Kein klassisches Museum, eher ein spektakulärer Lagerplatz: Die Skulpturenhalle von Karl Ulrich Nuss in Strümpfelbach Foto: Gottfried Stoppel

Bei der Remstal-Museumsnacht stehen sich die Besucher an vielen Ausstellungsorten auf den Zehen. Die Resonanz ist groß – und deckt sich mit der Statistik des Museumsverbands.

In Strümpfelbach werden Strichlisten geführt. Wer auch immer die heiligen Hallen von Bildhauer Karl Ulrich Nuss betritt, geht als kleine Bleistiftlinie in die Buchführung ein. Dutzende Menschen sind das schon in der Auftaktstunde, weil der Andrang auch nach Einbruch der Dunkelheit kaum nachlässt, ist im Skulpturentempel in der Ritterstraße schon weit vor Mitternacht die Dreistelligkeit erreicht. „Der Chef ist oben“ bekommen Besucher mit auf den durch die Regale mit den Gussformen zu einer großen Holztreppe führenden Weg.

 

Wir sind am Samstagabend mit Freunden unterwegs. Ein gemeinsamer Bummel durch die Remstal-Museumsnacht steht auf dem Programm, ein bisschen Kultur, ein wenig Unterhaltung, sehen, staunen, sich treiben lassen. Treffpunkt ist die Stihl-Galerie in Waiblingen, erstens weil das wohnortmäßig in der Mitte liegt und zweitens, weil bisher noch niemand in der aktuellen „Drei-Fragezeichen“-Ausstellung war.

Historische Hochdruckreiniger in Winnenden Foto: STZN

Zwischen dem Museum und der benachbarten Kunstschule sind Paletten-Möbel und Stehtische aufgebaut, ein Gitarren-Duo greift in die Saiten. Silka und Martin haben schon einen Sauvignon Blanc im Glas, die Lounge-Atmosphäre würde auch taugen, den Abend hier ausklingen zu lassen.

Doch die Kultur ruft, und offensichtlich hatten wir die Idee, mit Stihl in die Museumsnacht zu starten, nicht exklusiv. Die Ausstellung mit den Covern der Grafikerin Aiga Rasch für die Krimireihe ist ein Publikumsmagnet, was nicht nur an der zentralen Lage, sondern auch am kostenlosen Eintritt liegen könnte. Sieben Euro kostet das Ticket normalerweise, in der Museumsnacht wird auf den regulären Obolus verzichtet.

Figuren in der Strümpfelbacher Skulpturenscheune Foto: STZN

Auch deshalb sind fürs gepflegte Betrachten der mysteriösen Motive mit den intensiven Farben fast zu viele Menschen im Raum. Dennoch werden Kindheitserinnerungen wach, an die Storys vom Detektiv-Trio aus Rocky Beach, die immer so geheimnisvoll, nebulös und übersinnlich daherkamen und sich am Schluss mit simpler Logik oder notfalls einem Papagei mit Bauchredner-Talent erklären ließen. Wolltest Du damals eher wie Bob Andrews sein oder eher wie Peter Shaw? Egal, Hauptsache nicht wie Justus Jonas.

Voll ist es auch in Schwaikheim, der zweiten Station unserer Museumsnacht-Tour. Kurz hatten wir überlegt, nach der Stihl-Galerie auch die Stihl-Markenwelt abzuklappern. Doch das Motorsägen-Mekka ist nicht nach dem Geschmack der Damen. Deshalb gibt’s nach der schicken Kunsthalle jetzt das von Ruß geschwärzte Kontrastprogramm, die Alte Schmiede im Ortskern.

Historisches Schmiedehandwerk in Schwaikheim Foto: STZN

Noch bis 1984 wurden in dem kleinen Backsteinhäuschen eiserne Wagenreifen auf Holzräder aufgezogen, Feldhauen gerichtet und Pferde mit Hufeisen beschlagen. Jetzt ist die vom Heimatverein übernommene Werkstatt eines der wenigen Schmiede-Museen der Republik – und eine Fundgrube für alle, die für historisches Handwerk schwärmen.

An den Wänden hängen Kneifzangen und Schmiedehämmer in allen Größen, der über Transmissionsriemen angetriebene alte Schleifstein tut auch nach Jahrzehnten seinen Dienst. Auch der mächtige Blasebalg für die orangerot glühende Esse ist nach wie vor intakt. Zwei Schuljungs dürfen sich in drangvoller Enge am Biegen eines Stahlstabs versuchen, die Schmiede-Crew zeigt, dass ausgediente Lastwagen-Federn sich wunderbar als Rohmaterial eignen und hämmert vor den Augen des Publikums grobe Eisenstücke in filigrane Herz-Form.

Dass sich die Besucher in der Museumsnacht auch in Schwaikheim gegenseitig auf den Zehen stehen, deckt sich mit der Statistik des Museumsverbands. Die Ausstellungsbranche vermeldet nach der Corona-Delle wieder Besucherrekorde, in den 1213 großteils ehrenamtlich betriebenen Sammlungen im Südwesten wurden vergangenes Jahr mehr als 15 Millionen Besucher gezählt. Das ist mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung des Alltags ein bemerkenswerter Trend – und nährt die These, dass just der Boom von KI und virtuellen Welten das Bedürfnis nach handfest vermitteltem Wissen weckt.

Kärcher hat auch schon Surfbretter und künstliche Nieren hergestellt

 Uns führt der Weg weiter nach Winnenden – in ein Museum, das wir wohl außerhalb des Remstal-Events nicht gefunden hätten. Dabei ist die Firmenschau von Kärcher nicht nur für Menschen interessant, die ein Faible für Hochdruckreiniger haben. Im Museum geht es auch um starke Frauen, um den Wandel im Haushalt und um schwäbischen Erfindergeist. Wer weiß schon, dass der Reinigungsspezialist in seiner Geschichte auch schon Surfbretter, Flugzeug-Heizlüfter und künstliche Nieren hergestellt hat? Und wer konnte ahnen, dass dass das vermeintlich unverwechselbare Kärcher-Gelb noch gar nicht so lange als Firmenfarbe dient. Bis in die 1980er Jahre jedenfalls trugen die Apparate der Winnender Weltfirma nicht nur so aparte Namen wie „Puzzi plus“, sondern waren auch in Hammerschlagblau lackiert.

Nicht vergessen werden wir auch das Foto aus einem historischen Firmenkatalog, auf dem der Landwirt mit dem Strahl aus der Spritzdüse eine Sau wäscht. Noch bis 2010 hatte Kärcher übrigens auch ein Pferdepflege-Set für den Dampfstrahler im Programm – vermutlich nicht auf der höchsten Stufe.

Mehr als 40 Ausstellungsorte im Remstal

Wir lauschen noch den letzten Klängen der Liedermacherin Elena Seeger und lassen uns auf dem Firmenhof eine Maultasche schmecken, der Kartoffelsalat ist wegen der vielen hungrigen Mäuler schon aus. Dann geht es weiter zur Nuss-Trilogie nach Weinstadt. Der Bildhauer stellt nicht nur im Wilhelms-Keller, einer historischen Scheune beim Strümpfelbacher Rathaus aus, er hat auch seine wenige Meter weiter untergebrachte Sammlung geöffnet. Es geht schon auf Mitternacht zu, als wir in der schlicht spektakulären Skulpturenhalle aufschlagen.

Der Chef ist oben, erzählt Geschichten über die Kunst und das Leben, klagt in Präsenz von 400 meist lebensgroßen Figuren über den wachsenden Platzmangel und gibt Besuchern einen gut gemeinten Ratschlag mit. „Wenn man meint, man müsste alle Skulpturen anschauen, hat man am Ende keine gesehen“, sagt Karl Ulrich Nuss weise. Und irgendwie gilt das auch für die restlichen der mehr als 40 Ausstellungsorte, die bei der Remstal-Museumsnacht geöffnet sind. Alles zu sehen ist ein Ding der Unmöglichkeit – wir heben uns das für die sechste Auflage im kommenden Jahr auf.