nachfolger Klaus Lederer und nicht zuletzt von der eigenen Erfolglosigkeit. Der an der Volksbühne geplante Paradigmenwechsel vom klassischen Ensembletheater zum kuratierten Gastspieltheater war gescheitert – und aus Stuttgart kam Klaus Dörr und konsolidierte das Theater, das er noch bis zu Polleschs Amtsantritt im Sommer 2021 leiten wird.

Der Künstler braucht Manager

Ganz überraschend kommt die Entscheidung nicht. Schon seit Wochen verhandelte der 1962 geborene Pollesch mit dem Kultursenator, der sich offensichtlich eine Anknüpfung an die Castorf-Tradition wünschte – mit einer Ästhetik, die in der Nebenlinie der Volksbühne ja schon lange vertreten war. Polleschs Theater funktioniert wie eine Zentrifuge: Alles, was in den Bannkreis seiner Bühne gerät, wird durcheinander gebracht, übereinander geworfen, miteinander verwirbelt – heraus kommt ein Diskurstheater der soziologischen und theaterwissenschaftlicher Theoriesätze, die im Irrsinnstempo aus Schauspielerkörpern fließen, strömen, schießen. Man kennt diesen Wahn-Sinn auch in Stuttgart, wo Pollesch Ende der neunziger Jahre als Stipendiat der Solitude-Akademie, später als Regisseur unter den Intendanten Schirmer, Weber und Petras am Schauspiel gearbeitet hat – hier, unter Weber, begann auch seine Zusammenarbeit mit dem Late-Night-Talker Harald Schmidt in den Stücken „Drei Western“ und „Wenn die Schauspieler mal einen freien Abend haben wollen, übernimmt Hedley Lamarr“.

2002 ist Pollesch vom Fachmagazin „Theater heute“ zum besten deutschsprachigen Dramatiker gewählt worden. Er ist ein Künstler durch und durch, der in seinem Habitus, seiner Produktivität, seiner intellektuellen Rastlosigkeit sehr an den jungen Fassbinder erinnert. Um aber ein Theater zu leiten, sollte er auch Manager sein – oder auf der Chefetage zumindest Mitarbeiter um sich scharen, die managen, organisieren, planen können. Dann könnte die Volksbühne mit René Pollesch an der Spitze tatsächlich wieder mit aller Kraft voraus in See stechen.